Jede Frau erlebt die Mutterschaft anders. Die einen sind unglaublich erfüllt davon, die anderen sind genervt. Manche sind schlichtweg überfordert und wieder andere wissen gar nicht, warum so ein Fass aufgemacht wird, schließlich gestaltet sich Mutterschaft für sie als das Normalste der Welt. Und dann gibt es noch Frauen wie Corinna Mamok, die sich mit der Geburt ihres Kindes in eine Art „Zombie“ verwandeln. Nicht von heute auf morgen, sondern Stück für Stück. Wie Selbstexperimente ihr aus der Identitätskrise geholfen haben und wie auch ihr das ausprobieren könnt, hat sie für femtastics aufgeschrieben.
Statt mein Kind in mein Leben zu integrieren, fing ich ab dem Tag der Geburt an Teile meines Seins zu unterdrücken.
Irgendwann stehen sie morgens auf und wissen nicht mehr, wer sie sind. Gefangen in einer Art mütterlichen Identitätskrise wissen sie nur noch, dass sie “Mama von” sind und das heute noch 25 Punkte auf ihrer To-do-Liste stehen. Doch wer sie selbst sind, haben sie vergessen. In meinem Fall war dieser Punkt nach sechs Jahren erreicht und es lag weder an meinen Kindern noch an meinem Mann, am Mental Load oder dem System, sondern vielmehr an dem, was ich aus dem Muttersein machte.
Statt mein Kind in mein Leben zu integrieren, fing ich ab dem Tag der Geburt an Teile meines Seins zu unterdrücken. Wie viele andere auch, wollte ich es unbedingt anders und vor allem besser machen als meine Eltern. Ich wollte meinen Kindern die Kindheit ermöglichen, die ich mir früher gewünscht hatte. Was ich dabei nicht mit einkalkuliert hatte, war die Realität und die Tatsache, dass mein erwachsenes Ich nicht zwangsläufig die gleichen Bedürfnisse hat wie mein kindliches Ich. Und so erschuf ich mir ein Gefängnis aus Erwartungen, dessen Wärter die Illusion der perfekten Mutter war. Der Beginn meiner Identitätskrise.
Der ausschlaggebende Punkt für meine “Erleuchtung” war meine Fehlgeburt von Zwillingen im Sommer 2018.
Ich fing an, diesem Bild hinterherzujagen und merkte gar nicht, dass ich mich dabei Stück für Stück selbst verlor. Ich dachte, wenn ich mich nur genug anstrenge, wird mich dieses Zweifachmutter-Ehefrau-Teilzeitjob-Eigenheimbesitzerin-Leben irgendwann erfüllen. Doch das tat es nicht. Und es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis ich verstand, dass ich selbst dafür verantwortlich war, ein erfülltes Leben zu führen.
Der ausschlaggebende Punkt für meine “Erleuchtung” war meine Fehlgeburt von Zwillingen im Sommer 2018. Im ersten Moment eine hochdramatische Erfahrung für mich, die ich an dieser Stelle in den buntesten Farben ausmalen könnte. Doch ich lasse es. Denn diese Fehlgeburt ist für mich heute kein Schicksalsschlag mehr, unter dem ich leide. Ganz im Gegenteil, für mich ist sie einfach nur noch der Startpunkt für das Leben, das ich heute führe. Und dafür bin ich unfassbar dankbar. Ja, richtig gehört ich bin dankbar dafür, dass ich 2018 “jede sechste Frau” war.
Eigentlich ist es traurig, aber ich musste emotional erst ganz unten ankommen, bevor ich mutig genug war, die Illusion der perfekten Mutter aufzugeben und die Frau und Mutter zu werden, die ich im Inneren schon immer war. Doch bevor ich das sein konnte, musste ich erst wieder herausfinden, wer Corinna ist und was Corinna mag. Es ist seltsam, von sich in der dritten Person zu sprechen, doch es verdeutlicht ganz gut, wie fremd ich mir zu dem Zeitpunkt meiner Identitätskrise war.
Um mir selbst wieder näher zu kommen, musste ich mir erst einmal Zeit in meinem To-do-Listen-Leben schaffen. Inspiriert von dem Buch “Miracle Morning” versuchte ich morgens ein wenig früher aufzustehen, um Zeit mit mir allein zu verbringen. Es dauerte nicht lange, bis ich mich wieder daran erinnerte, dass ich schon immer eine Frühaufsteherin war. Irgendwann klingelte mein Wecker täglich um 4 Uhr morgens, auch am Wochenende. Während meine Freund*innen und meine Familie die Welt nicht mehr verstanden, hatte ich zum ersten Mal seit Langem das Gefühl von “Das ist genau mein Ding”. Wobei mein Ding nicht zwangsläufig darin bestand, mit den Hühnern aufzustehen, sondern eher darin, sich selbst herauszufordern. Ein erster Schritt aus der Identitätskrise.
