Als Christina Wechsel (39) Anfang 20 war, führte sie in Zürich ein Leben, in dem sie beruflich erfolgreich war, viel feierte und alles perfekt schien. Dann starb ihre Mutter an Krebs. Als Christina kurz darauf ihren Traum von einer Weltreise verwirklichte, hatte sie in Australien einen schweren Autounfall. Ihr enger Freund starb, sie wurde schwerstverletzt, ein Unterschenkel musste amputiert werden. Heute ist Christina Heilpraktikerin, Keynote Speakerin und Autorin – und sie klettert, fährt Ski, spielt Tennis. Im Interview verrät Christina, wie sie immer wieder neuen Mut fand, was sie aus den schweren Zeiten gelernt hat und warum sie diese Schicksalsschläge brauchte, um zu sich selbst zu finden. Außerdem sprechen wir mit ihr über ihr frisch erschienenes Buch „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“.
Christina Wechsel: Das ist eine sehr schöne Frage. Viele stellen sich ja mit ihrem Beruf vor, aber wenn wir uns auf einer Party kennenlernen würden, würde ich sagen: Ich bin Christina, ich bin bald 40, ich wohne in München und verbringe jede freie Minute in den Bergen. Ich liebe den Sport und bin travel addicted.
Ich habe erkannt, dass ich anderen Mut schenken kann.
Mir haben schon nach meinem Unfall viele Freund*innen und Bekannte gesagt, ich müsse unbedingt ein Buch schreiben, weil sie der Meinung waren, dass ich recht gut mit allem umgegangen bin. Meine Reaktion: Ich soll ein Buch schreiben? Um Gottes willen, ich hatte immer eine 5 im Deutschaufsatz. Aber elf Jahre nach dem Unfall hat mich eine Freundin auf ein Frauennetzwerktreffen geschleppt und mich fast gezwungen, auf die Bühne zu gehen und vor all den fremden Frauen meine Geschichte zu erzählen. Als ich das gemacht habe, habe ich gesehen, welche Auswirkungen es hatte.
Mir war es nach dem Unfall wahnsinnig wichtig, ganz normal behandelt zu werden. Ich habe allen gesagt: Ich will kein Mitleid. Mitgefühl ja, aber kein Mitleid.
Mir war es nach dem Unfall wahnsinnig wichtig, ganz normal behandelt zu werden. Ich habe allen gesagt: „Ich will kein Mitleid. Mitgefühl ja, aber kein Mitleid.“. Ich wollte auch nicht auf ein Podest gestellt werden, im Sinne von „Du bist so krass, du bist Wonderwoman.“ Ich wollte normal behandelt haben. Aber als ich meine Geschichte vor fremden Frauen vortrug, habe ich das plötzlich anders gesehen. Ich habe es nicht mehr aus meiner Perspektive betrachtet, sondern habe erkannt, dass ich anderen Mut schenken kann. Dass ich einen Weg zeigen kann, wie man mit Schicksalsschlägen umgeht. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe, es kam eine Veranstaltung nach der anderen. So war ich plötzlich zusätzlich zur Heilpraktikerin – dem Job, in dem ich nach dem Unfall meine Berufung gefunden hatte – Keynote Speakerin.
Meine Freundin Julia hat gesagt: „Ich kann das nicht mehr mit ansehen, wir schreiben ein Buch und wir schreiben das zusammen!“. Okay, Challenge accepted. Ich habe den liebevollen Hinterntritt dankend angenommen. Ich habe es geschrieben und sie hat es in eine wunderschöne Form gebracht.
Ich bin durch die krassesten Prozesse gegangen, die man als Autorin durchleben kann. Es waren Phasen von „Was für ein Schwachsinn, wer will diesen Schmarrn lesen?“ über „Das ist megapeinlich, ich habe mich noch nie so verletzlich gezeigt!“ bis zu „Was wird meine Freundin dazu sagen, die Wissenschaftlerin ist, dass ich jetzt ein Buch und all diese Dinge schreibe?“. Aber wenn man seine eigenen Träume verwirklichen will, darf man sich nicht von außen beeinflussen lassen. Man muss sich immer wieder daran erinnern, warum man angefangen hat, diesen Traum zu leben.
