Anstelle einer endlosen Quelle von Serotonin verspüren viele beim Anblick sozialer Medien nur noch Überforderung, Müdigkeit oder Angst. Nutzer*innen ziehen sich in der Sehnsucht nach näherem Austausch vermehrt von Apps zurück. Warum femtastics-Autorin Rhea Meißner trotz akuter „Social Media Fatigue“ dem Algorithmus nicht entsagen kann und was sich sowohl auf Seiten der Plattformen als auch bei den Konsument*innen ändern muss, damit Social Media wieder Spaß macht, hat sie für uns aufgeschrieben.
Es hüllt in Selbstvergessenheit, macht lethargisch und verzerrt den Sinn für das Leben.
Es hüllt in Selbstvergessenheit, macht lethargisch und verzerrt den Sinn für das Leben abseits der Algorithmus-Bubble. Starre ich gedankenlos auf meinen Feed, sehe ich eine sorgfältig kuratierte Ansammlung an Bildschnipseln. Anspielungen, die bestimmen sollen, was andere über mich denken, damit ich es irgendwann selbst glaube.
Gerade erst habe ich aus dem Zug einen Urlaubspost hochgeladen. Dieser soll natürlich einen ganz bestimmten Vibe transportieren. Und vielleicht auch ein bisschen neidisch machen (schaut her, wir hatten einen Pool!). Die Reaktionen überwache ich im Fünf-Minuten-Takt, als wäre ich die Chefin einer Kommandozentrale, Head of Selbstdarstellung. Jeder Like, jeder Kommentar eine Streicheleinheit für mein Ego.
Die Halbwertszeit dieses Gefühls ist dagegen schnell erreicht. Schon bald kommen die Likes nicht mehr im Sekundentakt und alles ist beim Alten. Die „BeReal“-Benachrichtigung rettet vor der drohenden Abwesenheit chronischer digitaler Stimulation. Auf dem Doppel-Foto sieht man mich, mein Handgepäck und die grenzenlose Romantik des ICE-Interieurs. Als ich wieder zu „Instagram“ wechsle, überkommt mich dann aber doch eine Mischung aus Überforderung und Sterbenslangeweile.
Es ist ja nicht alles schlecht. Immer wieder inspirieren mich Bilder, Texte, Aufrufe und Infos zu Veranstaltungen. Aber die Unfähigkeit zum Setzen von Grenzen löst in mir eine überbordende Müdigkeit aus. „Social Media Fatigue“ ist dabei mehr als einer von vielen kurzlebigen Trendbegriffen, die ihren Ursprung in den Netzwerken finden, auf die sie abzielen. Das Wirtschaftsmagazin „The Economist“ schrieb zu Beginn des Jahres einen Leitartikel über „Das Ende des sozialen Netzwerkes“.
Die Unfähigkeit zum Setzen von Grenzen löst in mir eine überbordende Müdigkeit aus.
Damit gemeint ist der Zerfall der Einheit vom „Sozialen“ und vom „Medialen“ durch das vermehrte Bedürfnis, persönliche Interaktion und massenmediale Sender voneinander zu trennen. Mittlerweile haben auch eine Reihe psychologischer Studien das aus genau dieser Einheit resultierende Phänomen der Erschöpfung und des Rückzuges aus sozialen Medien untersucht. Leider stehen dabei häufig die Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Politik im Vordergrund.
Aus den alarmierenden Ergebnissen, die sich auf Nutzer*innen beziehen („die zwanghafte Mediennutzung löst eine Müdigkeit aus, die später zu erhöhter Angst und Depression führen kann“), leiten sich nur wie Floskeln klingende Tipps wie „reduzieren Sie ihren Medienkonsum“ ab.
Die Müdigkeit ist gekennzeichnet durch ein Gefühl der Überforderung, auf vielen Kanälen im always-on-Zustand zu interagieren. Grund dafür ist die zunehmende Unübersichtlichkeit: Zu viele „Freund*innen“, zu viele verschiedene Seiten und Features, die dazu programmiert sind, uns süchtig zu machen – und zu viel Zeit, die es kostet, alles zu überblicken. Aber auch Langeweile gegenüber des Bedeutungsverlustes von Inhalten prägt die zunehmende Abstumpfung.
Was aber bedeutet es, dass Konzerne uns mit ihren Codes ganz unreguliert „einfangen“? Und was müsste sich ändern, damit Social Media wieder Spaß macht?
