„Ein Netzwerk zeigt sich nicht, wenn die Sonne scheint. Es zeigt sich in Krisenzeiten“ – Tijen Onaran

Irgendwann hatte Tijen Onaran keine Lust mehr, auf Konferenzen die einzige Frau zwischen einer Überzahl an Männern zu sein. Wo sind all die talentierten und kompetenten Frauen? – wunderte sie sich. Also schlug sie ihr Telefonbuch auf, rief ein paar Frauen an und brachte sie an einen Tisch, um sie miteinander zu vernetzen und dadurch sichtbarer zu machen. Aus den 12 Frauen von damals sind mittlerweile 30.000 Frauen geworden und aus einer guten Idee ein erfolgreiches Unternehmen. Mit „Global Digital Women“ veranstaltet Tijen digitale und analoge Events und berät Unternehmen zu Diversity-Themen. Sie hat sich Diversität und Inklusion als Lebensaufgabe gesetzt und bringt beides auch mit ihren zusätzlichen Projekten in der Gesellschaft voran. Gerade hat sie bekannt gegeben als Investorin in weibliche Start-Ups zu investieren. Wir treffen die 35-Jährige zum Videocall via Zoom. Im Interview verrät sie, wie man sich ein starkes Netzwerk aufbaut, was sie antreibt, wie sie zur Frauenquote steht und warum Diversität in allen Bereichen ganz oben auf der Prioritätenliste stehen sollte.

Ich warte nicht darauf, dass jemand Entscheidungen für mich trifft oder mir einen Weg vorgibt. Ich entscheide selber und schaue, was in meinem Ermessen liegt, um die Welt besser zu machen.

femtastics: Du bist Unternehmerin, Moderatorin, Autorin, Podcasterin, Speakerin und Kolumnistin. Was macht dir am meisten Spaß?

Tijen Onaran: Alles, was ich mache, bringt mir unglaublich viel Spaß, weil es für mich keine Jobs sind, sondern Leidenschaften, die in eine Profession übergegangen sind. Ich bin mit „Global Digital Women“ angetreten, um die Welt diverser und digitaler zu gestalten. Das ist unsere große Mission, die auch in meine Jobs als Speakerin und Moderatorin übergeht. Das heißt, wenn ich in den Bereichen tätig bin, dann bin ich meistens auch im Kontext von Digitalisierung, Vielfalt, Empowerment und Unternehmertum unterwegs. Genauso ist es bei meiner Kolumne und dem Podcast für „Business Punk“, durch den ich viele spannende und diverse Menschen treffe, die eins verbindet: Ideen zu verwirklichen und die Welt ein Stück zu verändern. Das treibt mich an. Ich warte nicht darauf, dass jemand Entscheidungen für mich trifft oder mir einen Weg vorgibt. Ich entscheide selber und schaue, was in meinem Ermessen liegt, um die Welt besser zu machen.

Wie schaffst du es trotz deiner vielen Projekten abzuschalten?

Da bin ich definitiv noch am Lernen. (lacht) Mein Tag ist meistens voll mit verschiedenen Terminen. An manchen Abenden sitze ich da, überlege, was ich den ganzen Tag gemacht habe und bin noch total euphorisiert. Da kann ich nicht einfach abschalten. Deshalb versuche ich meinen Tag stark zu ritualisieren, damit ich wenigstens zwischendurch eine halbe Stunde entspannen kann. Ein Ritual ist zum Beispiel, dass ich morgens mit unseren zwei Hunden raus gehe oder eine Runde laufe. Ich kann nur abschalten, wenn ich nicht am Laptop sitze, sondern in der Natur bin und meine volle Aufmerksamkeit zum Beispiel auf meinen Hunden liegt.

Interessanterweise sind wir im privaten Netzwerken ziemlich gut. Wenn wir eine Wohnung oder einen Babysitter suchen, wird sofort auf allen sozialen Kanälen gepostet und im privaten Umfeld gefragt: Wer kennt wen? Aber im beruflichen Kontext tun wir uns unglaublich schwer.

Foto: Urban Zintel

Du hast „Global Digital Women“ gegründet, um Frauen miteinander zu vernetzen. Warum ist Netzwerken so wichtig?