Mit der Zeit hatte ich durch meine Me-Time so viel Energie, dass ich bereit war, mein Dilemma mit der “erfüllten Mutterschaft” zu lösen.
Das war eine Eigenschaft, die ich schon immer an mir hatte und die meine Mitmenschen regelmäßig zum Kopfschütteln bewegte. Sie sprachen von Schnapsideen und einem Leben in Extremen. Dass es für mich Selbstexperimente waren, die mir dabei halfen, herauszufinden, wer ich bin, war selbst mir zu dem Zeitpunkt nicht bewusst. Ich merkte nur, dass ich mich dadurch lebendiger, freier und mutiger fühlte. Also beschloss ich dem Ganzen mehr Raum zu geben. Ich probierte morgens um 4 Uhr die unterschiedlichsten Dinge aus, zum Beispiel wie es ist, als bekennender Sportmuffel, so früh mit Kraftsport in den Tag zu starten. Meine Erkenntnis daraus, sich täglich dazu zu überwinden, ist der Horror, das Gefühl für den restlichen Tag aber einfach genial.
Mit der Zeit hatte ich durch meine Me-Time so viel Energie, dass ich bereit war, mein Dilemma mit der “erfüllten Mutterschaft” zu lösen. Da ich selbst immer noch keine Antwort auf die Frage hatte, beschloss ich andere danach zu fragen. Ich startete ein Projekt bei dem ich Mütter fotografierte und interviewte. Weder wusste ich, was ich tat noch wofür. Ich machte einfach. Und nach einem Jahr planloser Projektarbeit, in dem ich auch wieder den Schritt in die Vollzeit-Selbstständigkeit gewagt hatte, hatte ich so viel Material gesammelt, dass ich just for fun drei Verlagen ein Exposé schickte. Sieben Wochen später hatte ich einen Buchvertrag. Ohne Vorkenntnisse, ohne Social Media-Follower*innen, aber mit einem Projekt, an dem mein Herz hing. Ein positiver Nebeneffekt meiner Identitätskrise: Ich wurde Buchautorin.
Der Austausch mit den Frauen* brachte mich meinem Wunsch, eine glückliche Mutter zu sein, näher. Nicht in dem ich versuchte, das Leben der anderen nachzuahmen, sondern dadurch, dass ich mich fragte, was kann ich von ihnen lernen und wie kann ich es für mich selbst anwenden. Es war wie ein Puzzle. Und bei jeder Frau* nahm ich ein Puzzlestück mit. Das war auch der Grund, warum ich es unbedingt mit der Welt teilen wollte. Die unterschiedlichen Frauen* in ihrem Alltag zu begleiten hatte mir gezeigt, dass es genauso viele Wege gibt, eine gute Mutter zu sein, wie es Mütter gibt.
Den Satz “Geh deinen eigenen Weg” zu hören ist die eine Sache, ihn zu begreifen und wirklich zu gehen ist eine völlig andere. Es ist pure Magie und das haben mir diese Frauen* gezeigt. Worauf ich mich vor lauter Begeisterung für mein Buch („Mama, mutig, mittendrin“) nicht vorbereitet hatte, war das Ende dieses Trips. Es dauerte nicht lange, bis ich merkte, wie sehr mir die freie Arbeit daran fehlte. Sich direkt in das Nächste zu stürzen, fühlte sich jedoch falsch an. Das neue Projekt wäre dann nur ein Lückenbüßer gewesen.
Es gibt genauso viele Wege, eine gute Mutter zu sein, wie es Mütter gibt.
Ich beschloss, meinen mentalen Keller aufzuräumen und mich weiter mit der Frage “Wer bin ich” auseinanderzusetzen. Das Ganze machte ich in Form einer Therapie. Zusammen mit meiner Therapeutin fand ich heraus, dass ich selbst die kleinen Alltagsdramen kreierte unter denen ich immer wieder litt. Einerseits, um mehr Abenteuer in mein Leben zu bringen, andererseits, um den Anteilen meiner Persönlichkeit, die sonst keinen Platz hatten, Raum zu geben. Das Ergebnis dieser Unterdrückung war eine schlecht kontrollierbare Rebellion.
Und ich hatte kein Bock mehr auf Rebellion und Dramen. Deshalb suchte ich nach einer gesunden Art und Weise meine Abenteuerlust und die bisher unterdrückten Anteile in meinen Alltag zu integrieren. Es war Zeit, wieder MEHR zu sein. Die Selbstexperimente waren die perfekte Lösung dafür. Denn durch sie kann man perfekt seine Neugier aufs Leben und den Drang nach Freiheit und Leichtigkeit ausleben. Gleichzeitig eignen sich Selbstexperimente hervorragend dazu, sein inneres Kind tanzen zu lassen und sein Selbstbewusstsein zu steigern.
