Eltern-Burnout: Was dahintersteckt und wie Mütter und Väter vorbeugen können

Linda Rasumowsky ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich. Ihre Patient*innen sind vorrangig weiblich, denn die 37-Jährige hat sich auf die psychische Gesundheit von Müttern spezialisiert. Ein Phänomen, auf welches sie in ihrem Arbeitsalltag häufig trifft, ist das Eltern-Burnout. Im Interview erklärt sie, was man unter Eltern-Burnout versteht und wie man vorbeugen kann.

femtastics: Was genau versteht man eigentlich unter Eltern-Burnout?

Linda Rasumowsky: Ein Burnout ist generell keine offizielle psychiatrische Diagnose. Häufig handelt es sich dabei klinisch um eine Depression. Es gibt aber einen Diagnosezusatz, einen Hinweis darauf, wie sich die Depression äußert. Bei einem Burnout ist das ein Erschöpfungszustand, der sich im Fall eines Eltern-Burnouts eben konkret auf das Elternsein bezieht.

Durch die Benennung als Eltern-Burnout, grenzt du das Phänomen klar vom „klassischen“ Burnout ab. Warum?

Es kann Betroffenen helfen, überhaupt eine Idee davon zu bekommen, dass es dieses Phänomen gibt und dass sie nicht die einzigen sind, die die Elternschaft so empfinden.

Und wie äußert sich ein solcher Burnout?

Im Vordergrund steht die totale Erschöpfung. Oftmals geht damit auch eine emotionale Distanz zur Elternrolle einher, der Wunsch, einfach mal weg zu sein, das Elternsein und alles, was damit zu tun hat, für einen Moment zu vergessen.

Was ich auch oft beobachte, ist ein Gefühl von „Ich blicke da nicht mehr durch“, der Gedanke, man sei ineffektiv und bekäme gar nichts mehr hin. Hinzu kommen depressive Symptome wie Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche und Reizbarkeit, weshalb man nicht mehr so auf die Kinder eingehen kann, wie man es sich eigentlich wünscht. Zeitgleich nehmen Sorgen einen großen Raum ein und lassen schönen Empfindungen keinen Platz. Das wird, je nach Fortschritt, häufig begleitet von physiologischen Symptomen wie Herzklopfen, Brustschmerzen oder Schlafstörungen. Es ist aber nicht so, dass jede*r Betroffene alle Symptome gleichermaßen erlebt.

Psychische Belastungen ganz allgemein, und bei Eltern besonders, werden immer noch gesellschaftlich stark stigmatisiert.

Für viele ist es sicher schwierig, sich einzugestehen, dass man selbst an einem Burnout leiden könnte, oder?

Psychische Belastungen ganz allgemein, und bei Eltern besonders, werden immer noch gesellschaftlich stark stigmatisiert. Betroffene möchten möglichst lange dem Bild von Eltern entsprechen, die alles im Griff haben, weil gesellschaftlich vorgegeben ist, wie Elternschaft zu sein hat. Überforderung hat da keinen Platz und gilt dann schnell als „Elternversagen“.

Sind häufiger Frauen* oder Männer* vom Eltern-Burnout betroffen?

Studien sagen, dass Mütter ungefähr doppelt so häufig betroffen sind. Die Zahlen sind aber mit Vorsicht zu genießen, weil sich das Eltern-Burnout bei Vätern oft anders äußert. Da gibt es mehr Wut und Frustration, die häufiger in Abwesenheit münden. Die Väter bleiben etwa länger bei der Arbeit, weil sie zu Hause die Burnout-Symptomatik erleben. Das wird in Studien oft gar nicht erfasst. Dennoch ist es sicher richtig, dass mehr Mütter betroffen sind, was vorrangig daran liegt, dass sie trotz Berufstätigkeit mehr Care-Arbeit und häusliche Aufgaben übernehmen.

