So kannst du deine Zyklusphasen beim Sport nutzen – Interview mit Arlow Pieniak von „Work It Training“

Die „Unsichtbarkeit“ von Frauen* betrifft fast alle Lebensbereiche – Frauen* werden bei der Altersvorsorge nicht mitgedacht, medizinische Studien beziehen nur Männer* ein und ohne die unsichtbare, täglich geleistete Care-Arbeit von Frauen* würde keine Gesellschaft auf dieser Welt funktionieren. Jedes Mal, wenn ein neues Unterkapitel dieser Unsichtbarkeit aufgedeckt wird, ist es selbst für Frauen* irritierend, wie sehr systematische Diskriminierung unsere Welt durchzogen hat: Selbstverständlich trainieren Mädchen* die gleichen Übungen beim Sport wie Jungs* in der Schule, selbstverständlich messen sich Athletinnen im Leistungssport in den gleichen Disziplinen wie Männer* – und selbstverständlich versuchen Personen mit Zyklus an allen Tagen genau gleich zu trainieren, ganz egal welche Hormonphase gerade im Körper stattfindet. Weil auch die Systematik des Breitensports und Fitnesstrainings sich an männlichen Körpern orientiert. 

Arlow Pieniak (45) ist seit über 20 Jahren Fitnesstrainer und leitet ein eigenes Studio in Hamburg. Sein Team und er beschäftigen sich mit den Auswirkungen des Zyklus auf das Training ihrer Kund*innen und stellten fest: Der Zyklus schränkt beim Sport immer ein, wenn man nicht weiß, wie man damit arbeitet. Arlow spricht auf dem Instagram-Kanal seines Studios „Work It Training“ offen über die patriarchalen Systeme im Sport, über fehlendes Wissen und die Auswirkungen, wenn schon junge Menschen mit Zyklus dauerhaft denken, dass sie „das Problem“ oder „nicht gut genug“ für Trainings seien. Im Interview mit femtastics-Autorin Anissa Brinkhoff erklärt Arlow, wie der Zyklus das Training beeinflusst, wie zyklusgerechtes Training funktioniert und welches Wissen wir alle dafür brauchen.

femtastics: Hallo Arlow, wieso wissen wir alle so wenig darüber, wie anders Frauen* im Vergleich zu Männern* trainieren sollten?

Arlow Pieniak: Es ist für mich auch absurd. Ich bin seit 20 Jahren Trainer und habe gemerkt, dass alle Trainingspläne, die es gibt, perfekt bei Männern* funktionieren. Bei Frauen* klappt es mal und mal klappt es nicht. Und das ist schon irre, 20 Jahre habe ich akzeptiert, dass der Erfolg von Trainings irgendwie willkürlich zu sein scheint. Wieso diese Haltung vorherrschend ist, kann ich nicht komplett erklären. Aber dass es etwas mit dem vorherrschenden Patriarchat zu tun hat, ist sicher.

Woher nimmst du dein Wissen?

Durch das Buch „Roar“ von der Amerikanerin Stacey Sims bin ich vor circa zwei Jahren auf das Thema aufmerksam geworden. Es hat damals aber gedauert, bis ich das Gelesene geglaubt und umgesetzt habe. Aber wenn ich als Trainer etwas Neues lerne, ist es oft so, dass es mir auf einmal den wissenschaftlichen Background dafür liefert, was ich intuitiv sowieso schon mache.

Arlow Pienack-Roß (Foto) und sein Team sind Expert*innen in den Bereichen Bewegungs- und Schmerztherapie, Bewegungswissenschaft, Ernährung und Regeneration.

Was sagen Studien zu dem Thema?

Sportstudien werden grundsätzlich an Männern* gemacht, weil die Ergebnisse bei Frauen* zu sehr schwanken – so viel zum eben angesprochenen Patriarchat. Aber es kommen jetzt langsam Meta-Studien, die clever die kleine Datenlage interpretieren und Ergebnisse liefern.

Wie kommt es, dass ihr bei „Work It Training“ mit Frauen* anders arbeitet als mit Männern*?

Ich habe Frauen* nie trainiert wie Männer*. Es ist wichtig, zuzuhören. Frauen* sagen regelmäßig „ich möchte heute kein Krafttraining machen“. Zu Recht – wie ich jetzt weiß. Es gibt Phasen im Zyklus, da ergibt das keinen Sinn. Dafür kann man an diesen Tagen andere Sachen trainieren.

Wenn ein Zyklus im Körper stattfindet, gibt es hormonelle Schwankungen im extremen Ausmaß.

Was genau ist an Frauen* anders als an Männern*? Abgesehen vom Zyklus?

