In Deutschland leiden rund 4,2 Prozent der Erwachsenenbevölkerung unter einem Burnout-Syndrom. Laut dem Robert Koch-Institut (RKI) leiden Frauen dabei mit 5,2 Prozent häufiger unter dem chronischen Erschöpfungssyndrom als Männer (3,3 Prozent). Aber was steckt aus klinischer Sicht eigentlich genau hinter einem Burnout? Welche präventiven Maßnahmen gibt es und wie schafft man es, einen gesunden Umgang mit sich selbst und dem eigenen Leistungsanspruch zu entwickeln?
Darüber sprechen wir mit Anna Maxhofer. Sie ist Psychologische Psychotherapeutin mit Schwerpunkt für kognitive Verhaltenstherapie. In der Privatpraxis „Maxhofer & Winke“ in München behandelt sie Patient*innen mit verschiedenen psychischen Krankheitsbildern. Auf „Instagram“ teilen sie und ihre Kollegin Stefanie Winke Einblicke aus dem Praxisalltag und der Psychologie.
Anna Maxhofer: Burnout ist in den letzten Jahren ein bisschen zu einem Modebegriff geworden, der eher das Gefühl beschreibt, ausgebrannt zu sein. Noch ist Burnout auch keine offizielle psychische Diagnose, das kommt erst im neuen Diagnosemanual, dem „ICD-11“.
Burnout ist im Grunde deckungsgleich mit einer Erschöpfungsdepression. Es zeigt sich in Symptomen auf vier verschiedenen Ebenen: der emotionalen Ebene, der gedanklichen Ebene, der Verhaltensebene und der körperlichen Ebene. Dauermüdigkeit und Erschöpfung sind dabei die Hauptsymptome.
Dazu kommen sozialer Rückzug, Leistungsabfall, Konzentrationsschwierigkeiten, Schlafstörungen, eine generelle Hoffnungslosigkeit und depressive Verstimmungen. Sehr präsent sind bei einem Burnout auch die körperlichen Symptome, die sehr individuell ausfallen können. Burnout kann sich durch Migräne, Rückenschmerzen, Verstärkungen von Allergien, Tinnitus, Bluthochdruck und generelle Herz-Kreislauf-Probleme zeigen.
Beim Burnout muss für eine Diagnose auch der Arbeitsbezug klar gegeben sein. Es gibt aber viele Überschneidungspunkte zwischen Depression und Burnout.
Man kann sagen: Jede*r, der*die ein Burnout hat, ist auch depressiv, aber nicht jede*r, der*die Depressionen hat, ist genauso erschöpft wie jemand im Burnout. Beim Burnout muss für eine Diagnose auch der Arbeitsbezug klar gegeben sein. Es gibt aber viele Überschneidungspunkte zwischen Depression und Burnout.
Das ist tatsächlich einer der wichtigsten Punkte, denn ein Burnout kommt nie von heute auf morgen. Es ist immer ein schleichender Prozess, der meistens über Monate und manchmal auch über Jahre andauert. Ganz am Anfang stehen meistens typische Stresssymptome. Das sind Phasen, in denen man sehr angespannt ist, das Herz anfängt zu rasen, man zittert und schwitzt vielleicht mehr.
Rein formal, wie es der „ICD“ vorgibt, muss es im Arbeitskontext sein. Aus Sicht der psychologischen Praxis würde ich aber sagen, dass der Konflikt nicht im Zusammenhang mit der Arbeit stehen muss. Es geht, wie bereits erwähnt, eigentlich nie darum, dass man zu viel macht, sondern um innere und äußere Konflikte.
Ein innerer Konflikt könnte sein, dass man ein Leben lebt, das nicht zu den eigenen Bedürfnissen passt oder dass man nicht weiß, wer man eigentlich ist und welche Werte man vertritt. Äußere Konflikte können beispielsweise Mobbingsituationen, ungesunde Beziehungen, ein Verlust oder ein Scheitern sein.
Es gibt eine Persönlichkeit, die tendenziell eher Burnout gefährdet ist. Bestimmte Persönlichkeitsmuster finden sich wiederum in bestimmten Berufsgruppen wieder – somit gibt es sicherlich einen Zusammenhang.
Burnout ist im Grunde ein Symptom. Dieses entsteht aus inneren Zuständen oder Lebensumständen und ist quasi ein gescheiterter Lösungsversuch. Es ist dann in der Therapie wichtig, die eigenen Verhaltensweisen zu hinterfragen: Warum schaffe ich es nicht, mich aus einer Beziehung zu lösen, die mir nicht guttut? Warum kann ich mich nicht von meinem Chef abgrenzen und Nein sagen? Warum muss ich immer mehr leisten?
Das sind Prägungen, die in der sehr frühen Kindheit festgelegt werden und aus der Dynamik mit den primären Bezugspersonen resultieren. Wurde ich beispielsweise nur gesehen und geliebt, wenn ich etwas geleistet habe, dann kann das später in derartigen Mustern enden.