Es muss normaler werden, dass auch Väter bei der Arbeit fehlen, wenn das Kind krank ist, dass sie früher von der Arbeit gehen, um es aus der Kita abzuholen. Gleichstellung, im Sinne von Möglichkeiten, funktioniert nicht mit den Rollenerwartungen die wir noch immer an Mütter und Väter haben. Gesellschaftlich wird vom Vater erwartet, dass wir ihm sein Vatersein bei der Arbeit nicht anmerken. Mütter sollen ein ähnliches Erwerbsarbeitspensum leisten wie Väter, aber auch die „perfekte“ Mutter im konservativen Rollenverständnis sein. Das geht gar nicht auf.

Es muss normaler werden, dass auch Väter bei der Arbeit fehlen, wenn das Kind krank ist, dass sie früher von der Arbeit gehen, um es aus der Kita abzuholen.

Was kann ich denn tun, wenn ich das Gefühl habe, eine Freundin oder ein nahestehender Mensch rutscht in ein Eltern-Burnout?

Ernsthaft nachfragen, wie es der Person geht. Wenn die Betroffene spürt, da ist jemand, der wirkliches Interesse hat, fällt es leichter, sich zu öffnen. Wir brauchen das Gefühl verstanden, gesehen und gehört zu werden.

Nachfragen kann ein erster Schritt sein, um in jemanden hineinzuspüren. Hier geht es aber auch darum, wertfrei zuzuhören, also nicht mit 1.000 Ratschlägen daherzukommen. Mit „Gönn‘ Dir mal eine Pause!“, ist es oft eben nicht getan, sonst würden Mütter das tun. Solche Tipps machen die Probleme Betroffener oft nur klein und signalisieren, dass es sich um Nichtigkeiten handelt.

Wenn möglich, gerne auch konkrete Unterstützung anbieten: „Kann ich Dir die Kinder mal abnehmen?“, „Ich habe so viel gekocht, darf ich Dir etwas davon vorbeibringen?“ – das sind Dinge, die im Alltag helfen können, auch, um in Kontakt zu kommen. Menschen die in psychischen Belastungszuständen sind, fühlen sich oft sehr isoliert.

Wann würdest du zu einer Therapie raten?

Wenn der Gedanke da ist: „Soll ich zur Therapie, oder nicht?“, dann ist meistens schon genug Leidensdruck da und dann gibt es im Regelfall auch genug Themen, die man mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten anschauen könnte.

Menschen die in psychischen Belastungszuständen sind, fühlen sich oft sehr isoliert.

Wie kann so eine Therapie bei dir aussehen?

Das ist sehr individuell. Es geht aber immer um die Bewältigung des Alltags, also um konkrete Entlastung, die Frage, wo Stress reduziert werden kann. Und es geht um das Angehen eigener Muster, wie den hohen Anspruch an sich selbst oder das nicht-Eingestehen, Unterstützung zu brauchen und alles selbst schaffen zu müssen. Oft beleuchten wir in der Therapie auch die Prioritäten. Wo kann ich Abstriche machen? Menschen haben nur eine begrenzte Kapazität. Was ich auch immer anbiete sind Paargespräche, wenn es eine*n Partner*in gibt, weil es ganz häufig um Aufgabenteilung geht und darum verstanden und gesehen zu werden.

Und präventiv? Was kann ich tun, damit es gar nicht erst soweit kommt?

Wichtig ist eine gute Arbeitsteilung, sofern da Menschen sind, mit denen wir teilen können. Das ist aber oft eine Frage von Privilegien, weil die einen Hilfe beispielsweise bezahlen können, andere nicht.

Schöne Momente mit den Kindern schaffen. Dabei geht es nicht um die Dinge die schön sein „sollten“, die wir schön finden „müssten“. Vielleicht ist es nicht Plätzchen backen, sondern einfach das gemeinsame Kuscheln. Wenn wir schöne Momente mit den Kindern ganz bewusst wahrnehmen, entsteht ein Gegenpol zur Belastung, was wichtig für unsere Psyche ist.

