Sonja Unger ist psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie. Sie hat sich 2014 selbstständig gemacht und arbeitet zwar nicht ausschließlich, aber überwiegend, mit Frauen*. Dadurch hat sie ein großes Interesse für Female Health Themen und den Einfluss von Hormonen auf die psychische Gesundheit entwickelt. Über diese Themen klärt sie auch auf ihrem Instagram Kanal @psych.sonja.unger auf. Wir haben mit ihr über PMDS (Prämenstruelle dysphorische Störung) gesprochen und sie gefragt: Was genau ist PMDS und was sind die Unterschiede zu PMS? Was können Betroffene tun und wie weit ist die Forschung in dem Bereich?
Manche Menstruierende erleben unkontrollierbare Wut, die sie im Rest des Zyklus gar nicht von sich kennen.
Sonja Unger: Ich merke, dass wir Frauen* immer noch damit zu kämpfen haben, wie wir aufgezogen wurden. Die Rolle des braven Mädchens, das alles stemmt und sich um alles und jeden kümmert, ist tief verankert. Diese Glaubenssätze sitzen selbst bei jüngeren Patientinnen und bei Frauen*, die durchaus feministisches Gedankengut in sich haben, sehr tief.
Oft liegen hier totale Schwierigkeiten vor, entgegen der Rollenbilder zu handeln, weil es häufig schuldbehaftet ist, sich davon zu lösen. Zudem finde ich den Zusammenhang von Hormonen und Psyche sehr interessant, weshalb ich mich auch vermehrt mit den Themen PMS und PMDS beschäftigt habe.
PMS, das Prämenstruelle Syndrom, kennen etwa 75 Prozent der Menstruierenden. Darunter fällt ein sehr breites Symptombild, zum Beispiel Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit, Ermüdbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und vieles mehr. Die Symptome treten etwa ein, zwei Tage vor Beginn der Menstruation auf. Die Beschwerden sind ätzend, aber die meisten menstruierenden Menschen schaffen es dennoch, ihren Alltag zu bewältigen.
PMDS hingegen betrifft etwa zwei bis fünf Prozent der Menstruierenden. Es handelt sich um eine sehr starke Ausprägung der PMS. Manche Menstruierende erleben hier unkontrollierbare Wut, die sie im Rest des Zyklus gar nicht von sich kennen. Das kann zu Problemen in Beziehungen und im Beruf führen. Auch eine stark ausgeprägte Depression mit Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Antriebsmangel und einem schlechten Selbstwert kommt vor. Die Symptome können bis zu zwei Wochen vor der Menstruation andauern und sind so sehr einschränkend und belastend. Aufgrund des starken Leidensdrucks haben Betroffene sogar ein erhöhtes Suizidrisiko.
Meist tritt PMDS ab 30 oder 40 Jahren auf, häufig erst nach den Geburten von Kindern.
Zu PMS weiß man sehr wenig, obwohl es beinahe alle Menstruierenden betrifft. Über PMDS wird im englischsprachigen Raum viel geforscht. Hier wurde eine genetisch bedingte Hormonüberempfindlichkeit festgestellt. Professor John Studd, ein Forscher aus England, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, hat herausgefunden, dass es am Progesteron liegt. Manche Frauen* entwickeln im Laufe des Lebens eine Unverträglichkeit gegen die Abbauprodukte von Progesteron. Meist tritt PMDS ab 30 oder 40 Jahren auf, häufig erst nach den Geburten von Kindern.
Die Bonner Uniklinik hat sich auf gynäkologische, psychosomatische Erkrankungen spezialisiert und beschäftigt sich auch mit PMDS. Es ist jedoch eine der wenigen darauf spezialisierten Stellen in Deutschland, ansonsten ist es immer noch wenig verbreitet, dass es das überhaupt gibt. Sie haben ein Zyklustagebuch entwickelt, mit dem man sehr gut nachvollziehen kann, ob Beschwerden zyklusbedingt sind. Hier werden körperliche, soziale sowie psychische Faktoren berücksichtigt und so kann man diese gut von einer Depression abgrenzen.
Ich würde generell raten, ein Zyklustagebuch zu führen und darin alles festzuhalten. Wenn man sieht, dass Beschwerden scheinbar durchaus hormonell bedingt sein könnten, ist es sinnvoll, mit einer Gynäkologin darüber zu sprechen – am besten mit einer Person, die sich hier ein bisschen auskennt. Leider gibt es in Deutschland noch wenig Aufklärung und generell sehr wenig deutsches Infomaterial dazu.
Vielleicht werden häufig Erkrankungen, die mit Hormonen zu tun haben könnten, vorschnell in eine psychische Schublade gesteckt.
Es gibt Frauen*, denen die Pille hilft, insbesondere die, die man durchnimmt, da sie den Zyklus und somit die Beschwerden unterbindet. Aber auch diese muss immer zwischendurch ausgesetzt werden, damit die Gebärmutterschleimhaut ausgeschieden werden kann. Zudem kann die Pille Nebenwirkungen haben, die man dafür in Kauf nehmen muss. Gerade von PMDS betroffene Frauen* könnten unter den Gestagen haltigen Pillen aufgrund der Progesteronunverträglichkeit verstärkte Beschwerden entwickeln.
