Viele Symptome, eine Ursache: Das steckt hinter Hormonmangel

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6. September 2024

Welche Ursachen Hormonmangel hat, wie er sich äußert und was hilft.

Viele kennen sie, die Beschwerden, die uns im Job und im Alltag beeinträchtigen. Einige machen uns das Leben sogar richtig schwer: das Prämenstruelle Syndrom PMS, Myome, das Reizdarmsyndrom, Autoimmunerkrankungen, oder Schlafstörungen, Erschöpfungszustände. Nur wenige von uns wissen, dass aus dem Lot geratende Hormone mit all dem in Verbindung stehen können. Die Themen Frauengesundheit* und Hormone sind in der Gesellschaft noch immer weitestgehend in der Tabuzone und die Medizin behandelt die Folgen, weniger die Ursachen.

Astrid Müller ist Gesundheitswissenschaftlerin, Autorin und Aktivistin für Hormongesundheit – und möchte all das ändern. Sie engagiert sich für Hormongesundheit von Frauen* und jene Lebensphase, die alle von uns früher oder später erreichen: Das Midlife. Sie selbst erkrankt bereits als junge Frau* und versucht mit Nährstofftherapie und Nahrungsumstellung wieder gesund zu werden. Als sie frühzeitig in die Wechseljahre gerät, kommt sie ihrem chronischen Hormonchaos auf die Spur. Erst eine natürliche Hormontherapie hilft Astrid Müller schließlich. Sie beginnt zum Thema zu recherchieren und veröffentlicht das Buch „Hormonchaos. Viele Symptome eine Ursache“. Wir sprechen mit ihr über Möglichkeiten, die eigene Hormongesundheit zu fördern. 

Unser Wohlbefinden leidet unter geringfügigem Hormonmangel und wir können in der Folge krank werden.

femtastics: Was verstehst du unter „Hormonchaos“?

Astrid Müller: Unsere Sexualhormone regulieren weit mehr als die Reproduktionsfunktion und unsere Sexualität. Bereits kleinste Veränderungen in unserer Biochemie geben uns das Gefühl, jenseits unserer Mitte zu sein. Unser Wohlbefinden leidet unter geringfügigem Hormonmangel und wir können in der Folge sogar krank werden. 

Dabei kann ein Hormonungleichgewicht bereits in jungen Jahren auftreten, richtig?

Ja. Das Leben von uns Frauen* ist von zyklischen, hormonellen Schwankungen geprägt, die uns anfällig für Hormonmangel machen. Darüber fehlt es an Aufklärung. Schon junge Frauen* können beispielsweise PMS, das in der Folge von Progesteronmangel entsteht, entwickeln. Ein Mangel an diesem Hormon beeinträchtigt die Schilddrüsenfunktion. 

Anhaltende Schilddrüsenunterfunktion wiederum kann zu Gewichtszunahme, verlangsamter Verdauung, Depressionen und in die frühzeitigen Wechseljahre führen. Letztere bleiben bei jüngeren Frauen* medizinisch ebenso unerkannt wie unbehandelt. Das Hormon Progesteron hat im weiblichen Körper antientzündliche Wirkung und wenn es langfristig fehlt, können sich Autoimmunerkrankungen entwickeln.

In den Wechseljahren steigt bei Frauen* das Risiko, an Depressionen zu erkranken, um 40%.

Was kann ein Hormonungleichgewicht noch auslösen?

Neben Schilddrüsenfunktionsstörungen, Zyklusproblemen und frühzeitigen Wechseljahren können chronische Folgeerkrankungen auftreten. Leidet eine Frau* am Reizdarmsyndrom kann dies durch anhaltenden Progesteronmangel, später im Midlife Östrogenmangel bedingt sein. Östrogen- wie Progesteronmangel kann zudem Depressionen auslösen. Progesteron ist ein starkes, natürliches Antidepressivum und hat angstlösende Wirkung. 

In den Wechseljahren steigt bei Frauen* das Risiko, an Depressionen zu erkranken, um 40%. Das wissen nur sehr wenige Ärzte und Ärztinnen – und noch weniger betroffene Frauen*. Die ersten Symptome, wie Erschöpfung, können schon mit Ende zwanzig auftreten. Auch Migräne tritt sehr häufig auf, wenn die Hormone schwanken, genauso wie Autoimmunerkrankungen, Schlafstörungen, Magen-Darm-Probleme und Angsterkrankungen. 

