Erwarten wir zu viel von Paarbeziehungen?

21. September 2023

Ein Leben lang bekommen wir diese eine Geschichte der romantischen Beziehung erzählt: die Suche nach dem perfekten Menschen, das Verlieben, das Zusammenziehen, Heirat, Kinder, Haus. Verliebt, verlobt, verheiratet. Dass Paarbeziehungen schon lange nicht mehr so aussehen (müssen), jede dritte Ehe geschieden wird und es immer mehr Single-Haushalte gibt, wissen wir alle längst. Trotzdem halten viele an diesem Ideal der romantischen Paarbeziehung fest. Warum ist das so?

In der neuen Folge unseres Podcasts „femtastics Deep Dive“ sprechen wir mit Soziologin und Autorin Dr. Andrea Newerla darüber, wie ein neues, zeitgemäßes Verständnis von Beziehung aussehen kann und warum das uns allen – und auch unseren Paarbeziehungen – gut tut.

Hat die klassische Paarbeziehung bzw. das Narrativ von der romantischen Paarbeziehung ausgedient? Bzw. ist das noch zeitgemäß?

Dr. Andrea Newerla: Empirisch können wir sehen, dass die Paarbeziehung noch immer die dominante Form ist, wie man Vergemeinschaftung gesellschaftlich organisieren kann. Das Narrativ der romantischen Liebe wirkt auf einer anderen Ebene und ist immer noch sehr wirkmächtig. Der Versuch meines Buches ist es, das aufzugreifen und zu sagen: Wir brauchen auch andere Erzählungen. Denn die Empirie wiederum zeigt uns auch, dass Paarbeziehungen eben nicht mehr so stabil und langfristig von Dauer sind wie vielleicht noch vor 50 Jahren oder 100 Jahren. Damals gab es keine Möglichkeiten, sich aus Paarbeziehungen und Ehen zu lösen.

Du sprichst hier die Scheidungsrate an?

Die Scheidungsrate ist in den letzten Jahren massiv angestiegen, auch wenn es in den letzten Jahren eine kleine Veränderung gab. Bei den Heiratsraten gibt es wieder einen kleinen Anstieg. Aber langfristig kann man sagen, dass wir eben eine steigende Zahl an Scheidungen haben und eine sinkende Zahl an Eheschließungen.

Und gleichzeitig auch eine steigende Zahl an Singlehaushalte.

Was ja auch nicht zwingend Menschen sind, die vorher in der Ehe gelebt haben. Es kann ja auch sein, dass man sich von vornherein entweder freiwillig dafür entscheidet oder einfach als Single lebt. Oder eben auch in Paarbeziehungen als Single lebt. Also wir wissen über die Zahl der Singlehaushalte nur, dass es Ein-Personen-Haushalte sind. Wir wissen nicht, ob das wirklich Menschen sind, die in keinen Paarbeziehungen oder anderen Beziehungen sind. Diese Zahl ist ebenfalls sehr gestiegen.

Es gibt dieses Narrativ der romantischen Paarbeziehung, was sich auf ein Muster runterbrechen lässt: nämlich sich verlieben, ein Paar werden, sich zunehmend auf einander fokussieren, zusammenziehen, den Bund fürs Leben eingehen, Kinder bekommen, ein Haus kaufen. Das ist ein bisschen diese ewige Story von der Suche nach „The One“, die wir immer wieder hören. Und du sagst, diese Suche ist eigentlich nicht mehr zeitgemäß?

Sie ist in dem Sinne nicht zeitgemäß, dass sie so nicht mehr funktioniert. Wenn wir uns die Realitäten vieler Paarbeziehungen und Ehen anschauen, sehen wir, dass wir heute von einer seriellen Romantik sprechen müssen, also dass die Paarbeziehungen sich ablösen durch andere Paarbeziehungen. Gerade die jüngere Generation ist massiv davon „betroffen“. Sie sind diejenigen, die die Serialität auch erleben, das ist der Status quo mittlerweile.

Serialität heißt, ich habe eine Beziehung, die dauert eine Weile oder auch eine kürzere Weile und dann folgt eine andere Beziehung.

Das ist eine Serie von sich aneinander reinen Beziehungen statt eine lange exakt. Die Paarbeziehung dauert dann vielleicht drei, vier, sechs Jahre und dann passt es aus welchen Gründen auch immer nicht mehr. Dann wird sich wieder neu verliebt und die Erzählung geht von vorne los. Und immer eigentlich mit der Erwartungshaltungen, dass das diesmal irgendwie klappen wird und hält. Die Erfahrung der meisten Menschen ist aber, dass das nicht stimmt, also dass diese Erzählung nicht die Glückseligkeit bis zum Ende ihres Lebens bringt, wie sie einem gesellschaftlich präsentiert wird.

In der romantischen Liebe wirkt ein Glücksversprechen, was vor einigen Jahrzehnten oderJahrhunderten nur die Religion stiften konnte.

Nun könnte man ja eigentlich die Erkenntnis haben, dass diese Serialität vielleicht doch die Normalität ist. Warum fällt das den Menschen so schwer? Warum kann man sich nicht von diesem Lebensentwurf lösen, dass es diesen einen, vermeintlich perfekt zu einem passenden, Menschen gibt? Das ist ja wirklich paradox. Was wirkt denn da so stark in uns allen?

Man könnte es akzeptieren. Man könnte sich auch frei von dem Druck machen, sich ständig dieser Erzählung hingeben zu müssen. Deswegen spreche ich ja vom „Romantik Diktat“. Ich glaube, das Narrativ funktioniert deswegen so gut, weil ein großes Glücksversprechen mit verknüpft ist. Also, wenn wir das finden können, dieses Glück, dieses romantische Glück, dann ist es das größte Glück, was wir aktuell haben können.

Es gibt auch Soziolog*innen, die sagen, dass es einen quasi religiösen Charakter hat. In der romantischen Liebe wirkt ein Glücksversprechen, was vor Jahrzehnten und Jahrhunderten nur die Religion stiften konnte. Es geht natürlich auch um Sicherheit. Aber der wesentliche Punkt für viele ist diese Vorstellung, dass wir hier unser Glück finden können. Andere Erzählungen gibt es eben nicht, die ähnliche Versprechen machen oder ähnliche Möglichkeiten aufzeigen. Dass ich auch mit Freunden glücklich sein kann, dass ich auch alleine glücklich sein kann. Was heißt denn überhaupt alleine? Sind die Menschen dann wirklich alleine oder haben sie eben andere Beziehungen, die relevant sind?

Das ganze Interview mit Dr. Andrea Newerla hört ihr in unserer Podcast-Episode!

Jetzt auf „Spotify“ hören!

Jetzt auf „Apple Podcasts“ hören!

Wir freuen uns, wenn ihr „femtastics Deep Dive“ weiterempfehlt, unseren Podcast abonniert und bitte hinterlasst uns eine Bewertung auf der Podcast-Plattform eurer Wahl. Wenn ihr Themenideen, Fragen oder Anregungen habt, könnt ihr uns gern eine Mail schicken an podcast@femtastics.com.

Außerdem könnt ihr uns jetzt auf „Steady“ unterstützen!

Illustration: Adobe Stock

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert