Relax! Warum ausgeruhte Frauen* die besseren Feministinnen sind

Ein Plädoyer, warum Frauen* sich schamlos ausruhen sollten

Die Festtage stehen vor der Tür – eine Zeit, die für viele als Synonym für Besinnlichkeit und Entspannung gilt. Doch gerade Frauen* erleben oft das Gegenteil: Statt Ruhe und Erholung bestimmen To-do-Listen, Vorbereitungen und Erwartungen ihren Alltag. Barbara Dopfer ist Yoga Nidra-Expertin, Zyklusbewusstseins-Mentorin und Yogalehrerin – und rät Frauen* sich schamlos auszuruhen. Vielleicht sollte das DER Neujahrsvorsatz für 2025 sein!

Viele setzen Ausruhen mit faul sein gleich.

femtastics: Was denkst du, woher kommt es, dass Frauen* sich oft übernehmen und ihre eigenen Pausen zu kurz kommen?

Barbara Dopfer: Meine Oma hat immer gesagt „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“. In der westlichen Welt ist produktiv sein immer noch ein riesiges Thema. Viele haben diese Sätze im Kopf und setzen Ausruhen mit faul sein gleich. “Produktiv sein” ist gleichbedeutend mit “ich muss was machen“. Hinzu kommt, dass wenn wir anfangen uns auszuruhen, wir von innen anfangen zu arbeiten, wir können uns in der Smartphone dominierten Welt nicht mehr ablenken und das kann auch ziemlich unangenehm sein. 

Es ist vergleichbar mit einem landenden Flugzeug, das zuvor durch die Wolken und die damit verbundenen Turbulenzen fliegen muss. Bevor wir uns ausruhen können, müssen wir erstmal durch diese emotionalen Wolken hindurch. Das auszuhalten, schaffen in der heutigen Welt die Wenigsten, insbesondere, weil sich viele nicht unterstützt fühlen. Viele Frauen* fragen sich: “Bin ich wirklich sicher, wenn ich die Augen zu mache?”. Diese Urangst, nicht sicher zu sein, wenn wir die Augen schließen, ist noch immer fest in uns verankert. 

Scham hat uns noch nie weitergebracht.

Du benutzt in diesem Kontext das Wort „schamlos“. Warum sollten sich deiner Meinung nach Frauen* schamlos ausruhen?

Scham hat uns noch nie weitergebracht. Wenn wir als Gesellschaft und vor allem als Frauen* kraftvoller werden wollen, dann reicht Empowerment allein nicht aus. Daher rate ich zum schamlosen Ausruhen, obwohl es genauso ein Tabuthema wie Menstruation oder Sex ist. “Ich habe mich mal wieder stundenlang ausgeruht”, ist eine seltene Aussage von Frauen*. 

Ich habe vor circa zehn Jahren während meiner Selbstständigkeit damit angefangen. Das aktive Ausruhen während meiner Periode fiel mir zu Beginn sehr schwer. Trotzdem legte ich mich mit schlechtem Gewissen hin. Es fühlte sich komisch an, künstlich forciert, aber ich begegnete meiner Scham und habe zu ihr gesprochen: “Hallo Scham.“ Mit der Zeit habe ich begonnen, schamloser darüber mit anderen zu sprechen.

Wichtig ist, dass uns bewusst wird, dass wir als Frauen* jahrhundertelang ruhig gestellt wurden. Jetzt haben wir die Chance etwas zu sagen. Die tiefe Angst, überhört zu werden, kenne ich zu gut. Aber das ständige Tun und Machen brennt uns aus. Im Feminismus heißt es “kämpfen, kämpfen, kämpfen”, aber wir können nicht kämpfen, wenn wir nicht ausgeruht sind. 

Wir können nicht kämpfen, wenn wir nicht ausgeruht sind.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft und Pause zu machen ist bei vielen noch ein No-Go, sei es im Job oder auch im Privatleben. Warum sollte der Archetyp der “ausgeruhten Frau*” populär werden?

Die ausgeruhte Frau* ist für mich eine Art Urkraft, eine Basis für alles. Ausgeruht sein bedeutet, dass in mir alles erwachen kann. Wenn ich erschöpft bin, ist in mir alles platt. Ein ausgeruhtes Nervensystem bedeutet für mich eine grandiose innere Stabilität. Wir sollten das Ausruhen als eine Tankstelle zelebrieren, aus der wir Kraft ziehen, um all das zu kreieren, was wir uns vorgenommen haben.

Welche Auswirkungen hat ein ausgeruhtes Nervensystem auf unser Verhalten und unsere Gesellschaft?

Je mehr ich in mir ruhe, desto mehr habe ich den Mut, Dinge zu tun, die nicht perfekt sind. Viele Frauen* leiden unter Perfektionismus. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass das, was wir tun, okay ist. Ein ausgeruhtes Nervensystem hilft uns bei den Dingen, die uns als Frauen* oft schwerfallen. In meinem Berufsalltag erlebe ich oft Frauen*, die sich wünschen, dass sich etwas in ihrem Leben ändert. Es fällt ihnen aber schwer, tatsächlich etwas zu ändern, da ihnen die Energie fehlt. 

