Neun Millionen Frauen* in Deutschland erleben gerade die Wechseljahre und trotzdem wird das Thema noch von vielen ignoriert. Journalistin, Podcasterin und Autorin Stephanie Hielscher, 46, setzt sich für Aufklärung ein und macht Vorbilder für das Älterwerden sichtbar. In ihrem Podcast “50 über 50” spricht sie mit 50 verschiedenen Frauen* offen über die Höhen und Tiefen, die Herausforderungen und vor allem über die Chancen des Älterwerdens.
Aus dem Podcast ist jetzt ein Buch entstanden: “So alt war ich noch nie. Über das, was uns ab 50 erwartet”. Wir sprechen mit Stephanie über Frauengesundheit und wie sie sich körperlich und psychisch auf die nächste Dekade vorbereitet. Sie erzählt außerdem, was sie aus den Gesprächen gelernt hat und welche Tipps sie uns allen mitgeben kann.
Wo sind die ganzen Infos über die Wechseljahre?
Stephanie Hielscher: In meinem früheren Podcast “5zu1” habe ich immer ein Thema pro Monat mit fünf Expert*innen zu diesem Thema gesprochen – von Weltraum bis Sport. Das Thema Wechseljahre war wie ein Rabbit Hole, aber darin gab es nicht viel zu finden. Ich habe mich gefragt, wo die ganzen Infos über die Wechseljahre sind?
Warum spricht niemand darüber, obwohl es ein Thema ist, das uns alle betrifft? Alle Frauen* kommen in die Wechseljahre, wenn sie das Glück haben so alt zu werden. Auch die Männer* sind davon betroffen, wenn sich bei den Frauen* etwas verändert. Dieses “nicht darüber sprechen” ist ein großes Phänomen – und total unsinnig.
Es geht uns allen besser, wenn wir unsere Gedanken, Gefühle und Geschichten teilen. Ich habe viel recherchiert und sowohl mit Expert*innen gesprochen als auch mit Frauen*, die genau in dieser Lebensphase sind. So ist “50 über 50” entstanden.
Das Thema Frauengesundheit! Und zwar nicht nur die Wechseljahre, sondern auch altersbedingte Erscheinungen und Erkrankungen in der Lebensphase und die damit verbundenen Fragen: Wie sorge ich vor? Wie gehe ich damit um? Was kann ich tun, um die Erkrankungen und Erscheinungen vielleicht etwas nach hinten zu schieben oder ganz zu vermeiden? Und was mache ich, wenn das nicht gelingt? Wir haben ja nicht auf alles Einfluss.
Die gute Nachricht ist, dass wir unsere Resilienz stärken können.
Ein weiteres wichtiges Thema ist Resilienz und wie wir sie stärken können. Das Leben geht auf und ab und die Einschläge kommen näher, je älter wir werden. Das Leben wird mit dem Älterwerden nicht ereignisloser und es kommen viele Herausforderungen auf uns zu, mit denen wir umgehen müssen. Die gute Nachricht ist, dass wir unsere Resilienz, also unser Immunsystem der Psyche, stärken können.
Das nächste große Thema sind Finanzen. Ich habe das Thema total vernachlässigt und bin jetzt dabei, meine Finanzen anzugehen. Vielen macht das Angst. Es stellt uns vor eine Ohnmachtssituation, dabei helfen oft schon kleine Schritte. Es gibt noch viele andere Themen: Wie verändert sich mein Selbstbild? Wie verändert sich meine Rolle in der Arbeit? Was passiert mit meiner Mutterrolle? Wie definiere ich mich als Frau* in der Gesellschaft?
Das Thema bioidentische Hormone ist riesig.
Das Thema bioidentische Hormone ist riesig. Dazu habe ich mit Sheila de Liz ein Interview geführt. Sie hat sich sehr früh mit dem Thema auseinandergesetzt und ihr Buch “Women on Fire” war eins der ersten, das ich über die Wechseljahre gelesen habe. Sie erklärt wirklich gut, warum wir keine Angst vor bioidentischen Hormonen haben müssen.
Ich habe zum Beispiel jetzt angefangen, Progesteron zu nehmen. Das ist das erste Hormon, das abfällt. Dafür wurde bei mir vorher die Brust ganz genau untersucht. Denn, wenn es schon Krebszellen im Körper gibt, würde die Zugabe von Progesteron das Wachstum dieser Krebszellen beschleunigen. Sie müssen aber vorher schon vorhanden sein, sie werden nicht durch Progesteron ausgelöst. Man sollte also auf jeden Fall immer mit seiner Ärztin oder seinem Arzt sprechen. Hormone sind keine Smarties und nicht jede Frau* braucht sie. Dazu muss man aber erstmal eine Person finden, die sich damit auskennt. Denn das Thema Wechseljahre wird im Studium und in der Ausbildung nicht abgedeckt.
Es gibt keine Abrechnungsziffer im Praxisalltag für Wechseljahresbeschwerden.
