Clara Hahn: So findest du einen Weg aus deiner beruflichen Krise!

Eine berufliche Krise erleben viele von uns irgendwann im Leben. Vielleicht sind wir unzufrieden, wissen aber nicht genau, was wir ändern müssen. Vielleicht haben wir Ideen und Träume, die wir gerne umsetzen würden, aber wissen nicht, wo wir anfangen sollen. Vielleicht sind wir ratlos, was unser Weg sein soll. Mit welchen Gedanken und Übungen man eine berufliche Krise für sich nutzt, um voranzukommen und wie Coaching dabei helfen kann, darüber haben wir mit Clara Hahn gesprochen. Die 29-Jährige ist Coach und Gründerin des Coaching-Kollektivs „The Fired Up Collective“.

femtastics: Für uns hast du kürzlich ein Instagram Live Coaching zum Thema berufliche Krise gehalten. Wenn ich beruflich unzufrieden bin, wie stelle ich fest, wo genau mein Problem liegt?

Clara Hahn: Zunächst einmal die Unzufriedenheit anzunehmen, ist der erste Schritt. Denn meistens sind wir damit beschäftigt, zu sagen, dass alles gut ist: „Ja, läuft schon. Alles gut, alles in Ordnung!“. Emotionen wie Wut und Trauer wollen wir meist ablehnen. Aber es liegt sehr viel Erkenntniskraft in der Unzufriedenheit. Ich sollte in diesem Fall genauer hinschauen: Was genau mag ich an meinem Job nicht? Was frustet mich? Wenn mich zum Beispiel frustriert, dass ich in meinem Job wenig mit Menschen spreche, dann kann das auf ein verborgenes Talent von mir deuten. Oder wenn mich frustriert, dass ich keinen Gesamtüberblick habe, weil ich immer nur kleine Aufgaben bewältigen muss, dann kann das heißen, dass ich vielleicht lieber managen möchte.

Der erste Schritt ist also, den Frust wahrzunehmen und anzunehmen. Ich empfehle aber, das in Begleitung zu tun, weil Frust schnell überwältigend wirken kann. Und weil wir ihn gleich lösen wollen. Aber dadurch begeben wir uns immer wieder in unsere Komfortzone zurück und kommen nicht weiter.

Du meinst, wenn man zum Beispiel direkt die negativen Dinge, die einen stören, gegen Positives aufwiegt? Zum Beispiel: „Ich verdiene in diesem Job weniger, aber dafür habe ich mehr Freiraum.“ Oder: „Ich kann nicht alle meiner Talente beruflich nutzen, aber dafür habe ich finanzielle Sicherheit.“ Nach dem Motto: „Nichts ist perfekt. Konzentriere dich eben aufs Positive!“. Ist das falsch?

Wir suchen sehr schnell den Kompromiss. Aber hier geht es nicht um den Kompromiss. Natürlich meint der „produktive Frust“, von dem ich spreche, nicht, dass wir die ganze Zeit herumnörgeln sollen. Das bringt uns nichts. Aber wenn es um Veränderung gehen soll, lohnt sich ein Gedankenexperiment: Wenn alles perfekt wäre – einfach mal geträumt – wie würde ich es mir dann wünschen? Was, wenn ich das Perfekte anstreben darf, wie sähe es dann aus? Was will ich? Was wünsche ich mir? … Das würde ich mir mal ausmalen. So unrealistisch wie möglich.

Wenn ich wütend bzw. frustriert sein darf, dann darf ich auch etwas wollen. Ich darf meine Wut oder meinen Frust zulassen und genauso, auf der anderen Seite, meine Bedürfnisse. Da geht es noch nicht um den Kompromiss. Im zweiten Schritt geht es dann darum, einen Weg zu finden. Der Kompromiss kann später kommen, im dritten Schritt.

Wenn es um Veränderung gehen soll, lohnt sich ein Gedankenexperiment: Wenn alles perfekt wäre – einfach mal geträumt – wie würde ich es mir dann wünschen?

Wie komme ich zum nächsten Schritt, damit es nicht bei Träumereien bleibt?

Diese Träume und Ideen können auch zu einer Art Droge werden, zu schönen Vorstellungen, die ich nie umsetze. Aber wir wollen natürlich in die Umsetzung gehen! Deshalb ist es wichtig, konkrete Schritte zu definieren: Was kann ich konkret tun, um diesem Wunsch näher zu kommen?