Ich wollte andere ermutigen, ihre Träume im Leben zu verwirklichen – egal, was passiert. Das Leben ändert sich in einer Sekunde, das kann man nicht beeinflussen.
Einerseits wollte ich selbst noch einmal in die Heilung gehen. Ich habe wahnsinnig viel reflektiert und Bewusstseinsarbeit gemacht. Aber an erster Stelle wollte ich andere ermutigen, ihre Träume im Leben zu verwirklichen – egal, was passiert. Das Leben ändert sich in einer Sekunde, das kann man nicht beeinflussen.
Sie beginnt eigentlich mit einem wahnsinnig inspirierenden Spruch, der auf dem Badezimmerspiegel von einem alten Schulfreund hing: „Schicke das Kind, das du liebst, auf Reisen. Von den Erfahrungen her kommt nichts im Leben dem Reisen gleich.“ Es ist ein japanisches Sprichwort und es hat mich so berührt, dass ich es selbst aufgeschrieben und den Zettel bei mir an den Badezimmerspiegel geklemmt habe – da ist etwas Magisches passiert und es entstand der große Traum einer Weltreise. Dafür wollte ich in kürzester Zeit viel Geld verdienen. Ich bin nach meiner Lehre zur Hotelfachfrau nach Zürich gezogen und hatte die beste Zeit meines Lebens. Ich hatte einen tollen Job, einen inspirierenden Freundeskreis, einfach ein perfektes Leben.
Es war mir damals nicht bewusst, es war einfach alles selbstverständlich für mich. Bis zu dem Tag, als mich meine Mutter anrief und von ihrer Krebserkrankung erzählte. Das hat mich total geschockt, mit 23 Jahren wollte ich an so etwas nicht denken. Meine Mutter war meine beste Freundin und Ratgeberin, meine Mentorin und meine engste Seelenverwandte. Also habe ich meine Reise erst einmal auf Eis gelegt. Ein halbes Jahr später sah es so aus, als sei sie wieder gesund und sie hat mir ihr Go gegeben.
Ich habe gekündigt, ein All-around-the-World-Ticket und ein Work-and-Travel-Visum für Australien gebucht. Wenige Wochen vor Reiseantritt ging es meiner Mutter schlagartig wieder schlechter, sie kam zurück in die Klinik. Ich habe meinen Flug storniert und bin zurück in mein Elternhaus gezogen, um sie zu pflegen, wenn sie wieder nach Hause kommt – aber sie kam nicht zurück. Sie ist an Krebs gestorben.
Ich war komplett überfordert mit dieser Trauer. Auch damit, meinen Vater und Bruder so zu sehen. Ich hing komplett in den Seilen. Als wir ihre Sachen aussortiert haben, ist mir ihr Lieblingsbuch in die Hände gefallen: „Der Alchemist“ von Paulo Coelho. Das hat mich so an meinen eigenen Traum erinnert und mich so motiviert – ich habe das als Zeichen von Mami gesehen. Sie wollte auch immer, dass ich meinen Traum verwirkliche. Also bin ich ein halbes Jahr nach ihrem Tod nach Australien geflogen, war fünf Monate auf Reisen in Australien und Neuseeland.
Ja, wir waren auf dem Weg zum Ayers Rock, der schon immer auf meiner Bucket List stand. Ich war unterwegs mit einer meiner besten Freundinnen, meinem sehr guten Freund Ronny und einer Backpackerin, die wir dort kennengelernt hatten. Dann hatten wir einen schweren Autounfall. Ronny hat es leider nicht geschafft, ich war schwerstverletzt. Wir wurden vier Stunden von den Flying Doctors ins Krankenhaus nach Adelaide geflogen. Ich hatte viele Verletzungen und es begann der Kampf ums Überleben. Ich wurde wahnsinnig oft operiert, nach drei Wochen dachten wir, ich sei über den Berg. Dann kam eine Sepsis mit Multi-Organ-Versagen und mein Bein wurde amputiert.
Ich war bis oben mit Morphium vollgepumpt und die meiste Zeit in einem Halbwach-Zustand. Habe immer mitbekommen, dass ich im OP-Saal war, dann wieder im Aufwachraum, dann Intensivstation. Mein Vater und Bruder kamen zum Glück direkt nach Australien, das bekam ich mit. Mein Bruder hat mich dann gefragt, ob er die Schmerzmittel kurz runterdrehen kann, um mir etwas Wichtiges zu sagen. So erfuhr ich, dass mein Bein amputiert werden muss. Aber ich habe es nicht mit klarem Bewusstsein realisiert.
