Isabel Huttarsch über Mama-Burnout: Ich bin keine Superheldin!
09. Mai 2025
geschrieben von Gastautor*in

Viele Mütter fühlen sich leer und ausgelaugt – aber wieso ist das so? Und wie unterstützt man Frauen*, die alles perfekt machen möchten und Angst haben, als Mutter zu versagen? Isabel Huttarsch ist Psychologin und Mutter von drei Kindern. Auf ihrem „Instagram“-Kanal @mamapsychologie teilt die Expertin für Bedürfnisorientierung ihr Wissen rund ums Mutterwerden und Muttersein. Außerdem ist sie Gastgeberin und Familienexpertin des „SWR“-Kanals „fuehlen_wir“ und hat das Buch „Mamapsychologie“ geschrieben. Im Interview spricht sie über Schlechte-Mutter-Sticker, idealisierte Rollenbilder und Safe-Space-Strategien im Alltag.
"Zeit nur für mich selbst ist kein Egoismus, sondern ein Geschenk für die ganze Familie."
femtastics: Wenn man im Job ein Burnout erleidet, kann man eine Pause einlegen. Können Mütter auch einfach „aussteigen“?
Isabel Huttarsch: Mütter können nicht so einfach aus dem System Familie verschwinden (lacht). Aber sie können für sich erkennen: Ich bin keine Superheldin. Ich bin ein Mensch mit Grenzen. Und vor allem: Zeit nur für mich selbst ist kein Egoismus, sondern ein Geschenk für die ganze Familie.
Woran erkenne ich, dass ich meine Grenzen überschritten habe?
Das ist sehr individuell und nicht immer leicht zu erkennen. Häufige Symptome beim sogenannten „Mama-Burnout“ sind eine innere Leere sowie absolute Reizbarkeit - also sofort von 0 auf 100 zu fahren, obwohl eigentlich nichts passiert ist. Das Tückische daran ist, dass sich solche Gefühle nicht plötzlich einstellen, sondern sich schleichend über Monate oder sogar Jahre entwickeln. Viele Mütter merken gar nicht, dass etwas nicht stimmt, sondern reden sich ein: „Ich bin nicht belastbar genug“, „Ich bin eine schlechte Mutter“ oder „Ich schaffe das einfach nicht“. Was natürlich so nicht stimmt.
"Es ist ein großes gesellschaftliches Problem, dass wir Frauen* von Kindesbeinen an so sozialisiert werden, dass wir das kümmernde Geschlecht seien."
Wieso haben wir Mütter solche Gedanken?
Vor allem sind Frauen* betroffen, die sehr engagiert, reflektiert und sensibel sind. Diese Gedanken hängen vor allem mit den gesellschaftlichen Erwartungen und Anforderungen an Mutterschaft zusammen. Ein Beispiel für einen solchen toxischen Gedanken wäre: „Eine gute Mutter stellt sich immer zurück und hat gar keine eigenen Bedürfnisse und Grenzen. Sie opfert sich für ihr Kind auf.“
Damit verbunden ist die Idealisierung von Mutterschaft und die Vorstellung, alles hundertprozentig tun zu müssen. Bei manchen Müttern sitzt dieses Denken so tief, dass es sich anfühlt, als wäre es das eigene Ansinnen, als würden sie das wirklich selbst wollen.
Wie ist es wirklich?
In Wirklichkeit ist es ein großes gesellschaftliches Problem, in das wir Frauen* von Kindesbeinen an hinein sozialisiert werden: Wir sind das kümmernde Geschlecht, wir tragen die Verantwortung für die Harmonie in der Familie und für das emotionale Gleichgewicht, außerdem erledigen wir die ganzen unsichtbaren Aufgaben. All das führt oft dazu, dass Mütter sich selbst absolut ausschließen, indem sie völlig über ihre Grenzen gehen.
Ich beobachte das auch bei mir. Für meine Jungs habe ich eine endlose Superpower. Aber schaufle ich mir damit nicht mein eigenes Grab und erziehe die nächste Generation an Männern*, die später von ihren eigenen Partner*innen erwarten, genau diese Rolle zu erfüllen?
Genau, das sind die Rollenmuster, die Kinder unabhängig vom Geschlecht unterbewusst übernehmen. Meistens kümmern sich Mädchen mehr und übernehmen schon früh Verantwortung in der Care-Arbeit, wobei bei Jungs das eher weniger der Fall ist.
(lacht) Ich würde aber mal behaupten, die allerwenigsten erwachsenen Männer* machen das mit Absicht. Sie haben das einfach ganz genauso gelernt: „Ich muss dafür nicht die Verantwortung tragen“ oder sogar noch mehr: „Das war nie Thema auf meiner Agenda.“
Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir Frauen* den Mut haben, sichtbar zu machen, wenn wir an unsere Grenzen stoßen und Hilfe brauchen. Gelingt uns das nicht, wird die Schleife endlos weitergehen.