In Stunde Drei meiner vierstündigen Zugfahrt von München nach Berlin schaffe ich es endlich, „Instagram“ gegen „Spotify“ einzutauschen und mehr als 15 Sekunden eines Songs am Stück zu hören. Ein ganzes Album von vorne bis hinten. Wer außer Fans von Taylor Swift schafft das heute noch? Ich schaue aus dem Fenster, wo das „Windows“-Startbild von 2001 im gleichen satten Grün wie das „brat“ Albumcover an mir vorbeirauscht: hügelige Wiesen, blauer Himmel. Wann hat es aufgehört zu regnen?
Manchmal ist das Verschwinden im Handy auch der Versuch, sich von der eigentlichen Müdigkeit zu erholen. Funktionieren tut das natürlich nicht. Während „Girl, so confusing“ läuft, komme ich langsam wieder zu mir. Fühle, dass ich durstig und hungrig bin. Die Realität fühlt sich jetzt wie eine übersättigte Virtual Reality Welt an.
Alles fühlt sich wie die Kopie von der Kopie an.
Die Magie der sozialen Medien ist aufgebraucht. Alles fühlt sich wie die Kopie von der Kopie an. So wie seit 15 Jahren immer weiter verblasste Arbeitszettel aus dem Biologieunterricht, fällt es schwer zu entziffern, was denn jetzt die eigentliche Aufgabe ist. Vernetzung mit beruflichen Kontakten? Mit Freund*innen? Politik? Authentizität? Oder doch nur die polierten Highlights?
Es gibt natürlich Apps, die sich spezialisieren. So wie „TikTok“, wo Sender*in und Empfänger*in wieder in zwei Entitäten gebrochen werden. Oder „BeReal“, das genau damit wirbt, dich nicht berühmt machen zu wollen. Ersteres kann sich kaum noch „soziales“ Medium nennen, da es eher einem endlosen Fernseh-Programm mit geringer Konzentrationsanforderung dient als zum sozialen Austausch aufzurufen.
Noch wird der Medien-Müdigkeit von den Betreiber*innen der größten Netzwerke kaum entgegengewirkt. Wieder einmal liegt die Verantwortung, dem Teufelskreis zu entfliehen, in der Hand der Konsument*innen. Die Studien haben in ihrem Appel, den Konsum zu verringern, kein Unrecht. Doch etwas spezifischer könnte ein Rezept gegen die Fatigue lauten: Du kannst und darfst dich von Plattformen zurückziehen. Die Welt wird nicht untergehen. Genauso kannst du jederzeit zurückkehren, wenn du bewusst aktiver Teil des Diskurses sein möchtest. Du darfst selektiv sein. Priorisiere Kanäle, die dir einen Mehrwert bieten. Poste nicht aus Pflichtgefühl, sondern wenn du etwas zu sagen hast. Der Verlust des Bewusstseins dafür, wer wir wirklich sind, ist oft die Ursache für Ängste – also halte daran fest, was sich für dich richtig anfühlt.
Letztlich soll das hier kein Appell für (noch mehr) Selbstoptimierung sein. Ja, es ist meine ungesunde Beziehung zu Social Media, die mich ermüdet. Aber es sind in erster Linie die Netzwerke selbst, die designt wurden, um mich abhängig zu machen. Ob diese also wieder zu einem inspirierenden Ort werden, liegt vor allem in der Hand der Entwickler*innen, an die ich folgende Worte richten möchte:
Dear Meta,
bitte zeige mir nicht immer die fünf gleichen Accounts mit den drei gleichen Aussagen an. Bitte überschwemme mich nicht mit (#Ragebait-)Inhalten, die ich lange anschaue, sondern mit solchen, die wirklich meinen Interessen entsprechen. Und zuletzt: Bitte, bitte unterscheide stärker zwischen echter Meinung und persönlichem Austausch und verstecktem Marketing-Content. Vielleicht würdest du mir dann wieder mehr Spaß machen, vielleicht muss ich für diese Utopie aber auch zu „Pinterest“ …
Nach weniger als einer Stunde habe ich das Album durchgehört. Ich fühle mich angenehm leicht. Die untergehende Sonne strahlt durch das staubverschmierte Fenster. Ich schaue auf mein Handy, dieses Mal ohne den Impuls grundlos danach zu greifen. Dort wartet eh nichts Neues auf mich, was soll ich schon verpassen? Die digitale Welt schwebt vor meinem inneren Auge davon. Ich gähne. Beim Gedanken an kleine bunte Quadrate schwirrt mir der Kopf. Ein letztes Mal für diese Zugfahrt öffne ich noch meinen
Sperrbildschirm. Dieses Mal, um „Instagram“ zu löschen. Mal sehen, wie lange es dieses Mal hält.
Text: Rhea Meißner
Collage / Foto: „Canva“ / Chiara Einsath