Es gibt zwei wesentliche Unterschiede und der erste ist der Zyklus. Da ist es auch egal, ob es primäre Geschlechtsorgane gibt, welche geschlechtliche Identität man hat oder ob menstruiert wird. Entscheidend ist, dass ein Zyklus im Körper stattfindet, denn das heißt, dass es hormonelle Schwankungen im extremen Ausmaß gibt.

Der zweite große Unterschied ist die Biomechanik. Die menschlichen Körper entwickeln sich bis zum Eintreten der Pubertät gleich und dann wächst der eine Körper unter Testosteroneinfluss und der andere unter Östrogen- und Progesteroneinfluss. Das Körperfett wird ein anderes, genauso wie die Muskelmasse und der Bewegungshebel und die Fähigkeit Schnellkraft zu erzeugen.

Wenn du sagst, dass Sport nach männlichen Regeln funktioniert, was genau meinst du damit?

Der unter Östrogen aufgewachsene Körper ist in allen sportlichen Disziplinen schlechter. Die weibliche Weltspitze, in egal welcher Sportart, liegt weit hinter der männlichen. Was ein Problem der Disziplinen-Auswahl ist, weil die eben von Männern* getroffen wurde. Was hat es uns je gebracht uns darin zu messen, wie weit wir springen oder wie hoch wir hüpfen können? Nichts! Es sind sich selbst befeuernde Disziplinen, die von Männern* aufrechterhalten werden. Und manche Frauen* können mitspielen, weil sie so gebaut sind, dass sie mithalten können.

Jede Wettkampfsportlerin versucht einen Wettkampf in die Phase vom Einsetzen der Periode bis zum Eisprung zu legen.

In welchen Zyklus- und Hormon-Phasen würdest du welche Art von Training empfehlen?

Als erstes muss man wissen, was wann stattfindet im Körper. Als Trainer höre ich das oft heraus, oder eine Kundin sagt direkt, dass sie ihre Tage hat. Der Körper bereitet sich jeden Monat auf eine Schwangerschaft vor, stellt dann fest, dass es diesen Monat nichts wird und stößt dann die aufgebaute Gebärmutterschleimhaut ab und es beginnt die Periode. Ab da beginnt die Phase, in der der Körper sehr leistungsfähig ist. Der Körper realisiert, dass er kein Kind bekommt, also kann er andere Sachen machen. In dieser Phase, vom Einsetzen der Periode bis zum Eisprung, haben menstruierende Menschen sehr wenig Hormonschwankungen und sind sehr leistungsfähig. Heisst: Krafttraining geht jetzt sehr gut, genauso wie hochintensive Trainings. Jede Wettkampfsportlerin versucht einen Wettkampf unbedingt in diese Phase zu legen, weil da am meisten geht.

In den Tagen um das PMS geht kein Krafttraining. Selbst wenn Frauen sich darum bemühen, wird es keine muskelaufbauenden Prozesse geben, denn der Anteil an Östrogen liegt so weit über dem von Testosteron.

Und in der zweiten Phase?

Dann kommt der Eisprung, die Hormone steigen rasant an, diese Phase gipfelt für viele Menschen mit Zyklus in starkes PMS. In den Tagen um das PMS geht kein Krafttraining. Zum einen, weil keine Körperspannung aufrechterhalten werden kann, weil man keine Kraft erzeugen kann. Selbst wenn Frauen* sich darum bemühen, wird es keine muskelaufbauenden Prozesse geben, denn der Anteil an Östrogen liegt so weit über dem von Testosteron. Auch wenn man sich quält, bringt das nichts. Außerdem kann in diesem zweiten Teil des Zyklus kaum Energie aus Kohlenhydraten herangebracht werden. Der Körper holt sich grundsätzlich immer Energie aus Kohlenhydraten und aus Fett. Wenn nur Energie aus Fett gewonnen wird, reicht das aber nicht. Hochintensive Einheiten funktionieren in dieser Phase deshalb auch nicht.

In der ersten Phase des Zyklus können Frauen* Gas geben, hart und schwer trainieren. In der zweiten Phase kann man all die anderen Dinge trainieren, wie zum Beispiel Koordination und Beweglichkeit.

Das Studio vom „Work it Training“ befindet sich in der Geschwister-Scholl-Straße in Hamburg.

Wie richte ich mein Training also aus?

Man kann also sagen, in der ersten Phase des Zyklus können Frauen* Gas geben, hart und schwer trainieren. In der zweiten Phase kann man all die anderen Dinge trainieren, wie zum Beispiel Koordination und Beweglichkeit. Und das ist genauso wichtig, es gibt ja nicht nur Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit. Der Körper hat diese fünf motorischen Skills und die sind alle gleich wichtig. Und wenn man sich die Zeit für das nimmt, was gerade geht, dann bekommt man am Ende natürlich andere und bessere Ergebnisse.

