Kleine Stullen, garniert mit Kresse, in Kokosflocken gerollte Powerballs und grün strahlende, frische Säfte: Bevor ich Nicole Rutsch persönlich kennenlernte, habe ich schon von ihrem Teller gegessen – auf der Fashion Week in New York vor ein paar Jahren. Hier hat sie für Alexander Wang und Philip Lim das Catering übernommen. Daneben das Schild „Brooklyn Fraeulein“, der Name ihrer Catering-Firma. Eindeutig deutsch, dachte ich mir und sprach sie an. Für gewöhnlich rollen selbst im Big Apple „backstage“ bei Fashion Shows nur ein paar Äpfel über den Tisch und bröckeln trockene Kekse vor sich hin. Nicht gerade Powerfood, weder gut für Haut, Haar, Seele oder das Auge. Bei der 36-jährigen Nicole schmeckt es nicht nur besser, es sieht auch schöner aus.
Kein Wunder, dass ihr Schwerpunkt heute Food Styling und Healing Food ist. Sprich: Sie liefert Geschmack auf allen Ebenen und verbindet Ästhetik mit gesundem Essen, gibt Workshops und arbeitet an eigenen Produkten. Seit 12 Jahren lebt die aus Stadecken-Elsheim in Rheinland-Pfalz stammende Kreative schon in New York, wo wir sie in ihrer Wohnung in Brooklyn besuchen. Natürlich steht auch hier der frische Juice schon auf dem Tisch.
Nicole Rutsch: Nach dem Abitur war ich ein Jahr als Au-pair in New York – so fing es an! Eigentlich wollte ich mir hier meine Mappe für das Kunststudium aufbauen. Dann kam es anders: Meine Lehrer wollte mich gleich hier in die Uni bringen. Eigentlich wollte ich Fotografie studieren, bin dann aber in die Malerei gerutscht und habe das studiert. Am „FIT“ – „Fashion Institute of Technology“ – habe ich anschließend Marketing und Werbung studiert. Ich habe gemerkt, dass ich keine Kunst machen möchte, sondern lieber kommerziell arbeiten. Parallel habe ich für einen Fotografen gearbeitet. Künstler kannst du immer sein, wenn das Talent da ist. Die Kunst liegt aber in der Vermarktung!
Nach fünf Jahren in der Fotografie hat es gereicht. Und ich habe meine deutschen Wurzeln vermisst, die Werte. Ich wollte etwas Heimat und Tradition erhalten und habe „Liebe ist Jam“ gegründet, mein Marmeladen-Label. Ich hatte von Anfang an eine ästhetische Vision, habe an schönes Frühstück gedacht, mit Croissants und allem, was dazu gehört. Ich habe nur Rezepte meiner Oma benutzt und diese mit Kräutern angereichert und modernisiert. Damals war mir die heilende Wirkung noch nicht klar. Für mich war es total intuitiv.
Mein Essen macht mehr als nur satt. Es tut dem Körper und der Seele gut, heilt dich von innen, gibt Kraft oder gleicht aus. Ich habe eine Reiki Ausbildung, arbeite schon lange mit einer Shamanin zusammen, nehme spirituelles Coaching in Anspruch.
Oh, ich mache ziemlich viel. Workshops, Food Styling, Coachings, aber auch Fotografie. Ich arbeite mit verschiedenen Kunden zusammen, und zudem arbeite ich mit einer Freundin an „Hint of Greens“, einer Lifestyle-Marke für pflanzenbasierte Medizin, fokussiert auf Cannabis und CBD. Wir entwickeln gerade eigene Produkte und einen Store – ich bin da Creative Director und Food Expertin.
Mit „Hint Of Greens“ wollen wir Cannabis ein neues „Gesicht“ geben – eigentlicht ist es eine weibliche Pflanze, das Image aber sehr maskulin. Genau da setzen wir an, wir wollen die Wahrnehmung verändern und den postiven Nutzen heraus arbeiten, wie z.B. die heilende Wirkung von Cannabis. Unser erstes Produkt sind Crystal Tips, Kristall-Spitzen zum Rauchen. Es werden Tee, aber auch Smoke Blends und CBD-Öl – zum Kochen, Einmassieren und auch für Tiere – folgen. Dazu kommen Retreats, die den Gedanken vervollständigen. „Hint Of Greens“ ist ein ganzheitliches Konzept, im Grunde ein Lifestyle.