Gestresste Menschen reagieren, ausgeruhte Menschen agieren.

Je mehr wir unsere Wurzeln wachsen lassen, desto prächtiger kann unsere Blüte hervorkommen. Diese Blüte, also unser schamloses Selbst, kann und darf andere überfordern. Um diesem Gegenwind standhalten zu können, müssen wir uns schamlos ausruhen. Wenn wir wieder unsere Ruhe finden, kommen wir damit klar, dass nicht alle uns toll finden. Gestresste Menschen reagieren, ausgeruhte Menschen agieren. Um zu einer guten Lösung zu gelangen, ist es lohnenswert sich länger mit eigenen Problemen auseinanderzusetzen. Eine ausgeruhte Menschheit würde nachhaltigere Entscheidungen treffen. 

Menstruierende durchleben jeden Monat Höhen und Tiefen während ihres Zyklus. Wie würden sich ihre Empfindungen während des Zyklus verändern, wenn sie sich mehr Ruhe gönnen würden?

Viele ausgeruhte Frauen* berichten mir, dass ihr Zyklus ausbalancierter ist. Ergänzend gibt es andere Stellschrauben, wie zum Beispiel das Thema Ernährung, aber schon alleine das Ausruhen kann dabei helfen, Menstruationsbeschwerden zu lindern und die emotionale Achterbahn vor der Menstruation besser zu bewältigen. 

Sich Pausen zu genehmigen, sich ausruhen und mal “Nein” zu sagen, fällt vielen Frauen* schwer. Wie gehst du privat vor, wenn du eine Auszeit brauchst?

Es muss nicht eine Stunde Sport am Tag sein, es kann auch ein kurzer Spaziergang um den Block sein. Sich in Stille hinsetzen, ist schon next level. Wenn ich das Gefühl habe, dass es in meinem Kopf gerade eng ist, gehe ich gerne eine Runde spazieren. Sobald ich rausgehe, ändert sich mein Blick. Dabei nehme ich gerne mein Handy im Flugmodus mit und spreche meine Gedanken laut aus. Das ist eine tolle Möglichkeit, mich zu sortieren und Platz zu schaffen, quasi wie eine Müllabfuhr. 

Und ich praktiziere Yoga Nidra. Das ist meine Methode, um mich in eine tiefe Entspannung zu bringen. Ich konnte jahrelang nicht still sitzen, erst durch Yoga Nidra habe ich diese Fähigkeit erlangt. Auch ein Bodyscan, bei dem man die eigenen Körperteile von Kopf bis Fuß bewusst fühlt, kann helfen. Vor allem wenn man im Job viel sitzt, ist es wichtig, sich bewegen. Das Gehirn braucht kleine Pausen, damit es sich entlasten kann. 

Wie können Frauen* mit deiner Yoga Nidra-Methode das Ausruhen und den Umgang mit Stresssituationen lernen?

Es ist immer noch ein Unterschied, ob ich als Frau* oder als Mann* nachts alleine joggen gehe. Wir Frauen* sind bei meiner Yoga Nidra-Methode unter uns, unser Nervensystem kann sich sicher fühlen. Mit den Teilnehmer*innen wird ein Raum geschaffen, in dem alles ausgesprochen werden darf und ein Gefühl von “ich bin nicht alleine” aufkommt. Ich beziehe den weiblichen Körper mit ein, um das Frau* Sein zu zelebrieren. 

Es braucht eine Ausruh-Disziplin, um die volle Wirkung zu spüren.

Gibt es ein paar einfache Tipps, wie Frauen* im Alltag durchatmen können, ohne direkt die Yogamatte ausrollen zu müssen?

Tatsächlich braucht es eine Ausruh-Disziplin, um die volle Wirkung zu spüren. Anders geht es nicht. Die Herausforderung ist, am Ball zu bleiben, sich den eigenen Emotionen zu stellen und diese auszuhalten. Ich empfehle richtige Ausruh-Dates mit sich selbst auszumachen oder sich eine*n Buddy zu suchen. 

Ein*e Freund*in, mit der*dem man sich aktiv am Ende der Woche trifft und das Ausruhen bespricht. Auch wenn Frauen* wenig Zeit in ihrem Alltag finden, sei es durch den Job, die Erziehung der Kinder oder den*der Partner*in – es gibt diese Lücken. Manchmal ist es einfach die eine Tasse Tee. Es braucht jedoch Mut, den eigenen Wunsch nach Pause, Ruhe und Ausruhen aktiv anzusprechen und zu kommunizieren. Sei es bei Partner*innen, Familienmitgliedern, Mitbewohner*innen oder auch bei sich selbst. “Diese Viertelstunde gehört mir”. Ausruhen beginnt bei der Kommunikation!

Hier findet ihr Barbara Dopfer:



Interview: Lina Ziegler
Collage/Foto: „Canva“/privat

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