Werden in 2024 Erfolgsdruck und stets steigende Produktivität ersetzt durch ein größeres Verlangen nach Faulheit? Und wie gefährlich kann dieser „Lazy Girl“-Trend eigentlich sein in einem Jahr, in dem (politischer) Aktivismus wichtiger denn je ist? femtastics Autorin Rhea Meissner untersucht die Gründe für den großen Wunsch nach weniger Selbstoptimierung und Erschöpfung – und stattdessen mehr Work-Life-Balance und Müßiggang in einer eh schon beschleunigten Welt.
Dieses Jahr habe ich meine Vorsätze für 2024 bis tief in den Januar hinein prokrastiniert. Die Zeit um den Jahreswechsel verbrachte ich damit, ein Paradies der Entschleunigung um mich herum zu schaffen. Eines Abends werde ich allerdings beim Scrollen von der Werbeanzeige einer Selbstoptimierungs-App gestört, die mit der Überschrift „exit your lazy era“ nach Teilnehmer*innen sucht, die unter Prokrastination leiden.
Das Wort „lazy“ ist doppelt unterstrichen, darunter befindet sich die Zeichnung einer auf dem Bauch liegenden Person, die das Gesicht ins Kopfkissen gepresst hat. Die App, die verspricht mich zu energetisieren und mich zur „intelligentesten Person im Raum“ zu machen, lade ich nicht herunter. Stattdessen frage ich mich, wie viele Menschen sich gerade von ihrem Algorithmus der Faulheit bezichtigen lassen und: Haben wir kollektiv die „Lazy Girl“ Era erreicht?
„Die Entdeckung der Faulheit“ schlägt seine Wege alle paar Jahre in aktualisiertem Gewand durch die gesellschaftspolitischen Debatten.
„Die Entdeckung der Faulheit“ schlägt seine Wege alle paar Jahre in aktualisiertem Gewand durch die gesellschaftspolitischen Debatten. Die französische Autorin Corinne Maier diagnostiziert schon Anfang der 00er-Jahre in ihrem gleichnamigen Bestseller, dass Unternehmen alles andere als humanistische Institutionen seien. Ihr zynischer Überlebenstipp ist der geringstmögliche Einsatz gepaart mit dem niedrigsten Risiko.
Maier kann also als Vorreiterin des Trend-Hashtags #lazygirljob gelten, unter dem langweilige, aber stressfreie und flexible Jobs romantisiert werden, die den Fokus auf andere Bereiche des Lebens ermöglichen. In der leistungsorientierten chinesischen Kultur gewinnt analog hierzu das soziale Phänomen Tang Ping („flach liegen“) an Bedeutung. Hier ist die Rebellion gegen eine Kultur der Vernachlässigung persönlicher Bedürfnisse auch das Resultat des schnellen Wirtschaftswachstums und somit ein Zeichen für wachsenden Wohlstand.
Unter dem Trend-Hashtag #lazygirljob werden langweilige, aber stressfreie und flexible Jobs romantisiert, die den Fokus auf andere Bereiche des Lebens ermöglichen.
Müßiggang in einer beschleunigten Welt des unablässigen Wachstums klingt doch eigentlich gar nicht so schlecht. Vielleicht ist Faulheit sogar das einzige Heilmittel gegen die sogenannte Erwachsenenstarre, in der selbst einfache Aufgaben zu einer großen Hürde werden. In dem Roman „Mein Jahr der Ruhe und Entspannung“ der Autorin Ottessa Moshfegh will eine namenlose New Yorkerin – jung, schön und gebildet – einfach nur schlafen, um der Oberflächlichkeit der neurotischen Arbeitswelt zu entfliehen. Ihr Ziel: sich von sämtlichen Einflüssen betäuben, um die innere Stimme zu finden.
