Schluss mit dem pauschalen Pillen-Bashing! Über die Vorteile der Antibabypille als Medikament

20. Januar 2025

Vorteile der Antibabypille gibt es nicht? Oh doch!

Die Pille ist out. Immer mehr Frauen* setzen den Hormoncocktail aufgrund der Nebenwirkungen ab. Wo früher die weibliche Selbstbestimmung durch die Pille medial gefeiert wurde, wird heute die „Freiheit von der Pille“ gepriesen. Aber was ist mit denen, die die Antibabypille als Medikament verwenden? femtastics Autorin Hannah Jäger kritisiert einen Diskurs, der Druck auslöst und Frauen*, die auf die Pille angewiesen sind, vergisst.

Für mich stand fest: Niemals werde ich so radikal in meinen Hormonhaushalt eingreifen.

„Freiheit von der Pille“, „Hormonhammer“, „Teufelszeug“: Der Trend, die Pille abzusetzen, fiel genau in die Zeit, in der ich ein zuverlässiges Verhütungsmittel suchte. Als junge Erwachsene schien mir der Diskurs eindeutig zu sein: Wer heute noch mit der Pille verhütet, schluckt vor allem Nebenwirkungen ohne Ende.

Damals habe ich mich intensiv eingelesen, habe den emotionalisierten Diskurs auf Social Media verfolgt und viel zu männlicher Verhütung recherchiert. Für mich stand fest: Niemals werde ich so radikal in meinen Hormonhaushalt eingreifen. Und eine feministische Befreiung ist der Hormoncocktail bestimmt nicht.

Erstmals überholt das Kondom die Pille

Heute, sieben Jahre später, denke ich anders über die Pille – der Diskurs hat sich jedoch kaum verändert. 2023, zum 63. Geburtstag der Antibabypille, hat das Kondom die Pille erstmals als beliebtestes Verhütungsmittel abgelöst. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus demselben Jahr zeigt, dass vor allem junge Frauen* zunehmend auf hormonärmere Verhütungsmittel setzen. An sich eine sehr positive Entwicklung…

Der immer stärker emotionalisierte Diskurs setzt gerade junge Frauen* unter Druck.

Falschbehauptungen und ein einseitiger Diskurs, den ich gerne absetzen würde

… Gleichzeitig setzt der immer stärker emotionalisierte Diskurs gerade junge Frauen* unter Druck. Buzzwords wie „mit dem Zyklus in Einklang leben“, „natürlich verhüten“ trenden auf Social Media. Und wer will schon „unnatürlich“ leben? Verstärkt wird der zumeist einseitige Diskurs durch Falschbehauptungen, die vor allem Mädchen und jungen Frauen* in den „Tik-Tok“-Feed gespielt werden. Laut „Tagesschau“ seien zwei klassische Falschbehauptungen, dass die Pille unfruchtbar mache und man durch sie zunehme. Expert*innen entkräften diese Mythen und betonen, dass hormonelle Präparate individuell wirken.

Mich macht der meist einseitige Diskurs über die Pille wütend. Faktenbasierte Aufklärung über die Nebenwirkungen der Pille sind berechtigt und wichtig. Pauschal-Aussagen und der reine Fokus auf die Pille als Verhütungsmittel dagegen nicht. Vergessen wird im Bashing der Antibabypille, dass nicht alle Frauen* die Pille zur reinen Verhütung verwenden. Mir fehlt die Perspektive von Frauen*, die die Pille nehmen „müssen“. Die in der Pille eine Hoffnung auf mehr Lebensqualität sehen.

Mir fehlt die Perspektive von Frauen*, die die Pille nehmen „müssen“.

Vorteile der Antibabypille bzw. über Hoffnung auf ein schmerzfreies Leben

Jahrelang saß ich bei verschiedensten Frauenärztinnen und bekam immer wieder die klassische Antibabypille (Kombinationspille) gegen meine starken Menstruationsbeschwerden verschrieben. Genommen habe ich sie nie, zu groß war meine Angst vor den Nebenwirkungen.

