Seit knapp zwei Jahren mischen die zwei ungleichen Schwestern Kaddie, 26, und Helena Rothe, 25, mit ihrer „goalgirls“-Community die Kreativbranche auf. Ihre Steckenpferde: Experience-Marketing, Social-Media-Kampagnen – und vor allem ganz viel Fempowerment. Unterwegs sind sie im Dienste einer großen Vision, nämlich die Art und Weise, wie wir arbeiten (und leben) zu revolutionieren und als gutes Beispiel voranzugehen. Vor kurzem wurde die Agentur durch die „co-creagency“ erweitert. Das Ziel ist es, mit 500 weiblichen Freelancern in einem Coworking Space an kreativen Projekten zu arbeiten. Kaddie hat vor der Agenturgründung „Interdisziplinäres Design“ am Goldsmiths College in London studiert, Helena „International Business“ auf Bachelor in Holland. Wie für die beiden eine bessere Welt aussieht, warum der weibliche Blick auf Kreativprojekte so wichtig ist, und warum ihre Generation dringend mehr Mitspracherecht und generell mehr Macht braucht, das erzählen Kaddie und Helena uns in Berlin.
Kaddie Rothe: Eigentlich nervt das Wort „Empowerment“ extrem. Obwohl es so zeitgeistig ist und für uns steht, wird es an vielen Stellen falsch gelebt. Uns geht es nicht darum, Role Models auf ein Podest zu stellen. Im Moment wird es immer so dargestellt, als gäbe es nur die eine, die irgendwas Bestimmtes schafft und der Rest, der schafft es nicht. Fempowerment ist für uns ein kollektives Gefühl, was wir mit unserer „co-creagency“ schaffen wollen. Wir wollen als Gruppe zusammenkommen, gegenseitig Stärken nutzen und eine Plattform bieten – eigentlich das, was Männer schon immer machen: sich gegenseitig Jobs geben und vertrauen. Die jetzige Empowerment-Bewegung ist auf Personenkulte bezogen und das ist nicht unbedingt hilfreich, weil es wieder diesen Wettbewerbsgeist schürt.
Kaddie: Ich finde es wichtig, dass die Zukunft von Männern, Frauen und Menschen aller Herkünfte, Glaubensrichtungen und kulturellen Hintergründe gestaltet wird. „Choose your own battles“ – für eine bessere Zukunft. Mein Battle ist für Gleichberechtigung. Das kommt aus eigener Erfahrung und dem Gefühl in der Branche nicht ernst genommen oder gehört zu werden. Ich glaube, das ist das Schicksal meiner Generation, die nun mit den Herausforderungen konfrontiert wird, die die vorangehenden Generationen immer ignoriert haben. Frauen und Männer funktionieren am besten in Kombination – aber dafür müssen wir mehr Frauen in Leadership- und Management-Positionen bringen, und im Anschluss Gleichberechtigung und gleiche Möglichkeiten schaffen.
Ich finde es wichtig, dass die Zukunft von Männern, Frauen und Menschen aller Herkünfte, Glaubensrichtungen und kulturellen Hintergründe gestaltet wird.
Kaddie: „goalgirls“ war mittlerweile entgegen unserer Vorstellungen eine recht festgefahrene Agentur. Wir hatten feste Mitarbeiter und immer wieder Girls, also Frauen, die uns projektweise unterstützten. Das „co-creagency“ Konzept entstand als wir auf der Suche nach Unterstützung plötzlich 160 Bewerbungen bekamen. Da waren wahnsinnig inspirierende Frauen mit dabei. Also haben wir weiter gesponnen und die Idee des Co-Working mit einer Kreativagentur kombiniert. Anstatt mit Festangestellten arbeiten wir fortan mit Freelancern zusammen.
Kaddie: Wir sind weiterhin „goalgirls“ – nur in viel größer, weswegen es auch einen neuen Namen brauchte, der das vermittelt. Wir haben außerdem eine GmbH gegründet. Wir kommen hier alle zusammen und arbeiten völlig frei nach Lust und Laune an eigenen Projekten. Eigentlich sind wir eine Micro-Community an Kreativen. Mädels, die Kapazitäten haben und anstehende Projekte unserer Agentur spannend finden, können an ihnen mitarbeiten. Die Hauptsache ist, dass wir uns hier austauschen und kollaborieren.
Kaddie: Wir haben schon Projekte gemacht, die nicht 100 Prozent unseren Werten entsprechen. Da muss man einen Mittelweg finden, anders wäre das alles nicht möglich. Es gibt einen bestimmten Prozentsatz an Projekten, die man machen muss und mit denen man andere Herzensprojekte finanzieren kann.
Wir sind hier mittlerweile so viele Frauen und am Montag kommen sogar noch einmal 40 dazu. Ich habe schon Angst, dass wir bald alle zusammen menstruieren und alle zur selben Zeit ausfallen. (lacht)
Kaddie: Sehr wichtig! Einen großen Pitch in der prämenstruellen Phase zu planen, ist nie eine gute Idee. Besser ist es, effizient zu sein und darauf zu hören, was der Körper einem sagt und wofür man gerade Kraft hat.
