Die Agentur Offlines ermutigt zum Abschalten

Als Macherinnen eines Online-Magazins verbringen wir logischerweise ganz schön viel Zeit online. Die anstehenden Feiertage möchten wir deshalb nicht nur entspannen, sondern wenn möglich auch mal abschalten. Eine Zeit lang nicht aufs Handy schauen, keine E-Mails beantworten, keine Feeds durchscrollen oder Likes vergeben. Aufs Abschalten, den sogenannten „digital detox“, und eine gesunde Balance zwischen Arbeit und Freizeit hat sich die Berliner Agentur offlines spezialisiert. Mit Co-Gründerin Annika Dipp sprechen wir via Skype darüber, wie es gelingt, Smartphone, Laptop und Tablet auch einmal links liegen zu lassen.

 

femtastics: Warum ist das Internet schädlich für uns?

Annika Dipp: Schädlich per se ist es nicht. Das Internet birgt natürlich unfassbar viele Vorteile, die das Leben und den Alltag erleichtern. Das fängt dabei an, Kontakt zu Freunden auf anderen Kontinenten zu halten, und hört nicht dabei auf, eine Adresse in einer fremden Stadt zu finden, damit man rechtzeitig zu seinem Termin kommt. Die Risiken ergeben sich durch unseren Umgang damit. Wir sind umfassend vernetzt und dank Smartphones, Tablets und anderen mobilen Geräten permanent online. Auch die Wissenschaft setzt sich mittlerweile mit den Fragen auseinander, die sich daraus ergeben: Was macht das „always on“ Sein mit dem einzelnen Menschen, mit der Gesellschaft und mit unserer Kommunikation? Diese Fragen haben auch wir bei offlines uns gestellt. Wir möchten das Internet nicht mehr missen, aber es ist wichtig, es bewusst und reflektiert zu nutzen. Man sollte sich ab und zu fragen: Was machen fortschreitende Digitalisierung und permanente Erreichbarkeit mit mir und meinem Alltag? Viele Menschen schauen nur noch auf ihr Smartphone und bekommen von ihrer Umgebung gar nichts mehr mit.

Digital Detox ist ein neues Buzzword. Es gibt Digital Detox Camps, in denen Menschen tagelang offline sind und auch ihr habt einen Digital Detox Coach in eurem Team. Was genau passiert bei einer „digitalen Entgiftung“?

Diese „digital detox“ Bewegung ist in den USA entstanden, im Silicon Valley, man könnte sagen: in der Höhle des Löwen. Auf solchen mehrtägigen Camps in den USA geht es vor allem darum, dass man sein Smartphone und alle Geräte abgibt. Auch seinen echten Namen gibt man ab und bekommt einen Fantasienamen. Für drei Tage ist man völlig offline – und landet danach aber in seinem alten Leben und es geht weiter wie zuvor. Unser Angebot zielt auf Nachhaltigkeit und Umsetzbarkeit im Alltag. Man kann das vielleicht mit einer Null-Diät vergleichen. Wenn man merkt, dass man sich nicht wohl fühlt mit seinem Körper, hilft auch nicht die „Sieben Tage Ananas-Diät“, sondern eine Ernährungsumstellung. Bei unseren Workshops und Seminaren werden auch alle Geräte abgegeben, für die Dauer der Veranstaltung, aber es geht darum, die eigene Mediennutzung zu hinterfragen und Erkenntnisse zu gewinnen.

Viele Menschen merken erst, wenn sie ihr Smartphone eine Weile nicht benutzt haben, wie gut ihnen das getan hat.

Was lernen die Teilnehmer?

Sie lernen, sich im Alltag kleine Oasen zu schaffen. Phasen, in denen man nicht von der E-Mail-Flut überwältigt wird oder nicht ständig den News-Feed checkt. Viele Teilnehmer merken erst, wenn sie ihr Smartphone eine Weile nicht benutzt haben, wie gut ihnen das getan hat. Wenn wir ihnen die Smartphones zurückgeben, sagen viele: „Ich weiß gar nicht, ob ich es wiederhaben will. Es war so schön, es mal nicht zu haben.“ Es ist so ähnlich, wie wenn man eine Dunstabzughaube beim Kochen angeschaltet hat: Man gewöhnt sich an das Grundrauschen – und erst, wenn man sie abschaltet, merkt man, wie erholsam die Stille ist. Diesen Effekt stellen wir auch bei unseren Teilnehmern fest.

Warum müssen wir abschalten lernen?

Es ist interessant und mittlerweile wissenschaftlich belegt, was bei uns im Gehirn passiert, wenn wir mit dem Handy interagieren. Durchschnittlich sind wir circa zweieinhalb Stunden am Tag mit dem Handy beschäftigt, davon aber nur rund sieben Minuten mit Telefonieren. Das Smartphone ist wie ein Glücksspielautomat fürs Gehirn: Man schaut drauf, weil man sich davon eine Belohnung verspricht. Es könnte ja sein, dass ich eine neue WhatsApp-Nachricht habe, oder neue Likes für mein Instagram-Foto, usw.! Im Gehirn werden dabei die Belohnungsareale angesprochen und es kommt zu einer Dopamin-Ausschüttung. Und diese Dopamin-Ausschüttung gibt es im Gehirn nicht nur, wenn wir wirkliche eine „Belohnung“ bekommen, sondern die Verheißung allein reicht schon aus. Das führt dazu, dass wir ständig aufs Handy schauen wollen. Zusätzlich sind wir auf der Suche nach Bestätigung, zum Beispiel, wenn wir ein Foto hochgeladen haben. Noch dazu haben wir Angst, etwas zu verpassen. Durch all diese Aspekte fällt es immer schwerer, eine Zeit lang nicht aufs Handy zu schauen. Viele unserer Teilnehmer erzählen uns, dass sie das gar nicht mehr können. Sie sagen: „Ich lasse mich morgens vom Handy wecken und sobald ich es in der Hand habe, ist es zu spät. Dann schaue ich sofort in E-Mails und Apps.“ Sie stecken direkt in der Schleife, aus der sie den ganzen Tag über nicht mehr herauskommen.