Es hat 14 Jahre gedauert, bis ich meine Endometriose-Diagnose erhalten habe. Daraufhin wurde die Pille bzw. die Vorteile der Antibabypille für Endometriosepatientinnen wieder ganz neu Thema. Denn eine hormonelle Therapie will die Endometriose-Herde lahmlegen, indem der Zyklus ausgeschaltet wird und der Östrogenwert niedrig gehalten wird. Zurück zur Pille also: Nur, dass mir jetzt nicht mehr jede Pille pauschal empfohlen wird. Meistens probieren Frauen*, die an Endometriose erkrankt sind, zuerst eine gestagenhaltige Pille mit Dienogest im Langzyklus aus.  

„Die“ Pille gibt es gar nicht – die Suche nach der Richtigen

Viele Frauen vertragen eine rein gestagenhaltige Pille allerdings nicht und suchen jahrelang „nach der Richtigen“, nach der Pille, die zu ihnen individuell passt. Frustrierend ist hier vieles: Allen voran die Endometriose-Forschung, die jahrelang unterfinanziert war und erst seit 2024 in Deutschland mehr Gelder erhält. Viele Ärzte und Ärztinnen, die die Krankheit nicht erkennen, wodurch es bis zur Diagnosestellung im Schnitt sieben bis zehn Jahre dauert. Nach der Diagnose, von Ärzten und Ärztinnen geraten zu bekommen, die Nebenwirkungen nicht zu aufmerksam zu lesen, nichts zu googeln und weiter mit verschiedensten Pillen-Präparaten zu experimentieren. Der Druck, eine Pille finden zu müssen, mit der die körperlichen und mentalen Nebenwirkungen aushaltbar sind, um endlich schmerzfrei leben zu können. Und der Diskurs, der den Leidensdruck übersieht, der hinter der Suche nach der richtigen Pille steht. Und zuletzt der Druck, „natürliche hormonfreie“ Endometriose-Tipps in Form von Ernährung, Sport und Nahrungsergänzungsmitteln in die Timeline gespült zu bekommen.

Aber wenn eine an Endometriose Erkrankte eine Pille gefunden hat, die sie verträgt, kann ihr das sehr viel Lebensqualität zurückgeben. Ich betone: kann. Denn letztlich ist jede Frau* und jeder Hormonhaushalt anders und es eine sehr persönliche Entscheidung, eine Pille als hormonelle Therapie auszuprobieren oder nicht. Je nach Vorgeschichte und anderen Erkrankungen kann es sein, dass die Pille als hormonelle Therapie nicht infrage kommt.

Diskurs absetzen – und differenzierter über die Pille sprechen

Dabei ist Endometriose nur ein Beispiel für eine Erkrankung, deren Symptome durch die Einnahme der Pille gelindert werden können. Ähnliches gilt für PCOS (polyzystisches Ovarsyndrom), eine Stoffwechsel- und Hormonstörung, bei der die Eierstöcke von Betroffenen zu viel männliche Sexualhormone produzieren und es zu Zysten an den Eierstöcken kommen kann. Auch hier können hormonhaltige Verhütungsmittel wie die Antibabypille dabei helfen, den Blutungszyklus zu stabilisieren und Gebärmutterschleimhautkrebs vorzubeugen.

Zu gerne würde ich den einseitigen Diskurs über die Pille absetzen.

Erfolgsgeschichten durch die Antibabypille geben mir, als Betroffene, die noch auf der Suche nach der richtigen Pille ist, sehr viel Hoffnung. Langfristig hoffe ich, dass andere Medikamente als die Pille mit den verschiedensten Nebenwirkungen entwickelt werden.

Bis dahin wünsche ich mir mehr konstruktive Artikel, die differenziert auf die Pille und ihre Anwenderinnen blicken. Zu gerne würde ich den einseitigen Diskurs über die Pille absetzen – und mehr Raum für die vielfältigen Gründe, die für und gegen die Pille sprechen machen.

Text: Hannah Jäger
Collage/Foto: „Canva“/privat

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