Es ist wichtig, diese im Rahmen der Therapie zu durchbrechen. Aus schematherapeutischer Sicht kann man sagen, dass Menschen, die ausbrennen, häufig auf einer sehr kindlichen Ebene unterwegs sind. Ein gesunder Erwachsener kann erkennen, dass es vollkommen okay und wichtig ist, Nein zu sagen. Eine Person im kindlichen Modus hingegen gerät in Panik und Stress. Das sind meist unbewusste Mechanismen, die erst in der Therapie erkannt werden.
Die meisten Menschen landen typischerweise erstmal mit körperlichen Beschwerden bei eine*r Hausärzt*in. Es braucht dann einen wachen Blick des*der Ärzt*in, um ein Burnout zu erkennen.
Therapie ist hilfreich, wenn man die Ursachen bekämpfen möchte. Natürlich kann man auch erstmal nur die Symptome angehen, sich Auszeiten nehmen und das Ganze an der Oberfläche behandeln. Jedoch muss man dann Glück haben, dass die Lebensumstände günstig bleiben, damit man in Zukunft nicht wieder an denselben Punkt kommt.
Dafür ist es wichtig, in der Tiefe zu verstehen, wie diese Muster entstanden sind und wie man neue, gesündere Verhaltensweisen nutzen kann. Diese Dinge lernt man in der Regel in der Therapie. Erstmal ist es aber wichtig, überhaupt innezuhalten und sich selbst wieder zu spüren. Dafür muss man in den inneren Dialog treten und sich selber hinterfragen: Warum arbeite ich so viel? Was steckt dahinter und wo liegt mein innerer Konflikt?
Es bedarf einem Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Menschen, die ein Burnout haben, spüren sich nicht mehr.
Das sind im Grunde die gleichen Empfehlungen wie zur Bekämpfung: Es bedarf einem Bewusstsein für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Menschen, die ein Burnout haben, spüren sich nicht mehr. Sie sind in ihrem Muster und funktionieren, haben aber die Beziehung zu sich selbst verloren. Es ist also wichtig, immer mal wieder nach innen zu hören, hin zu fühlen und Dinge zu tun, bei denen man sich spürt, wie beispielsweise Tanzen, Singen, Sport treiben oder in die Natur gehen. So bleibt man im Kontakt mit sich.
Grundsätzlich gilt: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht, aber man kann das Gras informieren. Konkret kommt es darauf an, wie nahe ich der Person stehe. Bei manchen Menschen kann man es aktiv ansprechen und sagen, dass man sich Sorgen macht, man kann anbieten, darüber zu sprechen oder sich gemeinsam zu informieren.
Bei anderen Personen ist es besser, es nicht so direkt anzusprechen, sondern ihnen vielleicht eine Podcast-Episode oder einen Artikel zu dem Thema zu schicken. Dann konfrontiert man den Menschen nicht direkt, tritt ihm oder ihr nicht zu nahe, aber stellt trotzdem Informationen zur Verfügung. Manchmal muss der Leidensdruck aber auch einfach erstmal groß genug werden, bis die Person gewollt ist, etwas zu verändern.
Es kann passieren, dass ganze Teams ausbrennen. Auch hier ist es in der Regel so, dass nicht das Arbeitspensum dafür entscheidend ist, sondern beispielsweise Konflikte zwischen den Mitarbeitenden vorliegen. Eine gute Führungskraft hat solche Situationen im Blick, nimmt die Bedürfnisse der Mitarbeitenden wahr und fragt aktiv nach.
Ich muss mich selbst kennenlernen, meine Werte und Grenzen erkennen und merken, wenn ich in ein Muster falle, in dem ich meine Grenzen überschreite.
Ich muss mich selbst kennenlernen, meine Werte und Grenzen erkennen und merken, wenn ich in ein Muster falle, in dem ich meine Grenzen überschreite. Dafür muss ich mich hinterfragen, meine Gefühle erkennen und fürsorglich mit meinen kindlichen Anteilen umgehen.
Ich muss mir selbst zu verstehen geben, dass ich liebenswert und wertvoll bin, auch wenn ich mal keine Höchstleistung erbringe. Anschließend muss ich aber auch das Gefühl dazu aushalten. Hier braucht es Strategien der Selbstfürsorge und Emotionsregulation. Sehr wichtig ist es auch, ein soziales Netz zu haben. Menschen, die keine soziale Unterstützung haben, brennen sehr viel leichter aus. Meine Kontakte zu pflegen kann somit auch ein präventiver Faktor sein.
Ich muss mir selbst zu verstehen geben, dass ich liebenswert und wertvoll bin, auch wenn ich mal keine Höchstleistung erbringe.
In allen Beziehungen – egal, ob Arbeit oder im Privaten – ist es wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen herzustellen. Es ist wichtig, dass man anderen mit Offenheit, Wertschätzung und auf Augenhöhe entgegentritt und dass man auch das Gefühl hat, dasselbe entgegengebracht zu bekommen. Wenn dem nicht so ist, muss ich lernen, mich dafür einzusetzen.
Das heißt, ich muss mich selbst kennen und verstehen lernen und wenn ich merke, dass ich meine Grenzen überschreite, dann muss ich innehalten und neue Umgangsweisen finden – das ist quasi Therapie in a nutshell.
Foto: Maxhofer & Winke
Teaserbild: Adobe Stock
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