Gynäkolog*innen müssen sich auf eigene Kosten weiterbilden. Zudem gibt es keine Abrechnungsziffer im Praxisalltag für Wechseljahresbeschwerden. Das heißt, Ärztinnen und Ärzte verdienen damit kein Geld. Es muss also ein eigenes Interesse vorhanden sein, um sich überhaupt damit auseinanderzusetzen.
Zurück zu den bioidentischen Hormonen: natürlich nimmt man die nicht einfach so ein, aber wenn man Beschwerden oder Symptome hat, sollte man sich damit beschäftigen und abwägen. Sheila de Liz sagt auch, dass man nicht immer betrachten sollte, was passieren könnte, wenn wir bioidentische Hormone nehmen. Sondern, dass wir schauen sollten, was passieren kann, wenn wir sie nicht(!) nehmen. Es gibt sehr viele altersbedingte Krankheiten, die mit dem Abfall der Hormone zu tun haben und dem kann man vorbeugen, wenn man vorsorgt. Wir nehmen ja auch Nahrungsergänzungsmittel, wenn wir nicht gut versorgt sind. Dieses Umdenken hat noch nicht stattgefunden.
Ich fühle mich aufgeklärter. Es gibt ja den Begriff der toxischen Positivität und genau das will ich nicht. Ich möchte das Älterwerden nicht glorifizieren, auch wenn ich es selbst total schön finde. Mit Sicherheit werde ich noch an schwierige Punkte kommen. Mir geht es darum, ein realistisches Bild zu zeigen und gleichzeitig einen positiven Ausblick zu bieten.
Das heißt aber nicht, dass das Negative ausgeblendet wird. Ich will wissen, was auf mich zukommen kann, ich bin informiert, ich sorge für mich und ich hoffe, dass ich dadurch gut vorbereitet bin. Angst habe ich nie bekommen. Es gibt sehr viele Gründe, nicht zu verzweifeln, sondern sich zu freuen.
Ich möchte das Älterwerden nicht glorifizieren, auch wenn ich es selbst total schön finde.
Ich sehe den Longevity Trend zwiegespalten. Auf der einen Seite ist es natürlich total spannend, die neuen wissenschaftliche Erkenntnisse zu sehen. Die Forschung und Medizin dazu macht mich super neugierig. Auf der anderen Seite nimmt dieser Trend teilweise seltsame Formen an. Über Brian Johnson brauchen wir nicht zu reden, das ist einfach das Experiment eines Superreichen.
Ich finde es wichtig, dass jede*r ganz genau darauf achten sollte, was individuell wirklich gut ist und was nicht. Dahingehend finde ich diese ganzen Pläne schwierig: Essenspläne, Trainingspläne, Schlafenspläne und und und. Wenn ich das bei mir alles implementieren würde, würde mich das mega stressen. Das Thema sehe ich eher als Buffet, jede*r kann sich davon nehmen, was in den eigenen Alltag passt und so die eigene Gesundheit ein wenig verbessern.
Das sehe ich nicht so. Viele Informationen sind frei zugänglich und viele Dinge können auch ohne Geld umgesetzt werden. Natürliche gibt es einige Menschen, die das Thema auf die Spitze treiben und sich in exklusiven Gesundheitsressorts betreuen lassen. Das ist nur für ein paar wenige Menschen erreichbar und insofern natürlich problematisch.
Wir sollten respektvoll sein, mit allen Menschen natürlich, aber speziell mit Menschen in dieser Lebensphase.
Wir können offen und im Dialog sein. Und wir sollten respektvoll sein, mit allen Menschen natürlich, aber speziell mit Menschen in dieser Lebensphase. Wir sollten ihnen Raum geben und ihnen Verständnis entgegenbringen. Das Wissen findet momentan in einer kleinen Blase statt.
Ich habe das Gefühl, dass diese Bewegung noch nicht so weit vorangeschritten ist. Das liegt an vielen Faktoren. Unter anderem ist es eine finanzielle Frage. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich hatte eine Hautkrebserkrankung, über die ich im Buch schreibe. Das hat mir große Angst gemacht und neulich habe ich privat einen allgemeinen Check-up gemacht. Der Arzt hat mir verschiedene Dinge empfohlen, die sich aber alle nicht richtig anfühlten.
Also habe ich mir online noch eine Hormonsprechstunde gebucht. Das alles hat Geld gekostet und ich bin so privilegiert, mir das leisten zu können. Aber wer ist das schon? Deswegen muss sich ganz dringend politisch etwas ändern.
Es gibt die Bewegung “Wir sind NEUN Millionen”, bei der viele Menschen aktivistisch zusammenkommen und die sich zum Ziel gesetzt haben, die Wechseljahre gesellschaftlich zu enttabuisieren, für den Arbeitsplatz zu thematisieren und auf die gesundheitspolitische Agenda zu setzen.