Helena Rothe: Stimmt. Wir sind hier mittlerweile so viele Frauen und am Montag kommen sogar noch einmal 40 dazu. Ich habe schon Angst, dass wir bald alle zusammen menstruieren und alle zur selben Zeit ausfallen. (lacht)
Kaddie: Uns ist das Konzept von „Radical Vulnerability“ total wichtig. Sprich, dass man dem anderen ehrlich sagt, wenn einen im Leben gerade etwas ablenkt. Wenn man als Chef auf einer persönlichen Ebene gewarnt wird, dass Sachen gerade nicht so gut laufen könnten, dann ist das völlig okay und gibt Spielraum. Ich höre immer wieder, dass in vielen Agenturen nicht die Offenheit herrscht über persönliche Dinge zu sprechen. Dieser Kampf darum, wer als Erster kommt und als Letzter geht, und all solche Sachen. Sowas gibt es bei uns nicht, wir leben Empathie und kommen einander entgegen.
Kaddie: Die „co-creagency“ ist eine Reaktion darauf, was wir mit der Agentur vorab erlebt haben. Nach etwa neun Monaten stellten wir da fest: Bei kreativen Projekten ist es sehr wichtig, mit dem Herzen dabei zu sein. In einem Festangestellten-Verhältnis kann es allerdings – und wird es – passieren, dass du an Projekten arbeitest, einfach weil deine Hilfe gerade gebraucht wird, auch wenn du darauf keine Lust hast.
Das hat sich in der alten Agentur oft weniger leidenschaftlich angefühlt, weil wir die Aufgaben unter unseren Festangestellten verteilen mussten und wir immer die Verantwortung hatten, dass alle etwas zu tun hatten. Jetzt ist es so, dass sich jede die Arbeit aussucht, die sie machen möchte – von der Position über das Projekt. Das fühlt sich viel verlässlicher an, weil wir sicher sein können, dass die Leute mit Herzblut dabei sind. Oft powern die Mädels viel mehr rein, als wir es uns erhofft hätten.
Viele Kampagnen, die an Frauen adressiert sind, gehen oft in Männerhände und transportieren eine falsche stereotype Message.
Kaddie: Unser Ziel ist, 500 Mädels zu empowern. Warum? Weil die Industrie eine neue Perspektive auf Designprozesse braucht. Die Männer einfach mal rausziehen und schauen, wie Frauen miteinander arbeiten, kollaborieren, netzwerken – und zwar ohne diese Stutenbissigkeit. „Empowering Diversity“ ist uns dabei ebenfalls wichtig.
Kaddie: Hier hilft ein Blick in die Kreativdirektionen großer Fachmagazine. Die sind größtenteils in der Hand weißer Männer mittleren Alters. Frauen sind grundsätzlich sehr erfolgreich in der Branche, aber sobald es um die Managementpositionen geht, haben Männer den Vortritt. Was total bescheuert ist, weil Frauen 75 Prozent der „Purchase Power“ haben. Die kaufen nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Familie. Viele Kampagnen, die an Frauen adressiert sind, gehen oft in Männerhände und transportieren eine falsche stereotype Message. Es gibt tatsächlich immer wieder Werbekampagnen, die einfach schrecklich sind.
Kaddie: Es gibt mittlerweile die Strategie, Reichweite durch Shitstorm zu erzielen. Das ist etwas, das unsere Generation hervorbringt und nicht unbedingt mit Frauen zu tun hat. Frauen wollen anders angesprochen werden. Wir springen nicht auf Produkte an, sondern vielmehr auf das Messaging drum herum. Für uns zählt, was ein Produkt in der Welt bewirkt.
Kaddie: Wir erzählen in Kampagnen eine Geschichte, die das „Why“ des Brands offenbart. Wir machen keine Werbung für Produkte, sondern Werbung für das, was hinter der Marke steht und erzählen, warum sie geschaffen wurde und was eventuell die Auswirkungen auf die Menschheit sind. Das kann auch eine Kopfschmerztablette aus der Pharmaindustrie sein. Ein Produkt, das ebenfalls die Welt verbessert, dahinter steht aber vielleicht ein Produzent, der nicht unbedingt die besten Absichten hat.
Kaddie: Wenn unsere Generation eine Stimme und mehr Macht bekommt. Wir leben anders als die, die gerade repräsentieren und in der Politik sitzen. Die Weisesten und Ältesten sollten nicht alles entscheiden, stattdessen sollten junge Leute ihre Perspektiven mit einbringen. Gleichberechtigung für Frauen, Chancengleichheit und Diversität machen die Welt ebenfalls zu einem besseren Ort. Und das Thema Nachhaltigkeit liegt uns am Herzen. Aber das sind Sachen, die unsere Generation ohnehin schon lebt, im Gegensatz zu denen, die an der Macht sitzen.
Fotos: Sophia Lukasch
Interview: Stephanie Johne
Layout: Kaja Paradiek
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