Oh du stressige Weihnachtszeit? Wie wir unsere mentale Gesundheit schützen können

Woher kommt das, dass eine Zeit, die angeblich besinnlich, friedvoll, gemütlich und voller Liebe sein soll, für viele Menschen ultimativen Stress bedeutet? Laut einer „forsa“-Umfrage fühlen sich 39% der Befragten in der Weihnachtszeit gestresster als sonst – eine wichtige Rolle dabei spielen Familienfeiern. Wie schaffen wir es also im Jahresendspurt vor den Feiertagen nicht verrückt zu werden – und ggf. konfliktbelastete Familientreffen gut zu überstehen? Darüber sprechen wir in unserer neuen Podcast Folge mit Diplom-Psychologin und psychologische Psychotherapeutin Miriam Junge.

In meiner Branche steigt gegen Ende des Jahres der Druck noch mal an.

femtastics: Miriam, wie blickst du der Weihnachtszeit entgegen?

Miriam Junge: In meiner Branche steigt gegen Ende des Jahres der Druck noch mal an. Menschen werden bedürftiger. Die innere Uhr sagt, dass die Kräfte weniger werden, aber man will noch das und das bis zu einem bestimmten Datum geschafft haben – was eigentlich total irrsinnig ist.

Die inneren Ansprüche steigen, aber die Kraft lässt logischerweise nach, weil wir ja schon ein Jahr lang auf Ziele hingearbeitet haben. Außerdem werden die Tage kürzer und es wird kälter. Klient*innen melden sich und sagen: „Oh Mann, es kommen wieder die alten Muster hoch. Kann ich noch ein Termin haben vom Jahreswechsel?“ Ich habe damit gerechnet, bin relativ fit, nutze meine Ressourcen, mache meine Pausen und bin sozusagen im Endspurt.

Warum kommen auf einmal plötzlich wieder diese Muster hoch, von denen deine Klienten berichten? Was wirkt da?

Das Disziplinkonto wird leerer. Während des Jahres sind wir motiviert und versuchen die Dinge zu bewältigen. Jetzt steigt der Druck, bestimmte Dinge noch erledigen zu wollen, die wir uns vorgenommen haben. Aber unsere Motivation, unsere Kraft, die ganze Energie geht einfach runter. Dadurch, dass wir weniger Sonnenlicht haben zum Beispiel, oder dadurch, dass wir gestresster sind oder dadurch, dass wir einfach wegen dieser ganzen Weltlage auch anfälliger sind und merken, es ist alles ganz schön anstrengend.

Alte Muster zu erkennen, bedeutet sehr achtsam und bewusst in seinem Verhalten und Nachdenken zu sein. Wenn wir in so einen Funktionsmodus rutschen, was die meisten eben gerade tun, sind wir nicht mehr bei unseren Bedürfnissen. Dann kommen diese alten Muster wieder hoch, wie zum Beispiel: Ich mache keine Pausen. Ich ernähre mich nicht mehr so gesund. Ich lass den Sport sein. Ich gehe nicht rechtzeitig ins Bett. Ich pass nicht mehr so gut auf.

Eine andere wichtige Ebene ist die private Beziehungsebene. Für viele Menschen ist die Konfrontation mit der Familie und Großfamilie an Weihnachten mit Stress und Konflikten verbunden. Wovor haben die Menschen Sorgen?

Alte Glaubenssätze ploppen hoch, wie Familie zu sein hat, aber wie sie eigentlich gar nicht ist. Das sind oft kindliche Wünsche von Weihnachten. Die Weihnachtszeit – bzw. generell Festtage, egal welcher Glaubensrichtung oder Religion – muss friedlich, besinnlich und harmonisch sein. Und wenn Dinge so sein müssen, wie man sie sich vorstellt, werden sie meistens nicht so, weil das unter Druck geschieht. Dieser Druck führt zu einer Potenzierung der inneren Anspannung. Das bedeutet, man hat eine kurze Reißleine und es knallt schneller. Je älter wir werden und je mehr uns bewusst wird, was wir eigentlich tragen und welche Muster wir mit unseren Familien haben und welche Dinge nicht passen, umso schwieriger wird es, das auszuhalten oder zu ertragen.

Frauen* müssen besonders viel halten und aushalten, was Harmonie und Familienzusammenhalt betrifft. Aber eigentlich können sie sich selbst gar nicht mehr halten vor lauter Stress.

Frauen* müssen besonders viel halten und aushalten, was Harmonie und Familienzusammenhalt betrifft. Aber eigentlich können sie sich selbst gar nicht mehr halten vor lauter Stress. Frauen* neigen interessanterweise dazu, ihre Bedürfnisse dann erst recht zurückzustecken. Sie sehen sich nach alten Konventionen verantwortlich für die Orga oder fürs gute Essen, also für die ganzen Bedingungen, die dazu beitragen sollen, damit das Rundherum irgendwie stimmt – und rutschen dann wirklich in schwere Erschöpfungszustände.

Das heißt, du erkennst aus deiner Praxiserfahrung tatsächlich einen geschlechtsspezifischen Unterschied, dass Frauen* durchschnittlich mehr vom Feiertagsstress betroffen sind als Männer*, zumindest beim Thema Mental Load?

Im Durchschnitt würde ich das auf jeden Fall sagen. Die Frauen*, mit denen ich zusammenarbeite, haben alle einen sehr hohen Anspruch an sich selbst, haben Familie und einen oder mehrere Jobs und fühlen sich dann noch verantwortlich, sich um Geschenke, um Organisation zu kümmern, damit alle versorgt sind. Die Rollen sind meistens sehr vorgegeben, das Verantwortungsgefühl von Frauen* für Harmonie und Fürsorge ist unausgesprochen da.

Das kennen bestimmt viele aus der eigenen Familienerfahrung.

Und die meisten nehmen es einfach hin, weil es immer so war. Erfahrungsgemäß kommen wir irgendwann in unserem Leben an einen Punkt, indem wir vielleicht einen Podcast hören oder ein Coaching machen oder merken, dass wir in eine Erschöpfung rutschen, dass wir Dinge verändern müssen. Meistens ist das ein Punkt, an dem wir anfangen, unsere Vergangenheit noch mal neu schreiben zu wollen und merken: Ah ja, stimmt, das muss gar nicht so sein. Ich muss gar nicht in diese Erschöpfung rutschen. Nur, weil das traditionell so vorgegeben ist, heißt das nicht, dass ich das weitermachen muss.

Hier entsteht dieser erste Wachstumsschmerz, sich von Dingen zu distanzieren, sich seine Bedürfnisse noch mal bewusster zu machen und Dinge im Leben zu verändern.

Das ganze Interview mit Miriam Junge hört ihr in unserer Podcast-Episode!

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Foto: Sabin Tambrea

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