Erst kürzlich gab es einen Gesetzesvorschlag im Bundestag, wie man die Menopause besser gesetzlich verankert. Die Wechseljahre müssen flächendeckend thematisiert werden und dafür gibt es politische Hebel. Ich komme übrigens gerne in jedes kleine Dorf und mache dort eine Lesung. Das meine ich ganz ernst. Das Wissen muss dahin, wo die Frauen* sind und die sind ja nicht alle in Berlin Mitte.
Ich habe mal eine Ausbildung zur Yogalehrerin gemacht und jetzt eine neue Ausbildung “Pro Age Yoga” begonnen. Es geht darum, wie man im Älterwerden und auch mit körperlichen Einschränkungen Yoga praktizieren und Benefits daraus ziehen kann. Es geht um Ernährung, Meditation, Entspannung und um körperliche Fitness.
Ich probiere gerade, meine Ernährung etwas sinnvoller zu gestalten. Außerdem versuche ich zu meditieren, was für mich eine große Herausforderung ist. Neue Routinen zu etablieren ist unglaublich schwer. Außerdem mache ich Kraftsport. Wenn man älter wird, lässt die Muskelmasse nach. In meinem Alter, mit 46, verlieren Frauen jährlich 3 Prozent ihrer Muskelmasse.
Ich fühle mich einfach wohl. Ich fühle mich angekommen.
Ich fühle mich einfach wohl. Ich fühle mich angekommen. Ich habe einen schönen Beruf, kann das machen, was ich möchte. Meine Familie macht mich glücklich und ich bin gesund. Von Jahr zu Jahr fühle ich mich selbstbewusster und ich bin mit meinem Körper zufriedener als noch vor zehn Jahren.
Ich lebe in einer tollen Stadt und mir geht es gut. Das hat viel damit zu tun, dass ich älter geworden bin und bestimmte Erfahrungen gemacht habe. Ich weiß, wie ich gut für mich sorgen kann und was und wer mir gut tut. Mittlerweile habe ich die Kraft, Nein zu sagen und mich von Dingen und Menschen zu verabschieden, die nicht in mein Leben passen. Ich bin nicht mehr so gefällig. Das fühlt sich gut an.
Das stimmt. Wir sind ja auch lange in bestimmten Rollen verhaftet. Wer zum Beispiel noch sehr kleine Kinder hat, hat kaum Freiräume für sich selbst. Da herrscht die Elternrolle vor oder der Beruf steht im Vordergrund und die Entwicklung kommt erst später.
Bei der Generation unserer Kinder wird das anders sein. Die wachsen mit einem ganz anderen Selbstverständnis von sich selbst auf. Sie sind viel mehr bei sich. Zudem sprechen wir heute viel freier über bestimmte Themen. Mein Sohn weiß ganz genau, was die Menopause ist und welche Struggles und Freuden man hat, wenn man älter wird. Ich finde diese Generation phänomenal!
Ich empfehle die” Big Five” und die “Little Three”. Wenn man es schafft, die umzusetzen, macht man schon viel richtig. Die “Big Five” sind Bewegung, Ernährung, Normalgewicht, nicht rauchen und keinen oder wenig Alkohol trinken. Wenn man sich daran mehr oder weniger hält, ist man auf körperlicher Ebene super aufgestellt.
Die “Little Three” sind Begeisterung, also neugierig und offen sein, und Gemeinschaft – also nicht nur für sich sein, sondern in Verbindung. Der dritte Punkt ist Entspannung. Damit ist gemeint, Stress abzubauen, denn Stress ist ungesund.
Das kann man durch unterschiedliche Methoden schaffen. Das kann Yoga sein oder ein Spaziergang. Mein Hund entstresst mich total. Er legt manchmal seine Pfote auf meine Hand, wenn ich das Handy nehme, weil er will, dass ich ihn streichle. Damit bin ich sofort im Hier und Jetzt. Ich möchte gesund älter werden, aber auch entspannt. Tipps und Maßnahmen müssen natürlich immer ins eigene Leben passen.
Es ist so wichtig, sich auszumalen, wie die nächste Lebensphase aussehen kann!
Ja, auf meiner Liste steht zum Beispiel Tennis. Ich würde so gerne wieder spielen. Wenn man älter wird, entdeckt man oft Leidenschaften aus der Kindheit wieder. Ich wollte mir das länger nicht erlauben, weil ich das als Rückschritt empfunden habe und mich weiterentwickeln wollte.
Es gibt diesen Satz von Goethe “Werde, der du bist.” – den finde ich gut. Ich glaube, man ist von Anfang an der oder die, der oder die man ist. Deswegen darf man sich erlauben, zu diesen Leidenschaften zurückzukehren. Ich würde gerne wieder Klavier spielen. Und ich möchte wieder nach New York reisen und meinem Sohn die Stadt zeigen, in der mein Mann und ich uns verlobt haben. Vieles mache ich jetzt schon. In den Herbstferien waren wir in Paris. Diese Art von Ausblick ist total wichtig. Deswegen habe ich die Gespräche geführt. Ich will ein Bild davon haben, was auf mich zukommt. Es ist so wichtig, sich auszumalen, wie die nächste Lebensphase aussehen kann!