Eine Krafteinheit in der falschen Zyklushälfte produziert viel mehr Stress für den Körper als in der richtigen.

Kann es schädlich sein, gegen den Zyklus anzutrainieren?

Jede Sporteinheit produziert positive und negative Ergebnisse. Zu den negativen gehören Verletzungen, Stress, Abfallprodukte. Aber eine Krafteinheit in der falschen Zyklushälfte produziert viel mehr Stress für den Körper als in der richtigen. Es ist aber nicht so, dass man mit einer Einheit etwas kaputt macht. Im Zweifelsfall geht man aus der Einheit raus und fand es richtig scheiße. Wenn man die Einheit für etwas anderes nutzt und mit Erfolgserlebnissen herausgeht – ist das aber etwas ganz anderes. In der Summe gesehen, ist das viel besser und langfristig hilft Frustration im Sport auch nicht.

Empfiehlst du Training, wenn man während der Menstruation starke Schmerzen hat?

Nein, das ist gar nicht sinnvoll. Schmerzen verhindern richtige Bewegung. Allerdings kann man aktiv durch zyklusgerechte Ernährung und Training im Vorfeld beeinflussen, dass in der Menstruation keine starken Schmerzen auftreten. Natürlich nicht immer, aber ich habe schon gute Ergebnisse gesehen. Der Körper sendet Hormone, die krampfauslösend sind. Die brauchst du, weil die entscheidend für Gebärmutterkontraktionen sind, damit die Gebärmutterschleimhaut abgebaut wird. Da hilft schon, dass man mit Training den Körper unterstützt, statt dagegen zu arbeiten. Das nächste ist die Ernährung. In der zweiten Phase, in der man unglaublich schlecht Kohlenhydrate verwerten kann, ist es hilfreich, viel hochwertiges Eiweiß zu essen. Diese Umstellung bringt wahnsinnig viel in der Krampfneigung während der Periode. Das bekommt man allerdings nicht innerhalb von einem Monat hin und es ist sehr schwierig, das über unsere heutige Ernährung aufzunehmen.

Wenn man nicht hormonfrei verhütet: Welche Auswirkungen hat beispielsweise die Pille auf ein Training?

Ich bin natürlich Fitnesstrainer und nicht Hormonspezialist und es gibt ja auch unterschiedliche Verhütungspillen. Aber ich lehne mich damit nicht aus dem Fenster, wenn ich sage, dass man mit der Pille dem Köper auch aus Trainingssicht nichts Gutes tut.

Die Pillen, die über Östrogen oder Progesteron wirken, erhöhen diesen Hormonspiegel die ganze Zeit. Der Körper befindet sich damit quasi den ganzen Monat in dem Zustand, in dem er nur die zweite Hälfte sein müsste. Dazu kommt mehr Körperfett, mehr Müdigkeit, mehr Verletzungsanfälligkeit, schlechtere Leistung und Regeneration.

Ein Schulfach zu „richtiger Bewegung“ ohne Tabus wäre sinnvoll.

Welche Ideen hast du, wie solches Wissen und alles über zyklusgerechtes Training verbreitet werden kann?

Ein Schulfach zu „richtiger Bewegung“ ohne Tabus wäre sinnvoll. Denn jungen Frauen* kein Wissen mitzugeben, führt dazu, dass sie zum einen mit den Anforderungen des Schulsports überfordert sind – der ja auf Jungs ausgelegt ist ­– und zum anderen, dass sie Selbstzweifel bekommen. Wieso klappt heute eine Übung überhaupt nicht mehr, die letzte Woche ganz easy ging? Es formt ja auch, wenn Mädchen Aufgaben einfach nicht hinbekommen, egal wie sehr sie sich anstrengen.

Du konzipierst gerade einen Onlinekurs, der „Training mit Zyklus“ heißen wird. Worum wird es gehen? 

In dem Kurs denken wir Training und Ernährung für Frauen beziehunsgweise Personen mit Zyklus neu. Ich nehme die Teilnehmer*innen an die Hand und baue Schritt für Schritt ein sinnvolles Training & Ernährung zyklusgerecht auf. Der Kurs besteht aus zehn Lektionen. Es geht darum zu verstehen, wie Training bei Personen mit Zyklus, also auch in den Wechseljahren, funktioniert: Welches Training wann funktioniert, was man machen muss, wenn man schon Probleme hat oder immer wieder in den gleichen Frust verfällt, eine Lektion zum Thema Ernährung und eine Lektion von meiner Frau, die Coach ist, zum Thema Glaubenssätze.

Klingt super spannnend. Viel Erfolg mit dem Onlinekurs und Danke für das Interview, Arlow.


Hier findet ihr „Work It Training“:


Fotos: Felix Matthies (PR)


Illustration: Helena Ravenne für femtastics

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