Warum Gewalt an Frauen* häufig zu wenig bestraft wird

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17. Juni 2021

Spätestens am 25. November – dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen* – erschüttern die Zahlen jährlich erneut: Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten, jeden dritten Tag gelingt es. Von „Beziehungstaten“ oder „Familientragödien“ ist dann die Rede. Wenn überhaupt davon die Rede ist. Denn in der Regel erfahren diese Fälle nur eine geringe mediale Aufmerksamkeit – ganz im Gegenteil zu den sogenannten „Ehrenmorden“. In diesem Text erläutert Buchautorin Sarah Kessler, was Rassismus damit zu tun, wie gewalttätige Straftaten gegen Frauen* häufig beurteilt werden.


Über die Autorin

Autorin Sarah Kessler befasst sich in ihrem Debütroman „Tradition Mord„, der im April 2021 erschienen ist, mit der Thematik der Gewalt an Frauen*. Obwohl es sich bei ihrem Buch um eine fiktive Geschichte und kein Sachbuch handelt, möchte die Autorin ihr Kernthema ins öffentliche Bewusstsein rücken. Der Kriminalroman hinterfragt die Wechselwirkung von gesellschaftlichen Konventionen und Beziehungsgefügen, wobei vor allem die besonderen Herausforderungen weiblicher Selbstbestimmung im Vordergrund stehen. Für ihren Roman hat Sarah Kessler intensiv recherchiert und sich unter anderem die Differenzierung der Justiz genauer angeschaut, die den Einfluss der kulturellen Zuschreibung der Täter, trotz divergierender Urteilssprechung, verneint.

Sarah Kessler, Foto: Jean-Pierre Christalle

Nicht nur in der Öffentlichkeitswirksamkeit unterscheiden sich die „klassischen“ Partnerinnentötungen vom „Ehrenmord“, sondern auch in der Strafzumessung. Die Kriminologin Julia Kasselt untersuchte die Strafzumessung in Ehrenmordfällen. Ein Ergebnis der Studie*: Die Täter werden signifikant häufiger zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt als Männer, die ohne entsprechenden kulturellen Hintergrund ihre Partnerin töten. Dabei rühren die Taten aus vergleichbarer Motivlage: männliches Besitzdenken, Eifersucht, verletzte Ehre. Ein weiteres Ergebnis der Studie: die kulturelle Zuschreibung der Täter hat keine Auswirkung auf das Strafmaß.

Doch wie entsteht dann diese Differenz? Dazu bedarf es zunächst einer kurzen Ausführung zum Verhältnis von Mord und Totschlag. Der Mord ist das einzige Delikt im deutschen Strafrecht, das keinen Ermessensspielraum im Strafmaß zulässt. Wer als Mörder verurteilt wird, sitzt lebenslänglich. Anders jedoch beim Totschlag: Hier sieht das Strafgesetzbuch eine Mindeststrafe von lediglich fünf Jahren vor. Ob der Täter nach der Tötung eines anderen Menschen also wegen Totschlags oder Mordes verurteilt wird, ist von erheblicher Bedeutung.

Was macht den Unterschied aus? Der Mord ist durch einen größeren Unrechtsgehalt bei der Motivlage des Täters gekennzeichnet. Wonach diese zu bemessen ist, regelt Paragraf 211 StGB. Wer zum Beispiel aus Habgier tötet, ist ein Mörder. Ebenso, wenn die Tötung aus „niederen Beweggründen“ erfolgt. Aber was kennzeichnet einen solchen „niederen Beweggrund“? Diesen unbestimmten Rechtsbegriff füllt die Rechtsprechung. Und die zeigt zumindest eins: Eifersucht ist es nicht. Wenn ein eifersüchtiger Partner seine Partnerin also „im Eifer des Gefechtes“ tötet, wird das im Regelfall als Totschlag verurteilt.

Wenn ein eifersüchtiger Partner seine Partnerin „im Eifer des Gefechtes“ tötet, wird das im Regelfall als Totschlag verurteilt.


Anders sieht es mit dem Beweggrund der verletzten Ehre aus. Denn wer aus Ehre tötet, so die richtungsweisende BGH-Entscheidung von 2002**, der wurde von einem größeren Unrecht zur Tötung angetrieben als der eifersüchtige Partner – und ist folglich ein Mörder. Aber welche Motive stehen dahinter? Sind „Ehre“ und „Eifersucht“ nicht bloß unterschiedliche Begrifflichkeiten, die beide von männlichem Besitzanspruch in einer patriarchalen Gesellschaft herrühren? Ist derjenige, der aus Eifersucht tötet, nicht ebenfalls in seinem männlichen Ehrgefühl verletzt? Allein die geprägte Konnotation des Ehrbegriffs führt im Gegensatz zum Begriff der Eifersucht zur Einordnung vergleichbarer Straftaten in unterschiedliche Delikte.

Somit bleibt doch fraglich, ob kulturelle Attribute der Täter bei der Beurteilung der Tat tatsächlich keine Rolle spielen. Es ist nämlich immer leichter, wenn man mit dem Finger auf andere zeigen kann. Vor der eigenen Haustür zu kehren, ist hingegen unangenehm. Denn dann muss man sich auch – in einem nächsten Schritt – mit den eigenen Verhaltensmustern auseinandersetzen – was natürlich auch sehr unangenehm sein kann. Und dabei sind Tötungsdelikte nur das plakativste Beispiel. Dieselben Argumentationsstrukturen lassen sich auch bei Machtmissbrauch oder sexualisierter Gewalt – psychischer und physischer Art – wiederfinden. Wenn ein Mann, dem eine entsprechende Migrationsgeschichte zugeschrieben wird, Frauen* sexistisch behandelt, dann liegt das an der „fremden Kultur“, wie es häufig heißt. Wenn ein deutsch gelesener Mann mit Sexismusvorwürfen konfrontiert wird, dann ist es die Frau*, die sich vielleicht zu sehr angebiedert hat, „rumhurt“, zu empfindlich ist oder dem Mann einfach eins auswischen will.

Milieuunabhängig gehört geschlechtsspezifische Gewalt zu den größten Gesundheitsrisiken von Frauen.



Es wird konsequent mit zweierlei Maß gemessen. Dabei schockieren die Zahlen der Häufigkeit von Partnerschaftsgewalt in Deutschland*** massiv: Jede vierte Frau* wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder einen früheren Partner. Es handelt sich hierbei also keineswegs um ein Phänomen, bei dem wir mit dem Finger auf andere zeigen können. Milieuunabhängig gehört geschlechtsspezifische Gewalt zu den größten Gesundheitsrisiken von Frauen*. Es ist lange überfällig, dass auch wir einen angemessen öffentlichen Diskurs schaffen, um das Thema Gewalt gegen Frauen* ganz hoch oben auf die politischen Agenden zu setzen – und das nicht nur am internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.

Verwendete Literatur:

* Kasselt, Julia: Ehre im Spiegel der Justiz; Duncker & Humblot, Berlin 2016.
** BGH, 20.02.2002 – 5 StR 538/01
*** BKA, 10.11.2020: Partnerschaftsgewalt – Kriminalstatistische Auswertung – Berichtsjahr 2019


Text: Sarah Kessler

Hier findet ihr Sarahs Buch:

Foto: iStock

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