Die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir schrieb einst Folgendes: „Die kinderfreie Frau ist das ‚Andere‘, die ‚Mutter‘ die Norm – und beides muss sich ändern.“ Eine, die sich genau dieser Aufgabe verschrieben hat, ist Coach Sina Scheithauer. Sie berät Frauen* die kinderlos sind professionell und einfühlsam bei dieser oftmals schwierigen und sensiblen Entscheidung. In ihren Coaching-Sessions und ihrem Podcast macht Sina anderen Frauen* Mut, aufs eigene Bauchgefühl zu hören und sich nicht in vorgegebene Rollen drängen zu lassen.
Dass es tatsächlich die Option gibt, kinderlos zu bleiben, war mir damals gar nicht bewusst. Ich kannte niemanden, der sein Leben kinderlos führte.
Sina Scheithauer: Es gibt Frauen*, die schon immer wissen, dass sie kinderlos bleiben wollen. Ich war dagegen immer sicher, dass ich einmal Kinder bekommen würde. Mit Anfang 20 dachte ich, das kommt dann einfach irgendwann von alleine. Mit Mitte 20 fing es an, dass viele Menschen in meinem Umfeld Kinder bekamen. Da kamen bei mir unterschwellig schon die ersten Zweifel. Aber dass es tatsächlich die Option gibt, keine Kinder zu bekommen, war mir damals gar nicht bewusst. Ich kannte niemanden, der sein Leben kinderlos führte.
Das hat es mir sehr schwer gemacht. Unter Freundinnen scherzte man damals öfter, dass wir alle zusammen in einem großen Haus ohne Kinder, dafür mit ganz vielen Katzen wohnen würden. In der Runde war klar, dass das nur ein Witz war. Aber in mir spürte ich, dass ich diesen fehlenden Kinderwunsch im Gegensatz zu meinen Freundinnen ernst meinte. Nicht das mit den Katzen, denn die mag ich gar nicht so sehr. (lacht)
Ich habe mich stark damit auseinandergesetzt, wie ich leben möchte, wohin ich beruflich will. Und plötzlich wollte ich endlich aufhören, ständig über die Kinderfrage nachzudenken und mich damit völlig zu blockieren. Ich konnte keine längerfristigen Pläne machen, weil ich dachte „Naja, aber in ein paar Jahren kommt ja vielleicht die Familie dazwischen“. Ich hatte keine Lust mehr, ich wollte endlich weitermachen.
Ich brauchte dann noch einige Zeit, um das Selbstbewusstsein zu erlangen und die Entscheidung auch nach außen zu tragen. Aber als ich auch das geschafft hatte, war es ein Gefühl, dass ich ab jetzt einfach alles machen und schaffen kann.
Ich behaupte, dass die fehlenden Vorbilder wirklich Grund dafür sind, dass viele Menschen glauben, sie müssten ihr Leben leben wie sie es von anderen sehen. Mir hat so ein Vorbild damals auch gefehlt. Es gibt einzelne Prominente, die in diesem Kontext ständig genannt werden – Jennifer Aniston oder Oprah Winfrey. Ich möchte mit meiner Arbeit als Coach und meinem Podcast aber all diese vielen Frauen* sichtbar machen und empowern, ihr eigenes Vorbild zu werden. Das ist Teil meiner Vision.
Wir sehen die heteronormative Kleinfamilie überall.
Gesamtgesellschaftlich ist es immer noch ein gängiges Narrativ, dass wir so leben sollten. Wir sehen die heteronormative Kleinfamilie überall, von Mainstream-Medien bis zur gesamten Unterhaltungsindustrie. Es ist ein Grundbedürfnis von uns Menschen, dazuzugehören. Individualität wird in unserer Gesellschaft ja sehr groß geschrieben. Aber wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass dennoch viele von uns ähnlich leben. Es zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bubbles, dass man nicht kinderlos bleiben sollte. Und da zu sagen „Ich mach‘ das anders!“, kann ein Kraftakt sein und braucht Mut.
Das Thema „Regretting Motherhood“ ist in unserer Gesellschaft noch mehr tabuisiert als das kinderfreie Leben. Wir haben ein sehr glorifiziertes Mutterbild, das suggeriert: Muttersein ist das höchste Glück im Leben einer Frau. Dass man nicht darüber sprechen darf, dass aus dem Muttersein nicht nur Glück resultiert, sondern auch noch so viele andere Gefühle, finde ich extrem schade. Es vertut uns die Chance auf einen öffentlichen Diskurs darüber, was Mütter und Familien eigentlich brauchen, damit es funktioniert.
Ich habe viele Freundinnen, die Mütter sind und bin voller Bewunderung und Verständnis für die Kraft, die sie täglich aufbringen. Sie kommen natürlich oft an ihre Grenzen, so wie alle anderen Menschen manchmal auch. Und warum das gerade in der Mutterschaft so tabuisiert wird, geht mir nicht in den Kopf.