Selbstexperimente eignen sich hervorragend dazu, sein inneres Kind tanzen zu lassen und sein Selbstbewusstsein zu steigern.
Als mir das klar wurde, beschloss ich den Selbstexperimenten einen festen Platz in meinem Leben zu geben. Ich stellte meine eigenen Regeln auf und fing an das, was ich früher sporadisch tat, gezielt dafür einzusetzen, nämlich die Dramen in meinem Leben zu eliminieren. Seitdem habe ich die verrücktesten Dinge ausprobiert, von “Hilft täglicher Sex gegen Mental Load” bis hin zu “Macht Klavier spielen fehlerresistent”. In Bewegung zu sein, seine eigenen Grenzen zu sprengen, hilft dabei herauszufinden, wie groß diese Welt überhaupt ist. Und damit meine ich nicht nur die, auf der wir leben, sondern auch die Innere.
Wäre ich mir darüber früher im Klaren gewesen, hätte mich das Muttersein höchstwahrscheinlich nicht in einen identitätslosen Zombie verwandelt, sondern wäre einfach ein weiterer besonderer Teil meines Lebens gewesen. Denn es war nie die Aufgabe meines Kindes, mich in irgendeiner Art zu erfüllen. Es war schon immer meine eigene Aufgabe, meine Bedürfnisse zu kennen und sie so zu erfüllen, dass es mir gut geht. Und für mich geht das damit einher, dass ich MEHR sein will und muss, als nur Mutter zu sein.
Es war nie die Aufgabe meines Kindes, mich in irgendeiner Art zu erfüllen. Es war schon immer meine eigene Aufgabe, meine Bedürfnisse zu kennen und sie so zu erfüllen, dass es mir gut geht.
Wenn du jetzt denkst, geil das mit den Selbstexperimenten ist ne coole Sache, das will ich auch ausprobieren. Dann ist das Folgende für dich:
Überlege dir, ob ein Selbstexperiment überhaupt das Richtige für dich ist um dir aus der Identitätskrise zu helfen. Es kann das Richtige für dich sein, wenn du …
Viele Frauen* kommen zu mir und sagen: “Corinna, das mit den Experimenten finde ich total cool, ich habe mir auch schon überlegt, was ich alles machen könnte. Doch irgendwie komme ich nicht ins Tun”. Der häufigste Grund dafür ist, dass sie nicht ihre eigenen Spielregeln für das Experiment kreiert haben. Überlege dir also im Vorfeld ganz genau, wie dein persönliches Experiment aussehen soll. Möchtest du 30 Tage Experimente machen? Oder lieber nur einen Tag lang? Welches Ziel verfolgst du mit deinem Experiment? Was ist deine persönliche Fragestellung? Wann wäre dein Experiment ein Erfolg? Und wie willst du es umsetzen? Vereinbarst du einen fixen Termin mit dir selbst, oder bist du lieber spontan?
In einer Identitätskrise vergisst man oft, dass Dinge, die Spaß machen, auch jede Menge Disziplin erfordern. Das ist bei Selbstexperimenten nicht anders. Egal wie cool das Experiment ist, irgendwann kommt Tag X und du hast keinen Bock mehr. Doch genau dann solltest du dranbleiben. Mir persönlich hilft ein Brief an mich selbst. Den habe ich vorab meist so kitschig formuliert, dass ich mich selbst damit zum Heulen bringe. Und das mit voller Absicht. Denn wenn meine Motivation gering ist, muss ich nicht meinen Verstand, sondern meine Gefühle überzeugen. Ich male mir also in dem Brief in den buntesten Farben aus, wie es sich anfühlt, es geschafft zu haben. Und dann spreche ich mir selbst Mut zu.
Ich lerne bei meinen Selbstexperimenten oft ganz viele unerwartete Dinge über mich und das Leben.
Ich lerne bei meinen Selbstexperimenten oft ganz viele unerwartete Dinge über mich und das Leben. Damit ich sie nicht direkt vergesse, habe ich mir angewöhnt, regelmäßig Zeit zum reflektieren zu gönnen. In meinem Fall heißt das: Notizen machen oder mit jemandem darüber sprechen. Reflektieren kann auch dabei helfen, die Spielregeln für dein Experiment noch zu optimieren. Ich habe zum Beispiel irgendwann im Laufe eines Experiments festgestellt, dass ich Sport immer morgens machen muss, wenn mein Gehirn noch zu müde ist, um sich Ausreden einfallen zu lassen. Meine bevorzugte Uhrzeit pendelte sich zwischen 4 und 5 Uhr in der Früh ein.
Fotos: Corinna Mamok
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