Kannst du dazu Übungen oder Tools empfehlen?

Ich kann empfehlen, mit einer „Road Map“ zu arbeiten. Ich denke, ein Zeitraum von drei Monaten lässt sich ganz gut überblicken. Auf einem großen Blatt Papier malt man drei Kreise. Der innerste Kreis ist der jetzige Monat, der nächste der Folgemonat, der äußerste der übernächste Monat. Alles, was außerhalb der Kreise liegt, ist der Horizont. In jeden Kreis notiere ich Ziele und Schritte für den aktuellen Monat. Es müssen nicht zwingend Ziele sein, die dann erreicht oder abgeschlossen sind. Es können auch längerfristige Ziele sein.

Da unterscheiden wir zwischen „Finale Ziele“ wie beispielsweise: „Ich möchte diese Wohnung kaufen.“ und „Übergeordnete oder laufende Ziele“ wie „sich zu Hause fühlen“. Das Ziel kann sich immer wieder verändern. Übergeordnete, große Ziele wie „Ich möchte mich zu Hause fühlen.“ oder „Ich möchte finanziell unabhängig sein.“ schreibe ich in den Horizont, also in den Bereich außerhalb der Kreise. Und das kann ich dann runterbrechen auf konkrete Ziele: Was heißt das für jetzt, für diese Woche? Welche Schritte kann ich jetzt tun, um dem Ziel näher zu kommen? Wenn es zum Beispiel um finanzielle Unabhängigkeit geht, kann es bedeuten: „Diese Woche lese ich mich ins Thema ETFs ein.“. Diese konkreten Schritte schreibe ich in die Monatskreise. An Tagen, an denen ich etwas lost bin, schaue ich mir diese Liste an und arbeite einen der Schritte ab.

Clara Hahn, die gebürtig aus dem Schwarzwald kommt, lebt nach Stationen im Ausland aktuell in Berlin.

Würdest du empfehlen, diese To-Dos mit einem konkreten Zeitrahmen, einer Deadline, zu versehen?

Ja, unbedingt. Alles, was ein Datum hat, wird realistischer – solange es mit einem Datum versehen werden kann. Ich gebe To-Dos gerne eine Deadline und eine Ansprechpartner*in. Also eine Person, die mein „Sparringspartner“ oder „Commitment Partner“ wird. Wenn ich zum Beispiel einen Text schreiben will, dann frage ich jemanden, ob ich ihm oder ihr den Text an einem festgesetzten Datum zum Gegenlesen zuschicken darf.

Ich gebe To-Dos gerne eine Deadline und eine Ansprechpartner*in. Also eine Person, die mein „Sparringspartner“ oder „Commitment Partner“ wird.

Andernfalls kann eine lange Liste von To-Dos und Zielen ja auch schnell überwältigend wirken, sodass man eher in „Schockstarre“ verfällt.

Ja, das stimmt. Je mehr „Komplizen“ wir uns suchen, desto einfacher wird es. Ich würde mir viele „Komplizen“ für unterschiedliche Themenbereiche suchen. Und alles, was einen wöchentlichen Rhythmus hat, wird einfacher. Ich kann zum Beispiel gemeinsam mit einer Freundin beschließen: „Komm, wir schauen uns mal Möglichkeiten zur Geldanlage an!“ und dann einen wöchentlichen Termin mit ihr dafür vereinbaren. Dann machen wir in unserer Woche und in unserem Leben wirklich Platz für das Thema.

Viele von uns haben Träume oder Themen, die sie interessieren. Aber wie finde ich heraus, was ich will und was davon ich wirklich beruflich verfolgen will bzw. soll?

Das ist besonders ein Thema der Kreativbranche. Ich denke, als kreativer Mensch lebst du viel in der Sphäre, die noch nicht realisiert und umgesetzt ist, in der Ideen- und Inspirationssphäre. Diese Sphäre kann auch eine Art Versteck oder Elfenbeinturm, eine Vermeidungstaktik sein. Im Unrealisierten bin ich dann mehr zu Hause als in der Realität. Das würde ich im persönlichen Coaching zuerst analysieren. Vielleicht setzen wir Ideen deshalb nicht um, weil wir uns selbst schützen wollen. Wir tun ja nichts, weil wir uns selbst im Weg stehen wollen. Sondern, damit sie uns dienen, und oft geht es um Selbstschutz. Das muss man zunächst analysieren, sonst arbeiten wir permanent gegen unser eigens Unterbewusstsein.