Mein Essen macht mehr als nur satt. Es tut dem Körper und der Seele gut, heilt dich von innen, gibt Kraft oder gleicht aus.
Über eine Freundin wurde der Kontakt zu einer der größten Produktionsfirmen der Fashion Week hergestellt – ich habe bei einem Tasting mitgemacht und wurde engagiert, das war 2015. Für mich galt immer: Das Auge isst mit! Ich kuratiere Essen, tische nicht einfach auf. Ich stecke in die Präsentation genauso viel Liebe wie in das Kochen und die Auswahl der Zutaten. Gleichzeitig überlege ich mir: Welche Energie braucht das Event?
Alle wollen alles schnell und nicht viel Geld ausgeben. Mein Anspruch ist aber immer, hohe Qualität zu liefern und nur mit frischen, möglichst Bio-Zutaten zu arbeiten. Das passt leider nicht zusammen. Heute arbeite ich eher mit Wellness-Brands, die ebenfalls diesen Anspruch haben. Es muss sich einfach noch viel tun, das Bewusstsein für Essen muss sich verändern.
Es muss sich einfach noch viel tun, das Bewusstsein für Essen muss sich verändern.
Nein, im Gegenteil! Hier ist man eher offen für meine Themen. Die Leute, speziell in New York natürlich, haben viel Interesse, sind „mindful“. Deutschland fühlt sich viel eingeschränkter an, viele Menschen trauen sich nicht, in sich zu schauen und ehrlich mit sich zu sein. Es zwickt was? Dann geht man zum Arzt, aber keiner achtet auf Anatomie, Lifestyle, Stress-Level und Arbeitsalltag. Eine Pille eingeworfen und die soll’s beheben. Das kann ja nicht gut gehen, oder? Die Frage ist doch: Was mache ich, was mir gut tut? Man muss sich schon etwas beobachten.
Du bist, was du isst – das stimmt einfach. Und Lebensmittel können heilen! Aber es fehlt noch an Wissen. Du fühlst dich ja nicht nur besser, wenn du deine Ernährung änderst, man wird es auch sehen, der ganze Lebensstil reflektiert sich in deiner Ausstrahlung. Und auch die Haut wird schön. Nicht schlecht, oder?
Ich gebe Workshops, leite Retreats, betreue verschiede Privat-Klienten. Wichtig ist die Atmosphäre: Nicht einfach „lehren“, sondern fördern und Heilung zulassen. Es geht immer um alle Sinne. Ich möchte, dass sich meine Energie in allem spiegelt. Das sieht man auch in meiner Bildsprache: Sie ist nie künstlich, eher rustikal, aber dennoch liebevoll und schön.
Eine Pille eingeworfen und die soll’s beheben. Das kann ja nicht gut gehen, oder?
Ich wäre gerne überall! Ich möchte meine Arbeit allen zugänglich machen, worldwide. Vor allem aber auch gerne mehr in Deutschland. Das ist meine Heimat, ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen – ein bisschen: back to the roots.
Das Netzwerk ist sehr wichtig. Ich bin eh sehr sozial, liebe es, Menschen zusammen zu bringen und lebe in der Community, nicht solo. Meine Zeit an der „FIT“ hat mir viele Verbindungen gebracht, aber es entwickelt sich immer weiter. Manchmal vermiete ich ein Zimmer unter – gerade wohnt eine Interior Designerin, Henrike Schaefer, bei mir, die auch meiner Wohnung einen kleinen Feinschliff gegeben hat. Zusammenarbeit und Support sind mir wichtig, ohne das geht es hier nicht. Man darf nicht schüchtern sein.
Zusammenarbeit und Support sind mir wichtig, ohne das geht es hier nicht.
Vergleiche dich nicht! Sei du selbst. Die Menschen hier sind sehr offen, du brauchst dich nicht zu verstellen.
Fotos: Nicole Rutsch/Vince Azure
Interior-Styling: Henrike Schaefer
Interview: Laura Dunkelmann
Layout: Kaja Paradiek
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