Manche versuchen es mit Antidepressiva, weil man weiß, dass die Hormone im Gehirnstoffwechsel mit dem Serotoninstoffwechsel zusammenhängen. Hier wirken besonders Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gut. Aber auch die Einnahme von Antidepressiva kann wieder Nebenwirkungen mit sich bringen.
Professor John Studd macht es ganz anders: Er gibt den Frauen* mit PMDS, die ja allergisch gegen Progesteron sind, Östrogen. Dadurch wird der Eisprung unterdrückt. Mit einer nur 7- statt 14-tägigen Progesteron-Einnahme wird dann die Periode eingeleitet, um die aufgebaute Schleimhaut ausstoßen zu können. Er empfiehlt auch für den Notfall, wenn der Kinderwunsch abgeschlossen oder nicht vorhanden ist, die Gebärmutter und die Eierstöcke gänzlich zu entfernen, was schon ein extremer Ansatz ist. Diese Behandlungsformen gibt es in Deutschland noch gar nicht. Eine Entfernung der weiblichen Geschlechtsorgane wird bei uns meist nur in Extremfällen mit starken Blutungen oder sonstigen Beschwerden in Betracht gezogen.
Es ist einfach sehr individuell, jede Frau* muss quasi selbst herausfinden, was ihr gut tut. Das ist natürlich mühsam. Oft wird man bei Frauenärzt*innen auch nicht ernst genommen, sondern mit Beschwerden nur belächelt. Im neuen Klassifikationssystem, dem ICD-11, wurde PMDS endlich als gynäkologische Erkrankung aufgenommen. Ich hoffe, das trägt zur Aufklärung bei.
Frauen* leiden viel häufiger unter Depressionen und Angsterkrankungen. Die Zahl der weiblichen Betroffenen ist vor allem in den Phasen hormoneller Umstellungen besonders hoch: Einsetzen der Periode, Wechseljahre, Wochenbettdepression.
Bei PMS sehe ich mehr Handlungsspielraum. Hier kann man über Strategien der Selbstfürsorge sowie dem Konflikt- und Stressabbau therapeutisch viel bewegen. Dasselbe gilt für traumatische Erlebnisse, die PMS-Beschwerden erschweren können, jedoch in der Therapie gut aufgearbeitet werden können.
Bei PMDS ist es deutlich schwerer. Ähnlich wie bei einer schweren Depression fehlt es den Betroffenen hier oft an Energie. Man kann zwar Strategien entwickeln, um beispielsweise mit Impulsen der Wut oder mit depressiven Symptomen umzugehen, aber eine ganzheitliche Linderung kann oft nicht erzielt werden.
Generell ist mir im Rahmen meiner Nachforschungen die Vermutung gekommen, dass es vielleicht viel mehr Erkrankungen gibt, die mit Hormonen zusammenhängen könnten. Vielleicht werden häufig Erkrankungen, die mit Hormonen zu tun haben könnten, vorschnell in eine psychische Schublade gesteckt. Hinweise darauf gibt es in den geschlechtsspezifischen Zahlen zu psychischen Erkrankungen.
Frauen* leiden viel häufiger unter Depressionen und Angsterkrankungen. Die Zahl der weiblichen Betroffenen ist vor allem in den Phasen hormoneller Umstellungen besonders hoch: Einsetzen der Periode, Wechseljahre, Wochenbettdepression. Auch Ängste können sich nach Geburten oder auch zyklisch vor der Menstruation verstärken. Wir wissen noch so wenig über Hormone, obwohl sie einen so großen Einfluss auf unser psychisches und körperliches Wohlbefinden haben.
Nicht direkt zum Thema PMS/PMDS, aber in Bezug auf Dysmenorrhoe (Regelschmerzen), die fast alle Mädchen und Frauen* kennen, ist mir eine Sache besonders wichtig. Viele Menstruierenden halten die Schmerzen einfach aus, ohne Schmerztabletten zu nehmen. Das kann insofern gefährlich werden, als es das Schmerzgedächtnis stark beeinflusst, verändern kann, wie ich Schmerzen wahrnehme und so letztlich auch chronische Schmerzen auslösen.
Wer frühzeitig zu Schmerzmitteln greift, braucht insgesamt einfach weniger und läuft nicht Gefahr, das Schmerzgedächtnis zu trainieren. Wenn man zu lange wartet, ist das Blut schon voller Prostaglandine, einem Stoff, der den Schmerzreiz überträgt. Ist dieser ins Blut gelangt, wirken Medikamente nicht mehr oder nur sehr langsam. Natürlich kann man es erstmal mit Wärme probieren, aber generell rate ich: Man muss sich nicht mit Schmerzen rumquälen und darf ruhig zur Schmerztablette greifen.
Disclaimer: Mit „Frauen*“ sind in diesem Interview Menschen mit weiblicher Physiologie gemeint.
Podcast Folge der TK zum Thema PMDS
Uni Bonn: Zyklustagebuch als Behandlungsstütze
Forschung von Prof. John Studd
Fotos: Katharina Jehle
Layout: Kaja Paradiek
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