Dass sie irgendwann Kinder haben möchte, weiß Flugbegleiterin Jennifer Sutholt schon mit Anfang 20. Aber das mit der festen Paarbeziehung, das gestaltet sich die nächsten 14 Jahre schwierig. Nach einer erneut aufgrund der Kinderfrage gescheiterten Beziehung wird ihr klar: Jetzt muss ich handeln. Der Zufall will es so, dass sie über eine befreundete Kollegin mit dem Konzept der Co-Elternschaft in Berührung kommt – und nicht nur das. Die Kollegin weiß sogar den perfekten Co-Vater für die heute 39-Jährige. Heute sind die beiden glückliche Eltern einer vierjährigen Tochter.
Der Weg zur Entscheidung für das noch neue Konzept der Co-Elternschaft beinhaltet allerdings vorab eine lange mentale Reise, die alles andere als leicht ist. Um andere Frauen* dabei zu unterstützen, selbstbestimmt ihren Kinderwunsch in die Hand zu nehmen, hat Jennifer Sutholt ihr Blog „planningmathilda“ gegründet, auf dem sie umfassend aufklärt, rechtliche Aspekte beleuchtet und aus ihrem eigenen Leben erzählt. Was die Vorteile des Co-Parentings sind, wie ihr Alltag heute aussieht und warum jede Frau* einen Plan B haben kann, erzählt sie uns im Interview.
Jennifer Sutholt: Ich hätte mir schon Anfang 20 vorstellen können, Kinder zu haben. In meinen Zwanzigern war ich meistens allein oder in lockeren Beziehungen. Mein 30. Geburtstag war der schlimmste Tag in meinem Leben. Ich habe nur geheult und dachte: „Was wird denn jetzt?“ Die Idee eines Traummannes hatte ich aufgegeben. Mit Anfang 30 legte ich mir einen Plan B zurecht, nämlich Solo-Mama mit einer Samenspende zu werden. Dann habe ich einen tollen Mann kennengelernt, dem ich relativ früh gesagt habe, dass ich gern ein Kind möchte. Seine Reaktion war: „Okay, wir gucken mal.“ – was ich wie ein Ja gedeutet habe. Nachdem wir zwei Jahre zusammen waren, wurde klar, er ist noch nicht so weit. Also haben wir uns getrennt. Er wollte mich nicht aufhalten und ich wollte nicht länger warten.
Ich konnte mir nicht vorstellen, noch mal jemanden zu finden, kennenzulernen, ein Jahr zusammen zu sein und dann zu hoffen, dass es mit dem Kinderwunsch klappt.
Ja, aber wir sind heute locker befreundet. Mein Gedanke war dann: Jetzt habe ich die Beziehung weggeworfen für ein Kind, was ich nicht habe – ich muss jetzt dafür sorgen, dass mein Wunsch Realität wird. Mit Ende 34 hatte ich gefühlt nicht mehr viel Zeit. Ich konnte mir nicht vorstellen, noch mal jemanden zu finden, kennenzulernen, ein Jahr zusammen zu sein und dann zu hoffen, dass es mit dem Kinderwunsch klappt. Ich wollte die komplette Energie aus der Trennung rausnehmen und in die Solo-Mutterschaft stecken.
In einer weinseligen Runde erzählte ich einer Kollegin von meinem Kummer, die mir wiederum erzählte, sie hätte ein Kind mit einem Kollegen, mit dem sie nur befreundet ist: “Co-Elternschaft heißt das. Mach doch das!” Sie erzählte von ihrem Konzept, was ich sofort cool fand und schloss mit dem Satz: “Also wenn du das machen willst, ein befreundeter Kollege von uns wünscht sich auch ein Kind – frag doch mal den!”
Ja! Ich hatte unfassbar viel Glück. Wir arbeiten in der gleichen Firma, was eine gute Absicherung war. Ich habe direkt “zugegriffen” und ihn getroffen.
Ich war ja mental darauf eingestellt, das allein zu machen. Ich hatte alles finanziell durchgerechnet. Deswegen konnte ich relativ frei an die Sache rangehen. Wir haben alles durchgesprochen, auch den Fall, wenn er irgendwann keine Lust mehr dazu hätte. Das wäre für mich auch in Ordnung gewesen, dann hätte ich eben allein weitergemacht.
Die Entkopplung von Familienwunsch und Kinderwunsch ist ein schwieriger, langer Prozess.
Zum einen, weil ich wusste, wenn er irgendwann abhaut, weil er keinen Bock mehr hat, ist mir das egal. Ich bin nicht auf ihn angewiesen. Zum anderen waren wir uns sofort in allen wichtigen Punkten einig. Die Situation war für uns beide perfekt.
Die Entkopplung von Familienwunsch und Kinderwunsch ist ein schwieriger, langer Prozess. Du musst als Frau* viel Arbeit hineinstecken, denn du möchtest ja kein Kind kriegen, damit es dir in gewisser Weise die/den Partner*in ersetzt. Das Kind soll auf die Welt kommen und ich möchte es begleiten – aber nicht mit dem Auftrag, mein Leben zu verschönern. Viel mentale Arbeit ist nötig, um wirklich herauszufinden, was man will. Bei mir stellte sich heraus, dass ich immer eine Beziehung wollte, um ein Kind zu bekommen. Aber ich bin eigentlich gar kein Beziehungsmensch. Ich war zuletzt erneut in einer kurzen Beziehung, als meine Tochter zwei Jahre alt war und merkte: Das gibt mir überhaupt nichts. Ich brauche das nicht. Er brauchte mich viel mehr als ich ihn – da ich aber kein zweites Kind wollte, dachte ich: Das lassen wir mal lieber.
Ich möchte zeigen, dass es einen Plan B gibt – egal ob es die Solo-Mutterschaft oder die Co-Elternschaft ist. Niemand muss am Plan A verzweifeln!
Ich bin den Weg allein gegangen – von 27 bis ich 34 Jahre alt war. Das hat mir ganz klar Jahre meines Lebens verhagelt. Retrospektiv ist es perfekt für mich ausgegangen, da ich zufällig das Konzept der Co-Elternschaft und zufällig den perfekten Vater gefunden habe. Mein Leben läuft seitdem wirklich rund. Ich hätte mir aber durchaus Hilfe suchen sollen, deswegen habe ich auch mein Blog gestartet. Ich möchte zeigen, dass es einen Plan B gibt – egal ob es die Solo-Mutterschaft oder die Co-Elternschaft ist. Niemand muss am Plan A verzweifeln! Das nimmt den Druck raus und entspannt. Gerade arbeite ich mit der Kinderwunschberaterin Katharina Horn zusammen, mit der ich Workshops und Online-Kurse entwickele.
Ich wollte mich von Anfang an nur für einen Partner entscheiden, mit dem ich es auch auf natürlichem Wege versucht hätte. Wir wollten die entstehende Freundschaft aber so wenig wie möglich belasten. Die Bechermethode habe ich schnell recherchiert und wir haben es erstmal mit dem simulierten Geschlechtsverkehr probiert, um zu schauen, was passiert. Wichtig ist, dass beide sich auf HIV, Hepatitis A/B/C, Chlamydien und den CMV-Status testen lassen. Wenn es nach einem halben Jahr mit der Bechermethode nicht geklappt hätte, wären wir zu einer Kinderwunschklinik gegangen um eine IUI zu machen. Die hätten wir privat bezahlt. Es hat aber tatsächlich gleich beim ersten Versuch mit der Bechermethode funktioniert.
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Es ist etwas Vorsicht geboten. Wenn du einen Vater hast, der dir über seinen finanziellen bzw. seinen Arbeitsstatus nicht die Wahrheit erzählt und das halbe Sorgerecht hat, bist du ihm gegenüber unterhaltspflichtig – wenn er kein Einkommen hat. Es gibt ein paar rechtliche Fallen, die es zu beachten gibt. Ich habe auf meinem Blog eine Checkliste für die rechtlichen Belange erstellt.
Das erste Jahr war sehr anstrengend und sehr einfach zugleich. Wegen des Stillens haben wir ausgemacht, dass die Kleine das erste Jahr komplett bei mir ist. Der Vater ist jeden Tag für drei bis vier Stunden zu uns gekommen, hat Mittagsschlaf mit ihr gemacht und mit ihr gespielt. In der Zeit habe ich die nächsten 24 Stunden vorbereitet, vorgekocht, geduscht und all diese Dinge.
Frustrierend ist ja, wenn jemand da ist, der dir das Kind abnehmen könnte und es dann nicht macht. Aber wenn du eh allein bist, stellen sich viele dieser Fragen gar nicht erst.