Meine Familie hat mir unglaublich viel Rückenwind geschenkt und ich habe einen tollen Freundeskreis, der mich von Anfang an nicht bemitleidet hat.
Ich habe noch am Unfallort den Ersthelfer gefragt, ob ich wieder gehen kann. Da sagte man mir natürlich: „Ja, wirst du.“. Bei einer anderen Antwort hätte ich wohl gesagt: „Tschüss, Servus, nein danke.“. Bei diesen Schmerzen. Und es gab eine Situation auf der Intensivstation, da habe ich innerlich mit Ronny geredet und ihm gesagt: „Sei froh, dass du erlöst bist, ich habe so unerträgliche Schmerzen, ich kann die nicht aushalten und ich will sie nicht aushalten.“. Aber das war fast der einzige Moment.
Der größte Teil kam von meinem Umfeld. Meine Familie hat mir unglaublich viel Rückenwind geschenkt und ich habe einen tollen Freundeskreis, der mich von Anfang an nicht bemitleidet hat. Sie haben immer wieder gesagt: „Wir lieben dich, wir glauben an dich, du musst kämpfen.“. Für mich ist es das Wichtigste, dass man vom Umfeld gestärkt wird und das Gefühl hat, dass Menschen an einen glauben. Und die vielleicht größte Motivation war der Tod meiner Mutter. Auch wenn das krass klingt, aber dadurch habe ich gesehen, wie alle gelitten haben. Direkt nach dem Unfall habe ich dem Flying Doctor gesagt, ich kann meiner Familie das nicht antun – er soll einen guten Job machen, damit ich lebend im Krankenhaus ankomme. Es war einfach nicht drin, dass ich auch noch gehe.
Ich glaube, man erfährt sich selbst durch solche extremen Situationen im Leben. Die größten Herausforderungen sind auch die größten Chancen, sich selbst kennenzulernen und seine Essenz zu finden.
Ich habe mich schon vorher mit spirituellen Themen auseinandergesetzt und schreibe seit der vierten Klasse Tagebuch. Da geht es viel um Selbstreflektion und Bewusstseinsarbeit. Für mich war schon immer klar, dass es keine Zufälle auf der Welt gibt. Sonst wäre es eine sehr ungerechte Welt und ich will nicht an eine ungerechte Welt glauben.
Mir wurde klar, dass es nicht hauptsächlich um das geht, was einem im Leben passiert, sondern darum, wie man auf das Leben reagiert. Das können wir mit unserem machtvollsten Geschenk tun, mit dem freien Willen. Damit haben wir immer eine Wahl und sind nie dem Schicksal ausgeliefert. Für mich war der Sinn auch die Erfahrung. So wie alles mit diesem Zettel angefangen hat. Dass ich hier bin, um Erfahrungen zu machen, um mich selbst zu finden. Das passierte bei mir leider nicht am Strand auf den Whitsundays mit einem Margarita in der Hand – da hatte ich eine gute Zeit, aber gefunden habe ich mich nicht.
Ich glaube, man erfährt sich selbst durch solche extremen Situationen im Leben. Die größten Herausforderungen sind auch die größten Chancen, sich selbst kennenzulernen und seine Essenz zu finden. Im Gegensatz zu früher weiß ich heute, dass ich mich nicht mehr über mein Aussehen oder meine Leistung definiere, sondern über meine wahre Essenz – und die kann niemand amputieren.
Ein halbes Jahr nach dem Unfall habe ich mit dem Klettern angefangen. Zu dieser Zeit habe ich auch meinen jetzigen Mann kennengelernt. Er war die beste Gehschule, die ich nur haben konnte.
Etwa elf Wochen nach dem Unfall stand ich das erste Mal im Schaft meiner Prothese, dann habe ich ziemlich schnell laufen gelernt. Ich hatte eine große Motivation, weil ich im Sommer nach dem Unfall, der im März war, auf das „Züri Fäscht“ wollte. Es war schon lange geplant, dass sich der ganze Freundeskreis dort trifft. Egal, wo man sich auf der Welt befindet – und das ist im Hotelfach ziemlich zerstreut. Das hat mich wahnsinnig motiviert, schnell auf die Beine zu kommen, und es hat geklappt. Ein halbes Jahr nach dem Unfall habe ich mit dem Klettern angefangen. Zu dieser Zeit habe ich auch meinen jetzigen Mann kennengelernt. Er war die beste Gehschule, die ich nur haben konnte.