Aber woher kommt dieses Verlangen nach mehr Faulheit? Eine Erklärung: Das Fazit des selbst auferlegten Erfolgsdrucks ist für viele Berufseinsteiger*innen schlichtweg ernüchternd. Dennoch meldet sich beim Betrachten der Anzeige, die mir vorwirft, „lazy“ zu sein, meine innere Kritikerin aus dem Winterschlaf und ich frage mich, wie viel Faulheit am Ende wirklich gut für uns ist?
Oft wird Faulheit als das Gegenstück zur Produktivität definiert. Dessen großer Bruder, die Selbstoptimierung, ist dabei im übertriebenen Ausmaß alles andere als produktiv und endet nicht selten in akuter Erschöpfung. Die Burnout-Zahlen in Deutschland steigen seit Jahren an. Statistisch gesehen sind Frauen* hierbei in jeder Altersklasse häufiger von der Krankheit betroffen (im Jahr 2022 kommen sie auf 208 Arbeitsunfähigkeitstage je 1.000 „AOK“-Mitglieder, bei den Männern* sind es durchschnittlich 120 Tage).
Faulheit bedeutet nicht immer polemische Leistungsverweigerung, sondern kann in Form des Müßiggangs, also dem entspannten und von Pflichten befreiten Ausleben der eigenen Person, als Schutz vor (Selbst-)Ausbeutung gelten. Nicht zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes beizutragen, ist keine negierende Einstellung zu produktiven Aktivitäten an sich. Ein „Lazy Girl“ zu sein, bedeutet daher nicht zwingend, Faulheit um jeden Preis zu romantisieren. Es handelt sich um eine Prioritätsverschiebung vom kommerziellen Erfolg zur Work-Life-Balance, die schon Millennials einforderten und die jetzt von einer desillusionierten Gen Z gelebt wird.
Diese Einstellung hat etwas Subversives. Die selbstbestimmte Zeit- und Rolleneinteilung innerhalb des kapitalistischen Systems richtet sich gegen die Aufrechterhaltung einer konservativen und potenziell diskriminierenden Position. Außerdem kann es von Vorteil sein, sich Kapazitätsreserven zu schaffen – insbesondere im Anbetracht der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen. Andererseits ist es wichtig zu differenzieren: Handelt es sich bei dem „Lazy Girl“ Phänomen wirklich um Entschleunigung oder um ein Verharren in Bequemlichkeit?
Die Arbeit einfach niederzulegen, zu reduzieren oder nach eigenen Wünschen zu flexibilisieren, kann sich schlichtweg nicht jede*r leisten.
Flach zu liegen ist die kulturelle Disruption der bestehenden Glaubensansätze, wie Menschen zu handeln haben, um produktive Mitglieder der Gesellschaft zu sein. Gleichzeitig ist es ein Privileg, da wachsende Wohlstandsgefälle für ungleiche Bedingungen sorgen. Die Arbeit einfach niederzulegen, zu reduzieren oder nach eigenen Wünschen zu flexibilisieren, kann sich schlichtweg nicht jede*r leisten. Müßiggang ist folglich eine Errungenschaft und kein Makel. Die Befreiung des Wortes von seiner negativen Konnotation als eine der sieben Todsünden ist daher längst überfällig.
Bequemlichkeit kann in anderen Bereichen allerdings hinderlich, ja sogar gefährlich werden. Angesichts des akuten Rechtsdrucks können wir uns beispielsweise keine politische Passivität mehr leisten. Unter dem Vorwand der „Selfcare“ in Bequemlichkeit zu verharren, ist 2024 demokratiegefährdend.
Unter dem Vorwand der „Selfcare“ in Bequemlichkeit zu verharren, ist 2024 demokratiegefährdend.
Trotz des Vorsatzes, mir weniger Druck zu machen und Entschleunigung ohne Schuldgefühle zuzulassen, möchte ich dieses Jahr zu keinem „Lazy Girl“ werden. Denn der Januar hat gezeigt: Wir müssen unsere gesammelten Kapazitäten nutzen, um uns aufzuraffen und aktiv zu werden.
Text: Rhea Meissner