Es ist insofern einfacher, weil du nur zwei Rollen erfüllen musst. Mein Kind ist mein Kind und ich bin ich. Ich hatte nie den Druck, Einschlafbegleitung zu machen und danach noch aufstehen zu müssen, weil mein Partner noch auf mich wartet, der vielleicht seit 48 Stunden nicht mehr mit mir gesprochen hat. Ich musste mich um niemand anderen kümmern. Und wir wissen glaube ich alle, dass zwei Erwachsene mehr Dreck machen als eine*r. Wenn ich etwas benutze, stelle ich es danach sofort weg. Es war immer ordentlich bei mir und ich hatte kaum Wäsche zu waschen.
… ebenso wenig wie die Momente, in denen das Baby an deiner Brust hängt und der/die Partner*in daneben liegt und schläft. Frustrierend ist ja, wenn jemand da ist, der dir das Kind abnehmen könnte und es dann nicht macht – oder wenn das Kind dann trotzdem an dir klebt. Das passiert tatsächlich auch mal, wenn wir zusammen einmal im Jahr in den Urlaub fahren. Aber wenn du eh allein bist, stellen sich viele dieser Fragen gar nicht erst.
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Ich versuche, ihr das zwischendurch immer mal wieder zu erklären – ehrlicherweise interessiert es sie aber gar nicht. Sie kennt es nicht anders, für sie ist das normal. Sie ist seit sie 1,5 Jahre alt ist immer mehrere Tage am Stück bei ihrem Papa und weiß, dass sie bei uns beiden wohnt. Unsere Aufteilung ist 70/30. Dass es bei uns anders ist als bei anderen, hat sie erst während der Corona-Krise gemerkt, als das mit dem Home Office losging. Sie ist nicht in der Kita, aber wir haben immer viel Zeit bei Freund*innen verbracht – da siehst du zwischen 14 und 18 Uhr kaum mal einen Vater. Das hat sich plötzlich geändert und ihr ist aufgefallen, dass die Väter da tatsächlich auch wohnen.
Generell sage ich ihr, was ist – immer altersgerecht natürlich. Das wird sicherlich perspektivisch mehr werden, aber darüber mache ich mir wenig Gedanken. Ich kann eh nicht ändern, wie sie darauf reagieren wird. Jedes fünfte Kind in Berlin wohnt nur bei einem Elternteil. Wir werden ihr sagen, dass wir sie uns so sehr gewünscht haben, dass wir es auf einem anderen Weg versucht haben. Sie wird es nicht als unnormal empfinden.
Ich weiß, dass wir das Beste tun und getan haben. Sie hat einen wunderbaren Papa, der alles für sie tut und sich großartig kümmert. Wie viele Eltern bleiben zusammen, obwohl sie totunglücklich sind? Das ist für Kinder sicherlich auch nicht optimal.
Jedes fünfte Kind in Berlin wohnt nur bei einem Elternteil. Wir werden ihr sagen, dass wir sie uns so sehr gewünscht haben, dass wir es auf einem anderen Weg versucht haben. Sie wird es nicht als unnormal empfinden.
Vor fünf Jahren hast du vielleicht ein Online-Forum zu dem Thema gefunden, es gab quasi nichts dazu. Das hat sich etwas geändert, aber es geht darüber hinaus ja auch darum, zu zeigen: dass es machbar bzw. leistbar ist.
Und wir wissen durch den Diskurs über “Mental Load”, dass Frauen* auch in Partnerschaften ganz viel allein machen und den Großteil der unsichtbaren Arbeit sowie der Care Arbeit übernehmen. Die Betreuung der Kinder liegt immer noch größtenteils bei den Frauen*, was man aktuell in der Corona-Krise sehr eindrücklich sieht.
Unser Status vorm Staat ist, dass wir ein getrennt lebendes Paar sind. Der Vater hat die Vaterschaft anerkannt und das halbe Sorgerecht. Prinzipiell würde mir somit auch der Unterhaltszuschuss zustehen, sollte der Vater diesen nicht zahlen (können). Der Freibetrag für Alleinerziehende wurde gerade aufgrund von Corona geändert, das ist natürlich wichtig und hilft den Solo-Mamas. Wir haben ansonsten keine rechtlichen Vorkehrungen getroffen. Es empfiehlt sich aber, einen Vertrag vorher zu definieren und diesen notariell beglaubigen zu lassen.
Das wäre natürlich machbar, aber uns beiden reicht ein Kind vollkommen. Außerdem sind wir beide Flugbegleiter*in, das war bisher ein sicherer Job, der auf einmal auf der Kippe steht. Es ist dann also auch eine finanzielle Frage.
Weiterführender Link: Hier findet ihr eine Checkliste rund um die Co-Elternschaft.
Fotos: Jennifer Sutholt
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