Wir haben ein sehr glorifiziertes Mutterbild, das suggeriert: Muttersein ist das höchste Glück im Leben einer Frau.
Ein Coaching ist immer ein geleiteter Prozess, den ich in meiner Ausbildung erlernt habe. Ich arbeite mit aktivierenden Fragestellungen, biete einen wertfreien Raum, wo wirklich alles ausgesprochen werden darf, ohne dass eine Konsequenz folgt. Das ist es, was Freund*innen leider kaum bieten können. Wenn die Frauen* zu mir kommen, haben sie bereits oft mit Partner*innen, Eltern oder dem Freundeskreis das Thema durchgekaut und sitzen immer noch in diesem Gedankenkarussell. Ziel des Coachings ist es, völlig neue Gedanken anzuregen.
Ich würde nicht sagen, dass die Frauen* es nicht reflektieren, sondern, dass die Reflexion dadurch umso schmerzhafter wird. Aber es stimmt: Lebt man in einem Umfeld, wo Kinder kein Thema sind, dann wird man auch nicht ständig damit konfrontiert. Wenn aber alle um mich herum Kinder bekommen, dann denke ich natürlich permanent drüber nach, selbst wenn mein Leben für mich gerade total in Ordnung ist.
Man muss deshalb natürlich nicht den Freundeskreis verlassen. Aber man sollte darüber hinaus noch andere Kontakte knüpfen, zu Menschen, die ein ähnliches Leben führen. Ansonsten wird es schwierig, denn die Gespräche verändern sich, die Timeslots für Treffen verändern sich. Das ist total in Ordnung, wenn man eben noch zusätzlich soziale Kontakte hat, die einen erfüllen. Dann gehe ich eben mit den Familien sonntags auf den Spielplatz, akzeptiere die neuen Umstände und suche mir für Aktivitäten, die sich mit Kindern nicht gut vereinbaren lassen, neue Bekanntschaften.
Es klingt vielleicht paradox, aber ich rate immer dazu, sich zuerst Zeit zu nehmen und herauszufinden, was man selbst will. Was ist meine oberste Priorität in meinem Leben? Was will ich für mein zukünftiges Leben? Wenn beide Partner*innen das für sich gemacht haben, können sie erneut in den Dialog kommen. Ist die oberste Priorität, die Beziehung zu erhalten und kann man sich eine Familie unter gewissen Umständen vorstellen, dann heißt es, daran anzuknüpfen. Ist die oberste Priorität ein Kind und man verzichtet für die andere Person darauf, dann wird das eventuell etwas sein, was man sich oder der anderen Person irgendwann vorwirft. Ein offener Diskurs ist das Wichtigste.
Ja, meine Kundin ist immer im Vordergrund. Aber ich arbeite systemisch und beziehe das Umfeld der Frau* gedanklich dennoch immer mit ein. Häufig ist es so, dass Frauen* zu mir kommen und der/die Partner*in weiß nichts davon – meist, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Danach ist es ein ständiger Prozess, in dem sich in der Partnerschaft viel tut.
Außenstehende sollten sich mit Ratschlägen zur Kinderfrage grundsätzlich zurückhalten.
Wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, die einen aus der Komfortzone katapultieren sollen, dann stimmt das schon. Man lernt sich ja so auch besser kennen. Aber wenn dieser Ratschlag in Bezug auf die Kinderfrage kommt, finde ich ihn grob fahrlässig. Wir dürfen nicht vergessen, dass in dieser Frage ja ein schutzloses Wesen involviert ist, das im schlimmsten Fall dann einer Person ausgeliefert ist, die grundsätzlich nicht bereit war. Das heißt nicht, dass daraus nicht doch etwas Gutes entstehen kann. Denn wenn das Kind da ist, tut man alles, damit es ihm gut geht. Aber mit so einem Satz kann man mit sehendem Auge in eine Situation hineinrauschen, die für alle Beteiligten nicht die beste ist. Außenstehende sollten sich mit Ratschlägen zur Kinderfrage grundsätzlich zurückhalten.
Das ist ein digitales Netzwerk für Frauen* die kinderlos und noch nicht entschieden sind im DACH-Raum, das am 1. Oktober gelauncht wurde. In meinen digitalen Workshops merkte ich schnell, dass der Bedarf an Austausch und Vernetzung untereinander groß ist. Wir sind fast 50 Gründungsmitglieder und treffen uns nun regelmäßig zu digitalen Afterworks und Fokus-Calls. Es ist eine Mischung aus Community und Coaching, übrigens auch für Frauen*, die sich vielleicht schon für ein kinderfreies Leben entschieden haben, aber noch Herausforderungen damit haben. Und dieser Austausch ist einfach unfassbar wichtig.