Wenn man mal zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre weiter denkt: Woraus bestehen unsere Erinnerungen? Wir stellen gerne die Frage: Erinnern Sie sich an ihre schönste Google-Suche?

Manche Leute würden sagen: Was ist schlimm daran?

Schlimm ist es einerseits, weil man dadurch ganz viel verpasst, was um einen herum passiert. Natürlich haben wir spannende Nachrichten, schauen uns Filme und andere Inhalte an und fühlen uns bereichert. Aber wenn man es einen Schritt weiter denkt, ist die Frage, was davon bleibt. Wenn man mal zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre weiter denkt: Woraus bestehen unsere Erinnerungen? Wir stellen gerne die Frage: Erinnern Sie sich an ihre schönste Google-Suche? Das ist der eine Aspekt: Man generiert keine eigenen Geschichten mehr. Der andere Aspekt ist: Man ist ständig abgelenkt und der eigene Alltag fragmentiert sich. Man kommt gar nicht mehr in einen konzentrierten, fokussierten Zustand  – um Aufgaben zu erledigen, die Zeit erfordern, oder auch, um einfach mal runterzukommen. Diese ständige Ablenkung wirkt sich nachteilig auf die Konzentrationsfähigkeit aus. Darunter leidet am Ende auch die Produktivität. Im Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat fast jeder Zweite angegeben, dass er sich durch diese ständigen Unterbrechungen überlastet fühlt – besonders am Arbeitsplatz.

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Unser Interview findet übrigens online statt. 🙂

Man ist ständig abgelenkt und der eigene Alltag fragmentiert sich. Man kommt gar nicht mehr in einen konzentrierten, fokussierten Zustand.

Können wir unser Gehirn denn wieder umgewöhnen und von der vom Smartphone ausgelösten Dopamin-Sucht loskommen?

Es ist etwas, was man trainieren muss. Es reicht nicht, mal einen Off-Day einzulegen. Es geht darum, dass man seinen Alltag nachhaltig ändert. Je nach Mensch ist das unterschiedlich. Ich kenne auch Leute die sagen: „Ich empfinde das überhaupt nicht als Belastung.“ Nicht jeder Internet-User hat ein Digital Detox nötig. Wir richten uns an Menschen, die sich davon unter Druck gesetzt fühlen.

An den Feiertagen wollen viele Menschen abschalten und zur Ruhe kommen. Wie kann das gelingen?

Wichtigste Regel: Bildschirme aus dem Schlafzimmer verbannen. Ihr bläuliches Licht wirkt sich negativ auf die Melatonin-Produktion aus, dem Hirn wird signalisiert: Es ist Tag, sei wach! Das kann die Schlafqualität beeinträchtigen. Deshalb lieber wieder den analogen Wecker auf den Nachttisch stellen. An Weihnachten kann man zudem mit der Familie einen Geräte-freien Tag vereinbaren. Wenn man gemeinsam unterm Baum sitzt, lässt man die Handys einfach mal aus und schaut, wie man sich noch unterhalten kann. Auch die zwischenmenschliche Kommunikation verändert sich ja. Wir hatten eine Teilnehmerin, die hat ganze Beziehungskrisen nur über WhatsApp ausgetragen. Es gibt auch eine Übung, die man alleine machen kann. In so genannten „leeren“ Momenten, zum Beispiel wenn man in der Schlange an der Kasse oder an der Bushaltestelle wartet und normalerweise das Handy rausholen würde, einfach mal nicht aufs Handy schauen und stattdessen den Moment aushalten. Vielleicht schult man seine Wahrnehmung, vielleicht schaut man sich die anderen Menschen an, vielleicht hat man Zeit für sich allein und seine Gedanken.

Bist Du an den Feiertagen auch offline – oder musst Du berufsbedingt arbeiten?

Ich werde tatsächlich einmal am Tag meine Mails checken, um zu schauen, ob etwas passiert ist, auf das ich reagieren muss. Aber ich werde mein Handy im Zimmer liegen lassen und nicht ständig bei mir haben, damit ich mit meiner Familie und meinen Freunden ungestört zusammen sein kann.

Also lieber kontrolliert einmal am Tag E-Mails checken und arbeiten, als permanent den ganzen Tag.

Genau, das legen wir auch immer unseren Teilnehmern ans Herz. Wenn man zum Beispiel in der Medienbranche arbeitet, dann muss man mitbekommen, was in der Welt passiert. Aber man kann sich kontrolliert Zeiten zum E-Mail-Lesen festlegen und dazwischen Zeit frei halten. Denn auch, wenn ich mal zwei Stunden nicht meine Mails lese, ist das in Ordnung und ich werde trotzdem einen guten Job machen.

Vielen Dank für das Gespräch, Annika!

 

Hier findet ihr Annika:

   

Fotos: femtastics

Ein Kommentar

  • Agatha Funk sagt:

    Verrückt mit diesen Smartphones. Meines war im letzten Jahr für zwei Wochen in Reparatur und ich hab am Ende wirklich überlegt, ob ich es überhaupt wiederhaben will. Ist schon angenehm, mal seine Ruhe zu haben. Aber ganz ohne geht irgendwie auch nicht. 🙂

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