"Gerade wir Mütter glauben oft, 24/7 emotional verfügbar sein zu müssen. Das ist eine enorme Belastung."
Hatten unsere Mütter ähnliche Herausforderungen? Wie sind sie damit umgegangen?
Das ist eine sehr sensible Frage, weil niemand von uns wirklich in den Schuhen unserer Mütter gelaufen ist. Aber in der Generation unserer Mütter war doch einiges ganz anders. Erstens haben viel mehr Menschen in Familienverbänden gelebt, das heißt, die Großeltern waren oft noch greifbar oder es gab ein anderes Supportnetz.
Hinzu kam, dass das Verständnis von Mutterschaft damals ein anderes war. Noch aus der Zeit des Nationalsozialismus herrschte die Idee vom Kind als Tyrann, dem künstliche Grenzen gesetzt werden mussten. Die Vorstellung war, dass es eine autoritäre Hand brauche, um Kinder zum Funktionieren zu erziehen. Außerdem waren sich viele Eltern damals noch nicht bewusst, wie wichtig es ist, emotional für ihre Kinder verfügbar und präsent zu sein. Und genau das kann Druck machen: Gerade wir Mütter glauben oft, 24/7 emotional verfügbar sein zu müssen. Das ist eine enorme Belastung, die kaum jemand leisten kann. Mal ganz davon abgesehen, dass unsere Kinder keine perfekten Mütter brauchen.
Wie bleiben Mütter mental gesund?
Gesund bleiben können wir nur, wenn wir unsere körperlichen und psychischen Grundbedürfnisse wahrnehmen und ihnen Raum geben. Ansonsten graben wir uns den Boden für unsere Ressourcen ab, die eben nicht endlos sind.
Das bedeutet: In unserem Alltag, mitten im Chaos, sollten und dürfen wir uns einen berechtigten und sicheren Raum schaffen, in dem all das Platz findet, was uns neben dem Mama-Sein auch noch ausmacht. Leider kommt es vor, dass sich einige Mütter in den ersten Jahren mit ihrem Kind so stark von sich selbst entfremden, dass sie kaum noch wissen, wer sie eigentlich wirklich sind und was sie brauchen.
Das spüren Frauen* zum Beispiel, wenn sie Me-Time haben, aber nichts damit anzufangen wissen.
Genau. Bei vielen Müttern führt eine solche Situation – die ja eigentlich entspannend sein sollte – dazu, dass sie das Gefühl haben, zu versagen. Das kann eine neue Schuldschleife in Gang setzen: Sie wissen, dass sie diese Zeit eigentlich sinnvoll für sich nutzen sollten, aber sie sind unsicher, wie sie das anstellen sollen. Die Gedankenspirale geht weiter, dass ja nur wenn ich für mich da bin, ich auch meinem Kind geben kann, was ich will.
Wie komme ich in einem solchem Moment aus der Schuldschleife heraus?
Wir müssen verstehen, dass wir zunächst Raum für uns selbst schaffen dürfen. Es geht im ersten Schritt noch nicht um das „Was“ und „Wie“, sondern um das „Dass“: darum, hinzuhören und zu spüren, wie es mir eigentlich gerade wirklich geht.
Oft stellen wir fest, dass es uns gar nicht gut geht, dass wir keine Luft zum Atmen haben und keine Kraft, unseren Alltag zu bewältigen. Manche Gedanken gehen sogar so weit, dass wir uns wünschen, keine Mutter geworden zu sein – Stichwort: Regretting Motherhood.
Wie kann ich erspüren, was ich brauche?
Es gibt verschiedene Wege, um das herauszufinden. Eine Möglichkeit ist, sich zu fragen, was uns früher erfüllt hat. Vielleicht ist das aber gar nicht mehr das Richtige. Alternativ können wir uns auch fragen, welcher Schritt uns gerade am leichtesten fällt – auch wenn er nicht perfekt ist. Die Devise lautet: „Better done than perfect.“ Wenn es ein Spaziergang ist, den ich gerade machen kann, weil er erreichbar ist, dann mache ich den und gucke, hat es mir was gebracht oder nicht.
In deinem neuen Buch sprichst du von einem 4-Fragen-Tool, welches Müttern helfen soll, herauszufinden was für eine Art von Auszeit sie gerade brauchen. Wie funktioniert es?
Es ist ganz einfach. Man stellt sich nacheinander vier Fragen und folgt dabei seinem ersten Impuls. Die vier Fragen lauten:
- Frage 1: Drinnen oder Draußen?
- Frage 2: Aktiv oder Passiv?
- Frage 3: Allein oder gemeinsam?
- Frage 4: Kopf oder Körper?
Zum Beispiel hat man eine Kombination wie draußen, passiv, allein, Kopf. Das könnte dann bedeuten: Ich könnte irgendwas auf dem Balkon machen. Passiv heißt, ich möchte mich nicht aktiv beschäftigen, also könnte ich ein Hörbuch hören. Oder aber die Kombination wie drinnen, aktiv, gemeinsam, und Kopf. Das könnte zum Beispiel ein Telefonat mit einer Freundin sein.