Jeder Mensch hat tolle Ideen. Ideen sind schön, aber die Umsetzung zeigt, was eine Idee wert ist. Deshalb lohnt es sich auch, genau hinzuschauen, warum wir eine gewisse Idee bislang noch nicht umgesetzt haben. Habe ich vielleicht gar keine Lust darauf? Oder habe ich Angst, dass Menschen mich missverstehen oder ablehnen? Aber ich denke, das ist allein in Selbstanleitung schwierig. Es ist herausfordernd, unsere Gewohnheiten zu brechen, und wir sind alle Beziehungsmenschen.

Jeder Mensch hat tolle Ideen. Ideen sind schön, aber die Umsetzung zeigt, was eine Idee wert ist. Deshalb lohnt es sich auch, genau hinzuschauen, warum wir eine gewisse Idee bislang noch nicht umgesetzt haben.

Der Austausch bringt uns voran?

Oft fragen wir uns: „Warum komme ich denn nicht in die Gänge?“ oder „Warum schaffe ich das denn nicht?“. Häufig steht dahinter der Glaubenssatz, man müsse etwas alleine schaffen. Ich persönlich schaffe große Veränderungen nicht alleine. Für alles, was ich erreichen will, hole ich mir Menschen dazu. Warum sollte ich denn auch Dinge alleine schaffen? Worin liegt denn da der Wert?

Und sich selbst fertig zu machen, bringt sowieso gar nichts. Die Art wie wir mit uns selbst sprechen haben wir schon früh im Leben gelernt und macht viel aus. Das sollten wir liebevoll und verständnisvoll gestalten.

Auch im Hinblick auf To-Dos und Ziele?

Ja, das finde ich häufig auch schwierig bei Coachings: „Erreiche deine Ziele! Es ist so einfach! Du musst nur dieses oder jenes machen!“. Auf Instagram sehen wir so viele erfolgreiche Menschen, die bei uns schnell den Gedanken wecken: „Wieso schaffe ich es dann nicht?“. Das erzeugt einen enormen Druck und ist oft zu einfach gedacht. Wir müssen oft die tieferliegenden Gründe analysieren, warum wir bestimmte Dinge noch nicht getan haben.

Ich persönlich bin früher mit meinen Eltern oft umgezogen und wir haben provisorisch gelebt. Und obwohl ich mir später immer eine schöne, designte Wohnung gewünscht habe, habe ich doch immer in weniger schönen Wohnungen gewohnt – weil das mir vertraut war und ich so in meiner Komfortzone bleiben konnte. Anstatt mir zu sagen: „Clara, du bekommst es einfach nicht auf die Reihe!“, sage ich: „Interessant. Gibt es in mir vielleicht einen Teil, der nicht will – und warum?“. Aus der Komfortzone Schritt für Schritt herauszukommen, kann eben etwas dauern.

Clara Hahn gründete mit dem Einbruch des Corona Lockdowns ein Kollektiv, welches Menschen bei der beruflichen Neuorientierung unterstützt durch kostenlose Coaching Sessions. Sie selbst war 2019 arbeitslos gemeldet, nachdem sie sich nach einer toxischen Beziehung zum Alleinerziehen ihrer Tochter entschied.

Ist es irgendwann „zu spät“ im Leben, Ziele zu erreichen oder sich Wünsche zu erfüllen? Sich zum Beispiel beruflich ganz neu zu orientieren? Oft wachsen im Laufe des Lebens ja die Verpflichtungen, man ist vielleicht nicht mehr nur für sich selbst, sondern auch für andere Menschen verantwortlich … Wie beurteilst du das?

