Die Refugee Canteen ist die Gastro-Vorschule für Geflüchtete in Hamburg – und erfunden hat sie Benjamin Jürgens! Der 32-jährige Hamburger ist ein alter Gastro-Hase, nach Stationen im legendären “Bereuther” und einem Auslandseinsatz in Indonesien kommt er 2015 nach Hamburg zurück und wird vom Flüchtlingszuzug überrascht. Auf einmal sieht er auf der einen Seite viele Neu-Hamburger in der Stadt, die dringend Jobs brauchen. Auf der anderen Seite ist da seine geliebte Gastro-Branche, die händeringend Personal sucht. Benjamin zählt 1 und 1 zusammen und erdenkt in einer lauen Sommernacht das Konzept für die Refugee Canteen: Geflüchtete werden in Kursen mit anschließenden Praktika und einem einjährigen Mentoring auf den Jobeinstieg in die Gastronomiebranche vorbereitet. Aktuell haben 55 Teilnehmer mit Migrationshintergrund das Programm absolviert, wovon die Hälfte davon in ein Arbeitsverhältnis vermittelt werden konnte. Parallel gründet Benjamin sein Unternehmen Gastrolotsen – mit seinem Team berät er junge Gastronomen ebenso wie Gastrobetriebe und Hotels mit langer Tradition. Wir treffen Benjamin in der Refugee Canteen in der Jarrestadt kurz vor dem Umzug in die neue Location im Hofladen in Eppendorf!
Benjamin Jürgens: Schwierig. Ich habe seit langem wieder das Gefühl, dass wir auf dem Weg in eine alte Zeit sind, obwohl wir ganz viel getan haben, um genau da rauszukommen. 2006 soll ja die Fußball Weltmeisterschaft sehr schön gewesen sein und auf einmal waren wir Gastgeber. Jetzt habe ich eher das Gefühl, dass wir sehr komisch unterwegs sind. Die Menschen, die es sich lohnen würde, anzugreifen, greifen wir nicht mehr an. Stattdessen greifen wir Menschen an, die nicht angegriffen werden sollten. Wenn man zum ersten Mal in der Fußballgeschichte in der WM-Vorrunde rausfliegt, dann sollte man Jögi Löw in den Medien zerreißen. Stattdessen wird ein Seehofer auf einmal gefeiert und es muss der ganzen Welt mitgeteilt werden, dass wir einen eigenen Trump haben.
Ja, ganz viele Menschen tun etwas dafür, damit alles so bleibt wie es ist.
Mich nervt, dass geflüchteten Menschen keine Zeit gegeben wird.
Dass geflüchteten Menschen keine Zeit gegeben wird. Sie sollen sich sofort für alles mögliche entscheiden! Das fand ich schon immer schlimm, vor allem nach der Schule. Ich glaube einfach nicht, dass jemand nach einem Jahr genau weiß, was er will. Woher auch?
Dafür muss ich mir nur meine eigene Lebensachterbahn anschauen. Ich habe ursprünglich in der IT gelernt, in der Werbe- und Gastronomiebranche gearbeitet und dann viele soziale Projekte gemacht. Generell wird an Zeit und auch an Bildung gespart, dabei sind beides wichtige Schlüssel zur Integration. Wir haben hier Leute, die Dinge und Geschichten in ihren Köpfen haben – da könnte ich mir auch nicht täglich Deutschvokabeln reinziehen.
Eigentlich ist eine richtige Integration gar nicht gewollt. Wenn man ein Restaurant aufmacht und zwanzig Geflüchtete einstellt, dann muss man als allererstes akzeptieren, dass der Laden sich verändern wird. Alles andere ist nicht Integration – beide Seiten müssen sich verändern.
2015 kann man von einem Hype sprechen, es war nahezu ein Goldrausch. Wenn du was mit Flüchtlingen gemacht hast, konntest du unter Umständen eine Million für dein Projekt kassieren. Auf der einen Seite war es schön, dass Deutschland viel Kapital für derart Projekte zur Verfügung gestellt hat, auf der anderen Seite waren da auch Gründer dabei, die nicht gut mit Geld umgehen konnten und überfordert waren. In Schleswig-Holstein hat jede gute Idee 100.000 Euro bekommen. Wenn du damit nicht umgehen kannst, dann bleibt es vielleicht nur eine gute Initiative, aber keine wirtschaftliche Initiative.
Die Refugee Canteen soll für Offenheit und Solidarität sorgen.
Es ging damals oft nur noch um Fame. Wir wollten beispielsweise ursprünglich mit Geflüchteten ein Catering-Unternehmen gründen. In der Nacht, in der wir den „TBD *social innvators to watch Deutschland 2017“ Preis gewonnen hatten, kam ein Typ auf mich zu und meinte: Ich würde daraus ein Bildungsinstitut machen. Geile Idee, dachte ich und habe noch in der Nacht das Konzept geändert. Refugee Canteen soll für Offenheit und Solidarität sorgen, aber wir haben zum Beispiel immer noch diesen Refugee-Bezug.
Genau. Auf der anderen Seite würde uns niemand finden, wenn wir nicht so hießen.
Jetzt kommt der schwierige Part, nämlich das Thema in den Köpfen weiter zu platzieren. Jeder kann darüber nachdenken, was er individuell im Kleinen machen kann. Ich habe gerade einen iranischen Barkeeper getroffen, der sich dafür schämte, dass er sich so wenig engagiere, aber ihm fehle einfach das Geld für Spenden. Ich habe ihm angeboten, für uns und unsere Geflüchteten einen Bar Workshop zu machen!
