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Wellbeing

Wie man aus der Sportsucht zurück zur Balance findet

24. März 2025

geschrieben von Juliane Baxmann

Marie John im Interview über Sportsucht

So verhilft Sporttherapeutin Marie John Frauen* zu einem gesunden Körpergefühl.

Marie John (33) ist Sporttherapeutin und Ernährungsberaterin für Frauen*. Sie kennt die Schattenseiten des Leistungssports – und die toxischen Ideale, die viele Frauen* in ein extremes Verhältnis zu Bewegung treiben. Als ehemalige Leichtathletin weiß sie, wie Perfektionismus und Kontrolle den Körper langfristig schädigen können. Heute setzt sie sich dafür ein, Sport aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten: weniger Zwang, mehr Balance. Im Interview spricht sie über die Warnsignale von Sportsucht, den Einfluss von Social Media und warum es Zeit ist, Fitness neu zu definieren.

"No Pain, No Gain war für mich eine gelebte Realität – und das auf Kosten meiner Gesundheit."

femtastics: Im Leistungssport hast du viel Druck erlebt. Wann ist dein "perfekter, gesunder Ernährungsstil" in Perfektionismus umgeschlagen?

Marie John: Als das Ganze zwanghaft wurde und meine Lebensqualität massiv eingeschränkt hat. Ich habe Verabredungen abgesagt, um meine Routine durchzuziehen, bin mitten in der Nacht auf den Sportplatz gegangen, um mein Pensum zu schaffen. "No Pain, No Gain" war für mich eine gelebte Realität – und das auf Kosten meiner Gesundheit.

Frauen* stehen oft zwischen zwei Extremen: Sie sollen fit und stark sein, aber gleichzeitig schlank und feminin. Wie beeinflusst dieser Widerspruch die Beziehung zum eigenen Körper?

Enorm. Frauen* sind von Natur aus intuitiv, harmoniebedürftig und entscheiden oft aus dem Bauch heraus. Doch wir leben in einer Gesellschaft, die Leistung in den Mittelpunkt stellt. Dazu kommen Prägungen aus der Erziehung. Das macht es schwer, ein gesundes Selbstbild zu entwickeln.

Welche Anzeichen zeigen, dass Training mehr schadet als nützt?

Ein Schlüsselindikator ist die Motivation: Trainiere ich, um mich besser zu fühlen, oder nutze ich Sport, um Emotionen zu kompensieren? Sport ist ein Ventil für Stress, aber wenn er zur einzigen Bewältigungsstrategie wird, kann das problematisch werden. Warnsignale sind etwa chronische Erschöpfung, Schilddrüsenunterfunktionen, ein geschwächtes Immunsystem oder das Ausbleiben der Periode (ab drei Monaten spricht man von einer Amenorrhö). Auch Osteoporose kann eine Folge sein – das Problem beginnt oft schon in jungen Jahren.

"Sport ist ein Ventil für Stress, aber wenn er zur einzigen Bewältigungsstrategie wird, kann das problematisch werden."
Marie John

Marie hatte als Leistungssportlerin in der Leichtathletik schon früh mit Perfektionsdruck zu kämpfen.

Was hältst du von Social-Media-Trends wie "What I eat in a day" und "perfekten" Morgenroutinen?

Ich finde sie toxisch. Meist werden Routinen idealisiert dargestellt – aber wer hat in einem realistischen Alltag so viel Zeit? Viele Frauen* haben ohnehin einen sehr gesunden Lebensstil und versuchen dann, durch solche Tipps noch "gesünder" zu werden. Dabei verlieren sie oft die Balance. Es ist wichtig, sich zu fragen: Fühle ich mich durch diesen Content unter Druck gesetzt? Falls ja, hilft radikales Entfolgen.

Wie findet man einen gesunden Umgang mit Bewegung?

Das Wichtigste ist Flexibilität. Ein Trainingsplan muss zum individuellen Lebensstil passen, nicht umgekehrt. Auch der Zyklus spielt eine Rolle: In der zweiten Hälfte kann die Energie sinken, der Körper braucht mehr Kohlenhydrate. Hunger ist kein Feind, sondern ein Signal des Körpers. Wer gelernt hat, darauf zu hören, kann nachhaltig trainieren.

"Hunger ist kein Feind, sondern ein Signal des Körpers. Wer gelernt hat, darauf zu hören, kann nachhaltig trainieren."

Du hast einen langen Heilungsweg hinter dir. Was hat dir geholfen, wieder auf deinen Körper zu hören?

Viel Therapie. Ich musste den Ursprung meines Kontrollbedürfnisses verstehen – denn ob exzessiver Sport oder strenge Ernährung, all das hat mit Kontrolle zu tun. Erst als ich Tracking-Apps und Pulsuhren losgelassen habe, konnte ich wieder auf mein Bauchgefühl vertrauen.

Wenn du eine Sache im Fitness- und Gesundheitsdiskurs verändern könntest, was wäre das?

Das Bewusstsein für Extremismus. Gerade in der Social Media Bubble geht es nur noch um mehr, höher, weiter. Marathon, Ironman, Hyrox – wer "nur" fünf Kilometer läuft, bekommt keine Aufmerksamkeit. Dabei sind es oft diese kleineren, nachhaltigeren Schritte, die wirklich guttun. Balance ist das Allerwichtigste.

"Gerade in der Social-Media-Bubble geht es nur noch um mehr, höher, weiter. Dabei ist Balance das Allerwichtigste."

Falls ihr oder jemand in eurem Umfeld an einer Essstörung leidet oder aufgrund einer anderen psychischen Erkrankung professionelle Unterstützung benötigt findet ihr hier mehr Informationen. Die Nummer gegen Kummer bietet Betroffenen und Angehörigen rund um die Uhr Unterstützung an.

Hier findet ihr Marie:

Foto/Collage: Jasmin Albrecht/"Canva"