Er hat eine unglaublich bodenständige Art, er ging von Anfang an mit Mitgefühl, aber ohne Mitleid mit mir um. Er drückte mir Krücken in die Hand und sagte: „So, da läufst du jetzt selbst hoch.“. Gleichzeitig war er immer da, wenn ich Hilfe brauchte. Es ist auch ganz wichtig, Hilfe anzunehmen und danach zu fragen, aber gleichzeitig die eigene Selbstwirksamkeit zu erleben. Genau ein Jahr nach dem Unfall stand ich auf Skiern.
Ja, Tennis ist das beste Beispiel dafür. Ich habe es gespielt, seit ich fünf Jahre war und dafür schlägt mein Sportlerherz eigentlich. Nach dem Unfall habe ich es ein paar Mal versucht, aber es hat keinen Spaß gemacht und mein Prothesenbauer sagte mir, Tennis sei nicht optimal für mich. Deshalb habe ich es gelassen und hatte immer einen Stich im Herzen, wenn ich an einem Tennisplatz vorbeikam. Vor anderthalb Jahren lernte ich einen doppelt Unterschenkel-Amputierten kennen, der die gleichen Prothesen wie ich trägt und damit Tennis spielt. Da habe ich es noch einmal ausprobiert. Es war so wichtig, ein Vorbild zu haben oder jemanden, der nur von dieser Möglichkeit erzählt hat. Letztes Jahr im September habe ich zum ersten Mal wieder mit einer Freundin gespielt und ich war echt zufrieden – meine Rückhand war so, als wäre sie nie weg gewesen.
Wir haben einen freien Willen und können und immer entscheiden, wie wir auf das Schicksal reagieren – wir sind ihm nie ausgeliefert.
Wir haben einen freien Willen und können und immer entscheiden, wie wir auf das Schicksal reagieren – wir sind ihm nie ausgeliefert. Was ich auch sehr wichtig finde und mir schwerfiel: das Schicksal annehmen und akzeptieren. Darin liegt für mich die größte Herausforderung. Man kann nicht gegen etwas ankämpfen, das passiert ist. Ich kann nicht gegen die Amputation ankämpfen, mein Bein wächst nicht mehr nach. Die Kraft liegt eher darin, das zu akzeptieren, was man nicht mehr ändern kann.
Ich war viel in Selbstmitleid unterwegs, habe viel mit Mr. Schicksal gehadert und ihm viel vorgeworfen: Du hast mir meine Mutter genommen, dann Ronny, jetzt musstest du mir auch noch das Bein nehmen – gerade jetzt, wo ich meinen Traum verwirklichen wollte. Aber letztlich gibt man auch dadurch wieder die Power ab. Als klar wurde, dass ich immerhin mein linkes Knie behalten konnte, fing ich an zu sehen, was mir alles geschenkt wurde und bin in die Dankbarkeit gegangen. Mr. Schicksal ist nicht immer grausam, er ist auch liebenswürdig: Ich habe eine tolle Familie, einen tollen Freundeskreis, jetzt auch noch einen tollen Mann und habe meine Berufung gefunden: Als Heilpraktikerin, als Keynote Speakerin und jetzt auch als Autorin.
Hier könnt ihr Christina Wechsels Buch „Wer Flügel hat, braucht keine Beine“ kaufen.
Teaserfoto: Andrea Mühleck
2 Kommentare
My best friend David „db“ Brown is a gifted human, and has been a double amputee for many years. He lives in Asheville, N.C., USA. You should find and Friend him on Facebook, Christina!
Love,
Bergman <3
Tolle Frau, ich habe dich als Kind kennengelernt, als ich Anfang der 90 er Jahre in Hallbergmoos mit deinem Papa gearbeitet habe.
Danke dir, für das, was du tust, was du bist und was du weitergibst…..
Grüsse ganz lieb den Albert!
Conny Wagner
PS.: dein Buch wird gekauft!