"Viele der unsichtbaren Aufgaben und emotionalen Themen werden nach außen hin kaum sichtbar."
Wie können Partner*innen, Familie und Freunde Mütter in belastenden Situationen unterstützen?
Eine große Herausforderung bei dem Versuch, Entlastung zu finden, ist oft, dass das Umfeld gar nicht sieht, wie sehr die Mama belastet ist. Viele der unsichtbaren Aufgaben und emotionalen Themen werden nach außen hin kaum sichtbar, vor allem wenn Mütter sich aus Schuld- und Schamgefühlen zurückziehen und sich einigeln.
Wenn Angehörige, Partner*innen oder Großeltern sich fragen, wie sie ihre Tochter oder Partnerin unterstützen können, ist es zunächst unglaublich wertvoll, echtes Interesse zu zeigen. Es ist wichtig, zuzuhören und wirklich wahrzunehmen, was die Mama mitteilen möchte.
Viele haben den Impuls, die Situation zu beschwichtigen: „Ach, wird schon wieder, spätestens wenn dein Kind heiratet, ist es vorbei“. Solche Aussagen sind jedoch eher schädlich. Denn in diesem Moment leidet die Mama tatsächlich sehr, und ihr Raum zu geben, sie ernst zu nehmen und zu sehen, ist eine sehr wertvolle Unterstützung.
"Nach der Geburt eines Kindes kommen oft alte Rollenmuster wieder zum Vorschein."
Ist die Mutter überlastet leidet meistens auch die Paarbeziehung. Warum?
Oft kommt es selbst bei gleichberechtigten Familien, die vor der Geburt des Kindes eine für sie passende Aufteilung im Haushalt hatten, zu einer sogenannten Retraditionalisierung. Das bedeutet, dass nach der Geburt des Kindes wieder alte Rollenmuster zum Vorschein kommen.
Die wichtigen Fragen, die sich die Familie in solchen Situationen stellen sollte, sind: Was sind die zugrundeliegenden Bedürfnisse? Wer braucht was in diesem Moment, und zwar nicht in einem halben Jahr, sondern jetzt gerade so, wie es ist? Von diesen Überlegungen aus kann das Paar gemeinsam Strategien entwickeln, um Aufgaben aufzuteilen und Verantwortlichkeiten zu übertragen.
Allerdings fällt es uns oft schwer, genau diese Bedürfnisse offen anzusprechen. Was uns eher leichter fällt, ist, dem Partner Vorwürfe zu machen, zum Beispiel: „Du machst das nicht“ oder „Du bist immer so.“ Solche Äußerungen sind meist impulsiv und entstehen oft aus großer Verzweiflung. Das kann dazu führen, dass der Partner sich angegriffen fühlt und zurückschreckt, was es noch schwieriger macht, eine gemeinsame Ebene zu finden.
"Viele Mütter haben als Kinder fälschlicherweise gelernt, dass wir immer funktionieren müssen und nur geliebt werden, wenn wir Leistung bringen."
Mama-Beratung, Begleitung oder Psychotherapie – es gibt viele Wege, um müde Mamas zu unterstützen. Welche Hilfe ist die Beste?
Jede Mama braucht etwas anderes. Die Entscheidung, welche Unterstützung am besten passt, hängt von den zugrundeliegenden Bedürfnissen ab – und diese sind nicht immer sofort klar. Gerade wenn es mir als Mama schlecht geht oder ich mich überfordert fühle, fällt es manchmal schwer, meine eigenen Bedürfnisse zu erkennen. In solchen Momenten ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen und herauszufinden, was wirklich hilfreich für mich ist. Der erste Schritt ist jedoch, zu erkennen, dass man Unterstützung braucht, und den Mut zu haben, sich Hilfe zu suchen.
Wieso fällt es uns Mamas so schwer Hilfe anzunehmen?
Viele von uns Müttern haben als Kinder fälschlicherweise gelernt, dass wir immer funktionieren müssen und nur geliebt werden, wenn wir Leistung bringen. Zudem werden vor allem emotionale und psychische Herausforderungen in unserer Gesellschaft oft als Schwäche angesehen, die wir nicht zeigen dürfen. Dadurch neigen wir dazu, uns selbst mit einem „schlechte Mutter“-Sticker zu versehen. Doch davon dürfen wir uns befreien.
Es ist wichtig zu verstehen, dass wir keine schlechten Mütter sind, wenn wir unseren Kindern gegenüber anders handeln, als wir das eigentlich möchten. Vielmehr liegt das daran, dass wir bisher kaum Raum hatten, um unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu erkennen und zu erfüllen. Unser System macht es uns schwer, auf uns selbst Acht zu geben und unsere Ressourcen aufzufüllen.
Hier findet ihr Isabel Huttarsch:
Interview: Sabrina Proske
Foto: Franziska Spindler
Collage: "Canva"