Netzwerken heißt nichts anderes als Beziehung aufzubauen und zu pflegen. Interessanterweise sind wir im privaten Netzwerken ziemlich gut. Wenn wir eine Wohnung oder einen Babysitter suchen, wird sofort auf allen sozialen Kanälen gepostet und im privaten Umfeld gefragt: Wer kennt wen? Aber im beruflichen Kontext tun wir uns unglaublich schwer, weil Netzwerken noch immer den Ruf der Vetternwirtschaft hat. Da heißt es dann, der oder die hat den Job nur bekommen, weil er den oder die Geschäftsführer*in kennt.

Aber Netzwerke schaffen auch ganz vielen Menschen Zugänge. Wenn deine Eltern kein großes Netzwerk hatten, du dir aber selbst eins erarbeitest, kannst du es „schaffen“, in andere Netzwerke zu kommen, in die du aufgrund deiner sozialen oder generell deiner Herkunft nie im Leben gekommen wärst. Das darf man nicht vergessen. Deshalb würde ich das negative Bild der Vetternwirtschaft ersetzen wollen durch Zugänge schaffen, teilhaben können, Teil von Veränderung sein.

Natürlich ist auch die persönliche Leistung extrem wichtig. Aber wenn es nach außen niemanden gibt, von dem sie gesehen wird, werden deine Kompetenzen, dein Wissen und deine Talente nicht wahrgenommen. Dein Netzwerk multipliziert ein Stück weit auch deine Leistung und macht dich zugänglicher.

Ein Netzwerk zeigt sich nicht, wenn die Sonne scheint. Es zeigt sich in Krisenzeiten. Und das ist das Entscheidende.

Wie geht es dem Networking in Zeiten von Corona?

Das Digitale ist für viele die Rettung, weil es der einzige Ort ist, an dem wir noch mit unserem Netzwerken zusammenkommen können. Egal ob über Instagram, LinkedIn oder Twitter. Ich sehe, dass viele Menschen, die zuvor eine Aversion gegen Social Media hatten, jetzt verstanden haben: Wenn ich nicht auf Social Media aktiv bin, bin ich gar nicht mehr aktiv und habe keinen Zugang mehr. Das wird auch nach der Krise bleiben: Social Media nicht mehr zu verteufeln, sondern es als Zugang zum persönlichen Netzwerk sehen.

Ich habe in den letzten Monaten gemerkt, wie sehr mir mein Netzwerk in dieser Krise geholfen hat. Ich konnte viele Leute anrufen und um Rat bitten. Außerdem habe ich viele tolle Kooperationspartner*innen, die gesagt haben: Ja, klar, jetzt erst recht, jetzt braucht ihr uns ja! Ein Netzwerk zeigt sich nicht, wenn die Sonne scheint. Es zeigt sich in Krisenzeiten. Und das ist das Entscheidende.

Fiel dir Netzwerken schon immer leicht?

Ich war nie die geborene Netzwerkerin. Aber ich habe schon immer gerne Menschen zusammengebracht und das später auch bei meinen Jobs gemacht. Ich habe gelernt mein Netzwerk aktiv für mich zu nutzen. Zu fragen, wenn ich Hilfe brauche oder nicht mehr weiter weiß.

Wie baue ich mir ein starkes Netzwerk auf?

Netzwerken basiert auf Geben und Nehmen. Aber ich kann erst geben, wenn ich weiß, wo ich stehe. Das Wichtigste ist deshalb, sich Gedanken über sich selbst zu machen und zu überlegen: Was kann ich richtig gut? Was sind Talente oder Kompetenzen, die ich mitbringe und die ich meinem Netzwerk zur Verfügung stellen kann? Bin ich künstlerisch begabt? Oder bin ich besonders gut organisiert? Das klingt profan und super einfach. Ist aber enorm wichtig.

Der nächste Schritt ist zu überlegen: Was möchte ich eigentlich von meinem Netzwerk? Was ist mein Ziel? Möchte ich mich in einem Jahr selbstständig machen? Möchte ich die Branche wechseln?

Vom Ziel hängt die Zielgruppe ab. Wo erreiche ich meine Expert*innen? Das ist mit den sozialen Netzwerken einfacher denn je. Sie sind ein hierarchiefreier Raum und es ist erst einmal irrelevant, ob jemand ein besonders hohes Level hat oder erst am Anfang seiner Karriere steht. Ich kann also mit den Menschen, mit denen ich in Kontakt treten will, in Kontakt treten. Diese drei Tipps sind gerade für den Beginn entscheidend. Danach ergibt sich vieles von selbst.