Keiner der Geflüchteten ist hierhergekommen, weil er Bock hatte, sein Land zu verlassen.
Ich will da eigentlich gar nicht mehr drüber reden, sondern einfach nur machen. Für mich hat sich das Stadtbild auch nicht sonderlich verändert. Ich bin mit Ausländern aufgewachsen, das ist für mich normal. Aber es nimmt natürlich komische Züge an, wenn ein iranisch-stämmiger, befreundeter Arzt, der seit 20 Jahren in Hamburg lebt, auf einmal am Hauptbahnhof einen Stoffteddy geschenkt bekommt.
Ich würde es Offenheit nennen, denn selbstverständlich ist Integration eben auch nicht. Sie wackelt und rüttelt, hat ganz viele Kanten und das muss auch so sein. Aber: Keiner der Geflüchteten ist hierhergekommen, weil er Bock hatte, sein Land zu verlassen. Afghanistan, Iran, Syrien … das sind alles wunderschöne Länder, die keiner leichtfertig verlassen würde.
Wo geht die Integration hin und was passiert mit Deutschland?
Wo geht die Integration hin und was passiert mit Deutschland? Wir brauchen Wegweiser und etwas Übergeordnetes, das der Welt draußen klar macht, dass wir uns jetzt um eine Zielgruppe kümmern, die ganz schnell und dringend Hilfe braucht. Dabei will ich eigentlich gar nicht über Refugees, sonder über Menschen nachdenken. Mir ist völlig egal, wo die herkommen, oftmals weiß ich über die Herkunft der Teilnehmer gar nichts.
Die Refugee Canteen ist die Vorschule der Gastronomie in Deutschland, ein dualer Inkubator. Wir wollen Potentialentwickler sein und auf der einen Seite ganz klar Menschen, denen man dies vielleicht nicht zutraut, eine Chance geben, einen Fuß in die Branche zu setzen. Das hat auch mit meiner Herkunft zu tun, ich komme eigentlich auch aus einer etwas anderen Welt. Ich bin einem Hamburger Viertel aufgewachsen, was als sozialer Brennpunkt gilt.
Auf der anderen Seite möchte ich einer wundervollen Branche helfen, die mir mal vor langer, langer Zeit das Leben gerettet hat. Mich haben immer Gastro-Freunde gestört, die auf die “scheiß Branche” geschimpft haben. Dann ändert doch was!
Das Leben? Nein, ich glaube es ist das Mitteilen. Gerade für arabischstämmige Teilnehmer ist das die größte Herausforderung. Sagen, dass es ihnen gerade nicht gut geht, dass sie über etwas reden müssen. Es fehlen die Bezugspersonen, sie kommen hierher und haben niemanden. Wir hören ganz oft: Es ist alles gut! Wir wissen aber genau, das nicht alles gut ist und versuchen zu vermitteln, dass es manchmal auch okay ist, dass nicht alles gut ist. Man kann gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Absolut. Wir haben hier Leute, die akut von der Abschiebung bedroht sind. Die unterstützen wir soweit es geht und begleiten sie auch zur Ausländerbehörde. Zum Glück können wir, da wir mittlerweile ein unabhängiges Programm sind, auch Teilnehmer annehmen, die nur eine Duldung haben. Wir bekommen Gelder von zwei Stiftungen und von der Stadt Hamburg.
Es gibt aber auch Themen, um die wir uns nicht kümmern können oder sollten. Wir haben zum Beispiel irgendwann im Team beschlossen, dass wir niemals nach der Fluchtgeschichte fragen. Wir haben Angst, dass das ein Traumata auslösen könnte. Darauf können wir nicht richtig reagieren. Wenn wir das Gefühl haben, ein Teilnehmer möchte darüber sprechen, dann vermitteln wir an Profis.
Unsere Aufgabe ist es, dass unsere Teilnehmer selbständig und eigenständig werden.
Total. Unsere Aufgabe ist es, dass unsere Teilnehmer selbständig und eigenständig werden. Ich heiße sie willkommen, aber gleichzeitig gibt es ein Datum, an dem wir uns wieder trennen werden. Das ist für beide Seiten komisch, aber ein wichtiger Prozess. Wir wollen keine Freundschaft eingehen, das ist eine tagtägliche Herausforderung. Natürlich gibt es hier Leute, die ich total lieb gewinne. Die lachen und die weinen mit mir. Aber es hat eine Laufzeit und vielleicht sieht man sich dann zufällig bei der Arbeitsstelle irgendwann wieder.
Früher hatten wir Kids hier im Kurs, jetzt sind es erwachsene Teilnehmer. Generell kann jeder mitmachen, der Lust hat, Gastgeber zu sein. Das ist die einzige Erwartung, die wir haben. Bei allem anderen helfen wir.
Bei mir persönlich kommt immer wieder die Sinnfrage auf: Was wollen wir? Was können wir? Was dürfen wir?
Und wie ist der Status Quo?
Der Status Quo ist, dass wir unabhängiger und freier in der Finanzierung sein wollen. Es gibt ein paar Ideen, zum Beispiel, eigene Produkte rauszubringen.
Fotos: Sarah Buth
Layout: Carolina Moscato