Weitere, häufig erst nach Jahren befundete Erkrankungen, die mit hormonellem Ungleichgewicht einhergehen, sind Endometriose, PCOS oder das PMDS, das PMS mit starken depressiven Einbrüchen. Myome und Zysten bilden sich in der Folge von Hormonmangel. Die Liste an Beschwerden und Erkrankungen ist lang.

Ein Hormonmangel kann also zahlreiche Folgen über eine große Zeitspanne haben? 

Anhaltender Hormonmangel hat bei Frauen* einen Domino-Effekt, der im Laufe eines Frauenlebens* so manche Blüten tragen kann. Wir lernen mit unseren Beschwerden zu leben, im Job, in der Familienverantwortung. Im Midlife möchten wir nochmal durchstarten, denn wir haben die Ausbildung, verfügen über vielfältiges Wissen und Erfahrungen. 

Doch mit Eintritt in die Wechseljahre, die Menopause oder Postmenopause, welche mit herausfordernden körperlichen und psychischen Veränderungen einhergehen, werden viele Frauen* stark zurückgeworfen. In Deutschland steigen zehn Prozent aller erwerbstätigen Frauen* mit 45+ aus dem Job aus, weil sie im Wechsel schwer erkranken und arbeitsunfähig werden. Ab einem Alter von 55 sind es noch mehr. 

Ich möchte die verschiedenen Gesichter von Hormonmangel aufzeigen. 

Du hast dazu auch eigene Erfahrungen gemacht. Teilst du diese mit uns?

Ich selbst kämpfte schon als junges Mädchen mit schwerem PMS und Menstruationsbeschwerden, als junge Frau* auch noch mit Erschöpfung. Als schwere Gelenkschmerzen einsetzten, dachten meine Ärztin und ich an psychosomatische Gründe, weil ich im Job im Dauerstress war. Ohne therapeutischen Erfolg strandete ich in einer orthopädischen Rehaklinik, obwohl die frühzeitigen Wechseljahre mit sinkenden Östrogenspiegeln meine Gelenke kreischen ließen.

Ich habe viele Betroffene in meinem Umfeld – vor allem Frauen*. Nachdem sie ihre Hormone an den richtigen Orten, sprich, in auf Hormongesundheit spezialisierten Praxen untersuchen und behandeln ließen, gelangten sie zurück in ihre Mitte. In meinem Buch „Hormonchaos. Viele Symptome eine Ursache“ habe ich einige Erfahrungsberichte gebündelt, denn ich möchte die verschiedenen Gesichter von Hormonmangel aufzeigen. 

Was sind mögliche Ursachen für hormonelles Ungleichgewicht?

Die Liste der möglichen Ursachen für Hormonstörungen ist lang. 

  • genetisch bedingte Hormonstoffwechselstörungen
  • Umwelthormone (endokrine Disruptoren): Plastikverpackungen von Lebensmitteln und Kosmetika, Aluminiumsalze in Deodorants, Bodenbeläge, Farben, Feinstaub und andere
  • Einnahme von Kontrazeptiva (Antibaby-Pille, Spirale & Co)
  • medizinische Therapien, wie Chemotherapie oder die Entfernung der hormonproduzierenden Ovarien oder des Uterus
  • Virusinfektionen
  • Schilddrüsenfehlfunktionen
  • Unser Lebensstil

Und welche Rolle spielt Stress?

Stress drosselt die gesunde Hormonproduktion und führt zur Ausschüttung von Stresshormonen, besonders bei uns Frauen*. Wir haben anders Stress als Männer* und benötigen mehr Zeit, diesen wieder abzubauen. 

Das läuft konträr zu den Anforderungen, vor die wir uns gestellt sehen. Wir streben nach Traumjobs, engagieren uns – neben der Carework in der Familie – in der Freizeit, Gesellschaft und in der Politik, was häufig zu Überforderung und Stress führt. Anhaltender Stress geht immer zu Lasten unserer Hormonproduktion. 

Anhaltender Stress geht immer zu Lasten unserer Hormonproduktion. 