Das heißt, ein Post oder eine direkte Nachricht kann die Grundlage für ein Netzwerk sein?

Ich erinnere mich an den Punkt, an dem ich meinen Job gekündigt hatte, ohne etwas Neues zu haben. Ich war verzweifelt und habe mich gleichzeitig geschämt, weil ich nicht wusste, was ich machen will. Heute sehe ich viele selbstbewusste Menschen in meiner Timeline, die ihre digitalen Kanäle nutzen, um genau das auszusprechen. Die posten zum Beispiel: Ich habe meinen Job gekündigt oder wurde gekündigt, meine Talente sind XY. Solche Tweets haben zum Teil enorme Reichweiten, weil Menschen anderen Menschen helfen wollen. Eine solche Solidarität wäre ohne die sozialen Netzwerke nicht möglich. In den digitalen Netzwerken geht es nicht immer darum zu senden. Sie helfen mir, auf Menschen zu treffen, die mir wiederum helfen können.

Meine Botschaft wäre immer: Ohne Vielfalt keine Innovationen! Das ist eine Grundbotschaft, die alle Menschen mitbekommen sollten.

Foto: Peter Rigaud

Hast du das Gefühl, dass der gegenseitige Support unter Frauen in den letzten Monaten zugenommen hat?

Female Empowerment ist speziell im letzten Jahr viel, viel stärker geworden. Es wird fast schon zelebriert und das finde ich extrem gut. Das liegt auch daran, dass prominente Vertreter*innen ihre Stimme nutzen. Der Feminismus ist in der Breite und in der Wirtschaft angekommen. Früher war es schon fast verpönt, Feminist*in zu sein, heute fällt es auf, wenn du kein*e Feminist*in bist. Und das finde ich super. Für mich ist immer wichtig, dass es echt ist. Wenn du Empowerment zelebrierst, gerade auf Social Media, dann muss drin sei, was hinten drauf steht. Wenn es nur darum geht, einem Hype gerecht zu werden, ist es unglaubwürdig.

Welche Botschaft würdest du gern auf eine Plakatwand schreiben?

Meine Botschaft wäre immer: Ohne Vielfalt keine Innovation! Das ist eine Grundbotschaft, die alle Menschen mitbekommen sollten. Vielfalt ist der Treiber für Wirtschaftsunternehmen, für die Gesellschaft und die Politik.

Die Frauenquote soll mehr Vielfalt in Unternehmen fördern. Wie sinnvoll findest du diese Regulierung?

Ich war wegen der üblichen Argumente lange Zeit gegen die Frauenquote, aber ich habe meine Meinung stark geändert. Mit „Global Digital Women“ beraten wir Unternehmen zu mehr Diversität. Dadurch hatte ich tiefe Einblicke und habe immer wieder gesehen, dass es eben nicht an den Frauen liegt, sondern an den tradierten Strukturen. Die kann die Quote durchbrechen.

Gleichzeitig sehen viele Diversität noch immer als feministisches Projekt. Wo aktivistische Feminist*innen im Netz unterwegs sind, die Fahne hochhalten und für Frauenrechte kämpfen. Aber Diversität ist auch Treiber von wirtschaftlichem Erfolg. Diese Veränderung im Mindset schafft wirklich nur die Quote. Die Unternehmenskultur wird sich dann allein dadurch ändern, dass mehr Frauen in den Vorständen und Aufsichtsräten sind und jüngere Frauen sehen: Es geht eben doch! Ich kann es schaffen, selbst wenn die Strukturen nun mal so sind, wie sie sind. Weil es ein Element gibt, das es mir möglich macht. Deshalb bin superfroh, dass dieses Gesetz endlich im Begriff ist Realität zu werden.

Wir reden ja zum Teil über eine Frau mehr. Über eine einzige! Deshalb ist es schon traurig, dass es so viel Gegenwind gibt. Aber das ist für mich noch ein Beweis, dass es die Quote braucht, um eine diverse Wirtschaft auf die Beine zu stellen.

Dieses Jahr hat noch mal gezeigt, wie tief Stereotype und Schubladen in Deutschland noch verankert sind.