Eine andere Frage, die man stellen könnte, ist: Kannst du es dir leisten, es nicht zu tun? Wenn ich ein Leben lebe, das meinem tieferen Inneren nicht entspricht, macht es mich mit jeder Woche, jedem Monat unzufriedener. Das kommt immer auf Kosten von etwas. Vielleicht kostet es mich meine Gesundheit. Vielleicht fehlt mir immer mehr Energie und ich flüchte mich immer mehr in Betäubungen oder Ablenkungen. Kann ich mir auf lange Sicht leisten, mein Leben so weiterzuleben? Auf welche Kosten geht das? Daraus ergibt sich dann irgendwann vielleicht eine Dringlichkeit. Ich finde, dem Wunsch nach Veränderung sollte man immer nachgehen.

Kann ich mir auf lange Sicht leisten, mein Leben so weiterzuleben? Auf welche Kosten geht das?

Wie bist du eigentlich zum Coaching gekommen?

Ich habe mir nicht überlegt, dass ich Coach werden möchte. Es ist daraus entstanden, dass ich Künstler*innen für Musiklabels gemanaged habe, aber mit der Zeit immer mehr Fragen gestellt und gecoached habe. Das hat andere Künstler*innen angezogen, die auf mich zugekommen sind. Irgendwann musste ich mir überlegen, wie ich das nenne, was ich da tue. Aber mit dem Begriff „Coach“ habe ich mich anfangs nicht wohlgefühlt.

Warum? Weil der Begriff gerade so inflationär gebraucht wird?

Ja, und auch, weil die Bedeutung des Begriffs oft gar nicht klar wird, da es so viele verschiedenen Angebote gibt. Du kannst einerseits an unqualifizierte Menschen geraten, andererseits auch an Menschen, die alle Zertifikate an der Wand hängen haben, dich als Mensch aber nicht sehen und verstehen. Deswegen ist im Coaching meiner Meinung nach das Erstgespräch so wichtig, um ein persönliches Gefühl zu entwickeln. Auf dieses Bauchgefühl sollte man dann auch hören bei der Auswahl des Coaches.

Hast Du noch eine Coach-Ausbildung gemacht?

Ich habe keine Ausbildung oder Zertifizierung gemacht, weil mich, um ehrlich zu sein, keine interessiert hat, obwohl ich danach gesucht habe. Ich hatte seit meinem 18. Lebensjahr sehr viele Mentor*innen. Von ihnen habe ich über viele Jahre das Coaching gelernt.

Wie ist im Rahmen deiner Arbeit das Kollektiv „The Fired Up Collective“ entstanden?

Mit Beginn der Pandemie sind viele meiner kreativen Kund*innen weggefallen, weil sie andere Sorgen hatten als Selbstverwirklichung. Wenn du existentielle Sorgen hast, kümmerst du dich natürlich erst einmal um diese. Deshalb musste ich mich umorientieren und kam dann auf die Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit, um Coachings anzubieten, deren Kosten übernommen werden. Ich habe erkannt, dass es einen sehr großen Bedarf für „andere“, persönliche Job-Coachings gibt – vor allem in der kreativen Szene. Deshalb habe ich weitere Coaches zu mir geholt und mit ihnen zusammen ein Kollektiv gegründet.

Wo liegt dein Fokus beim Coaching? Anders gefragt: An wen richtest du dein Angebot?

Die Menschen, die wir ansprechen, sind Kreative – aber nicht unbedingt im Sinne, dass alle Musiker*innen oder Tänzer*innen sind. Es sind Menschen, deren Lebenslauf vielleicht nicht ganz geradlinig verläuft, oder die viele Talente haben, aber nicht sicher sind, was eigentlich der Beitrag ist, den sie machen wollen, die vielleicht auch nicht in klassische Berufsprofile hineinpassen. Wir sind offen für alle, aber freuen uns besonders über jene, die tiefere Fragen stellen und dann auch Selbstverantwortung übernehmen wollen.

Wie lässt sich euer Angebot nutzen?

Während der Corona-Krise haben wir unser Angebot primär an arbeitslos gemeldete Menschen über die Agentur für Arbeit gerichtet. Wir haben aber auch Coaching-Angebote für Selbstzahler. Der erste Schritt wäre wahrscheinlich, sich unsere Coaches anzuschauen und ein Erstgespräch mit der Person zu vereinbaren, die man sympathisch findet.

Vielen Dank für das Gespräch, Clara!

Hier findet ihr Clara Hahn:



Fotos: Paola R. Fleming

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