Welchen Einfluss haben Ernährung und Sport?

Ernähren wir uns regelmäßig von Fertigprodukten, Milchprodukten und Zuckrigem, essen wir zu wenig frisches Gemüse, zu viele Kohlenhydrate, die im Körper zu Zucker umgewandelt werden und zu wenig hochwertiges Eiweiß, erschweren wir unsere Hormonproduktion und befeuern Entzündungen. 

Stoffwechselfördernde, hormongesunde Ernährung ist eine wichtige Stellschraube für unsere Hormonbalance. Eine weitere ist die regelmäßige Bewegung. Wenn wir uns zu wenig bewegen, wird unser Hormonstoffwechsel zu wenig angeregt. 

Wie finde ich heraus, ob ich Hormonmangel habe?

In jungen Jahren und am Beginn der Wechseljahre schwanken unsere Hormonwerte stark, weshalb ein Hormontest nur bedingt Sinn macht. Unsere Symptome und Beschwerden sind demnach aussagekräftiger als ein Hormonlabor. Von einer hormonkundigen Ärztin im Gespräch abgefragt, weisen sie auf einen möglichen Hormon- und/oder Nährstoffmangel hin. 

Ein großes Blutbild kann Hinweise auf Organfunktionen, wie die Schilddrüsengesundheit und möglichen Nährstoffmangel liefern. Bei vielen Frauen* in der fruchtbaren Lebensphase sind beispielsweise die Eisenwerte im Normbereich, aber der Ferritinspeicher ist leer. 

Bei chronischer Erschöpfung können die Stresshormone und die Schilddrüsenaktivität samt ihrem Antikörper bestimmt werden, vor allem dann, wenn die Frau* bereits autoimmunkrank ist. 

Viele Wechseljahresbeschwerden werden von den betroffenen Frauen* gar nicht als solche erkannt.

Und wenn man bereits in den Wechseljahren ist?

Bei Frauen* in fortgeschrittenen Wechseljahren bildet ein vollständiges Profil der Sexualhormone und Testosteron ihren Hormonstatus ab. Viele Wechseljahresbeschwerden werden von den betroffenen Frauen* gar nicht als solche erkannt. Gewichtszunahme, Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Brainfog, schwindende Libido, juckende Haut und viele mehr. Sich die eigenen Beschwerden zu notieren, eine Art Beschwerdeprotokoll zu führen, hilft beim Arztbesuch, denn so können alle Symptome benannt werden. Letztlich sind die Laborwerte immer nur in Kombination mit der eigenen Symptomatik aussagekräftig. 

Das medizinische Bagatellisieren von „frauentypischen* Beschwerden“ steht Hormongesundheitsförderung im Weg.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Wenn sich Frauen* trotz gesunder Ernährung, ausreichend Schlaf, Sport und Stressmanagement jenseits der eigenen Mitte fühlen, helfen womöglich bioidentische Hormone. Es ist wichtig, sich selbst Wissen anzueignen – auch über die bioidentische Hormontherapie, die leider bis heute mit der in Verruf geratenen Hormonersatztherapie auf Basis synthetischer Hormone verwechselt wird. 

Je besser wir informiert sind, desto leichter kann ich im Arztgespräch meine Therapieoptionen abwägen. Was mir eine wichtige Botschaft an alle Frauen* ist: Das medizinische Bagatellisieren von „frauentypischen* Beschwerden“ steht Hormongesundheitsförderung im Weg. Nicht zuletzt, weil Hormongesundheit im Medizinstudium und der Facharztausbildung nicht gelehrt werden. Frauen* werden immer noch mit Aussagen wie „Machen Sie mal etwas langsamer, dann geht’s Ihnen auch wieder besser“ vertröstet, obwohl ihre Hormongesundheit aus dem Ruder läuft. 

Was muss sich hier also dringend ändern?

Ich wünsche mir, dass von den Arztpraxen bis in die Unternehmen hinein die Hormongesundheit von Frauen* enttabuisiert wird. Auch, weil Frauenhormongesundheit* und die Wechseljahre längst ein Business Case sind. Deshalb biete ich ab jetzt Workshops in Unternehmen zum Thema Frauengesundheit und Wechseljahre an. 

Hier findet ihr Astrid Müller:

Collage: „Canva“

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