Der „Stern“ versammelte Ende November 40 prominente Frauen aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kultur, die offen sagen: „Ich bin eine Quotenfrau.“ Die Reaktionen fielen von „großartig“ bis „peinlich“ sehr gemischt aus. Wie fandest du die Aktion?

Der Begriff ist natürlich total emotionalisiert. Aber ich fand und finde die Aktion nach wie vor grandios, weil es ihr gelungen ist, den gesellschaftlichen Zwiespalt über die Frauenquote und die Diskussion darüber auf den Punkt zu bringen.

Gleichzeitig hat die Diskussion gezeigt, mit welchen Zuschreibungen Frauen zu kämpfen haben und wie stark wir immer noch gelabelt werden. Heute ist es die Quotenfrauen, morgen die Rabenmutter. Das sind Dinge, von denen wir dachten, sie 2020 überdauert zu haben. Aber dieses Jahr hat noch mal gezeigt, wie tief verankert Stereotype und Schubladen in Deutschland sind. Sie sind in der Debatte um Gleichstellung, Diversität und Inklusion das größte Hemmnis. Dieses Schubladendenken und die Erwartungshaltung, die von der Gesellschaft, zum Teil auch von der Wirtschaft an Frauen herangetragen wird.

Diese Debatte zu diskutieren und allen den Spiegel vorzuhalten, kann helfen. Und das hat die Stern-Aktion definitiv gemacht. Sie hat uns allen den Spiegel vorgehalten und eine Diskussion angeregt. Insofern super. Trotzdem hoffe ich, dass die negative Konnotation des Begriffs „Quotenfrau“ endlich weggeht und wir Frauen einfach als Frauen bezeichnen.

Gelebte Vielfalt bedeutet auch jedem und jeder den Raum zu geben, so sein zu können, wie er oder sie ist.

Du hast mal gesagt, dass roter Lippenstift für dich Emanzipation bedeutet. Wieso eigentlich?

Bei Frauen wird einfach alles bewertet. Ob ich Lippenstift trage oder nicht, Turnschuhe oder High Heels, bin ich ganz in Schwarz gekleidet oder laufe ich in Pink rum. Davon müssen wir wegkommen. Bei Herrn Altmaier oder dem CEO der Deutschen Telekom interessiert es doch auch niemanden, was er anhat.

Emanzipation bedeutet für mich Unabhängigkeit – vor allem ideelle Unabhängigkeit. Ich mache mich nicht davon abhängig, wer mir sagt, wie ich auszusehen haben oder was ich anziehen sollte. Das ist für mich Empowerment durch und durch und ein Teil von Diversität. Wenn in der Wirtschaft alle nur blaue oder graue Anzüge tragen und gleich aussehen, ist das nicht divers.

Foto: Urban Zintel

Diversität drückt sich für dich also auch durch Kleidung aus?

Gelebte Vielfalt bedeutet jedem und jeder den Raum zu geben, so sein zu können, wie er oder sie ist. Warum soll ich mich einem vermeintlichen Kodex anpassen, der subtil rauf und runter definiert wird? Nur weil alle so aussehen, heißt das noch lange nicht, dass ich auch so aussehen muss. Alle reden über Authentizität in der Arbeitswelt. Authentisch und glaubwürdig bin ich, wenn ich mich nicht verkleiden muss und so sein kann, wie ich will.

Auch in der öffentlichen Berichterstattung werden Frauen deshalb anders beschrieben. Da liest man dann, wie ihr Augenaufschlag ist, welche Haarlänge sie haben und wie ihr Haar weht. Was haben solche Informationen mit der Person und ihrem Inhalt zu tun? Wenn wir das so machen, dann fairerweise auch bei Männern. Dann möchte ich auch etwas über den Augenaufschlag von Herrn Söder lesen.

Was ist der beste Business-Tipp, den du je bekommen hast?

Hinfallen, aufstehen, weitermachen! Nie darüber nachdenken, was ist, sondern darüber, was sein kann und wohin ich möchte.

Vielen Dank für das Interview, Tijen!

Hier findet ihr Tijen Onaran:

Hier findet ihr „Global Digital Women“:

Hier könnt ihr die Bücher „Nur wer sichtbar ist, findet auch statt“ und „Die Netzwerkbibel“ von Tijen Onaran kaufen:

 

 

Teaserfoto: Urban Zintel

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