Und wichtig ist auch, Emotionen zuzulassen. Gefühle zeigen uns häufig: Da stimmt etwas nicht. Wenn wir diese aber einfach beiseite wischen, können wir sie nicht als Signal nutzen.

Gefühle zeigen uns häufig: Da stimmt etwas nicht. Wenn wir diese aber einfach beiseite wischen, können wir sie nicht als Signal nutzen.

Wie kann ich gegensteuern, wenn ich merke, ich rutsche doch in ein Eltern-Burnout?

Wenn es irgendwie geht: Pausen, Schlaf, Erholung einbauen. Das klingt banal, ist mit Kind häufig aber schwierig. Man muss konfliktbereit sein, zum Beispiel Dinge streichen, die man gerne gemacht hätte, in Diskussionen gehen, die man nicht führen will, eigene Erwartungen herunterschrauben oder akzeptieren, dass man Erwartungen anderer nicht gerecht wird. Das ist hart. Dabei behindern einen oft Denkmuster wie: „Das kann ich nicht tun“ oder „Das darf ich doch nicht“.

Linda Rasumowsky ist Psychotherapeutin mit eigener Praxis in Zürich (Foto: Livia Bass)

Aber warum lassen wir uns so sehr von diesen Denkmustern beeinflussen, wenn wir doch wissen, dass wir eigentlich eine Pause bräuchten?

Das sind Dinge, die wir verinnerlicht haben. Die meisten Menschen der aktuellen Elterngeneration wurden als Kind noch nicht darin bestärkt, auf sich und ihren Körper zu hören, wenn sie erschöpft waren. Da hieß es noch, dass man sich zusammenreißen müsse.

„Wir haben das früher auch alles hinbekommen“, ist so ein Satz aus der Großelterngeneration, der suggeriert, heutige Elterngenerationen seien nicht belastbar genug. Was können wir einer solchen Aussage entgegnen?

Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt Beobachtung, dass mit zunehmender Erwerbsarbeit von Müttern, die Arbeitsbelastung in Stunden massiv zugenommen hat, weil Betreuungsarbeit und Hausarbeit ja nicht einfach wegfallen.

Es kommt ganz darauf an, wie tief du mit so jemandem ins Gespräch gehen willst und was sich für dich selbst gut anfühlt. Grundsätzlich hilfreich ist vielleicht einfach der Hinweis, dass jede Generation die Dinge anders macht, als die vorangegangene.

Therapie wirkt am besten, wenn ein Teil von dir noch gut funktioniert, weil du dann über mehr Ressourcen verfügst, dich um dich selbst zu kümmern.

Mit deiner Website „Mental Well Mom“ willst du Müttern einen einfacheren Zugang zum Thema psychische Gesundheit bieten. Was genau finden wir dort?

Der Name ist so gewählt, weil primär die psychische Gesundheit von Müttern mehr Beachtung braucht, generell richtet sich das Angebot aber an alle Eltern. Über die Plattform bekommst du psychische Beratung, Online-Workshops und Kurse. Es geht darum, dass Menschen verstehen, dass sie früh genug auf sich schauen dürfen.

Therapie wirkt am besten, wenn ein Teil von dir noch gut funktioniert, weil du dann über mehr Ressourcen verfügst, dich um dich selbst zu kümmern. Steckst du schon tief in der Systematik, geht es vorrangig um Symptombewältigung, aber noch nicht um den Kern des Ganzen.

Bei mir erfahren Eltern, aber auch die Freund*innen und die Familien von Eltern, was helfen kann, um bei all den Herausforderungen des Elternseins psychisch gesund zu bleiben.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Linda!

Hier findet ihr „Mental Well Mom“:


Interview: Andrea Eisele
Aufmacherbild: Adobe Stock, Fotos: Livia Bass

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