Es gibt Menschen, die mit ihrer Energie und Positivität sofort anstecken. Dr. phil. Miriam Stark ist so eine Person. Nachdem die promovierte Wirtschaftspsychologin bereits über zehn Jahre lang Führungskräfte, Teams und Privatpersonen coachte, berät sie nun auch erfolgreich Frauen* zu Themen wie Weiblichkeit und zyklusorientiertes Leben. Für eines setzt sie sich dabei besonders leidenschaftlich ein: Bewusstsein für die Besonderheiten der Weiblichkeit zu schaffen und ihr in der Gesellschaft mehr Raum zu geben. Die Deutsche mit persisch-ungarisch, tschechisch und slowakischen Wurzeln plädiert außerdem dafür, vermeintliche Tabuthemen wie Fehlgeburt und Abtreibung offen anzusprechen. Miriam Starks Talent dafür, in Gesprächen eine sichere Atmosphäre zu schaffen, zeigt sich auch im Interview sofort.
Der Unterleib speichert ganz viele schmerzliche Erfahrungen.
Miriam Stark: In meinem Leben gab es zwei Schwangerschaften, die sich nicht weiterentwickelten. Dadurch lenkte sich erstmals eine recht schmerzhafte Aufmerksamkeit auf meinen Unterleib. Was vielen gar nicht klar ist: Dieser Bereich von Menschen mit Gebärmutter speichert ganz viele schmerzliche Erfahrungen. Ein unangenehmer Besuch bei der Gynäkologin, ein komischer One-Night-Stand oder was auch immer. Dieser Schmerz hat mir die Aufgabe gegeben, dem Bereich meines Körpers mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Davor ignorierte ich diesen Schmerz völlig und mein Körper hat dagegen rebelliert. Ich entwickelte die Autoimmunkrankheit Alopecia Areata, auch Kreisrunder Haarausfall genannt. Davor hatte ich eine wilde Lockenmähne, Wahnsinns-Wimpern und habe mich dahinter auch ein Stück weit versteckt. Es war mein Schutzpanzer für diese patriarchalische Gesellschaft.
Plötzlich lag die Frage frei: Wie definierst du deine Weiblichkeit eigentlich?
Da lag plötzlich die Frage frei: Wie definierst du deine Weiblichkeit eigentlich? Dieser Schmerz wollte endlich gesehen werden, nicht ignoriert. Ich habe dann quasi alles an alternativer Medizin ausprobiert, was es gibt. Habe jedes Puzzleteilchen gesammelt. Das Buch von Miranda Gray „Roter Mond“ brachte schließlich den Durchbruch. Darin beschreibt sie die vier Phasen des weiblichen Zyklus und deren große Unterschiede. Und ich war perplex. Warum hatte ich als Frau keine Ahnung davon? Das hat mich wütend gemacht, ich wollte dieses Wissen in die Welt rausschreien. Ab da war es klar, dass ich zukünftig genau nach meinem Zyklus leben und das auch anderen Menschen beibringen werde.
Bei Beratungen mache ich einen Raum auf, in dem es keine Tabus gibt. Dieser Raum ist sehr intim und sicher und das spüren Kund*innen sofort. Frauen* haben das wahrscheinlich schon jahrhundertelang gelernt, nur in einer Art Subkultur ihre tiefsten Gefühle zu teilen (lacht). Vieles was mit mir besprochen wird, haben nicht mal die besten Freund*innen oder die Schwestern gehört. Ich empowere beispielsweise beim Thema Masturbation sehr stark. Dass Selbstliebe etwas ist, was man frei, genussvoll und achtsam tut. Auch in einer festen Beziehung. Da gibt es tatsächlich bei Frauen* von 30 Jahren aufwärts viele Tabus. Aber selbst die heben sich in kurzer Zeit auf, wenn man offen und befreit drüber redet.
Phase 3, nach dem Eisprung und vor der Blutung, ist immer die schwierige Zeit, wenn es in der Beziehung auch mal knallt.
Ich vermittle Wissen total gerne an beide in der Beziehung, damit sie auf dem gleichen Wissensstand sind. Ich erlebe Männer* sehr offen, da ist oft schon großes Interesse oder Neugierde vorhanden. Kann ich verstehen. Ist ja auch so, als würde ich ihnen einen Geheimcode für die Partnerin geben (lacht). Dann macht es für viele „klick“. Sie bemerken beide, dass Phase 3, nach dem Eisprung und vor der Blutung, immer die schwierige Zeit ist, wenn es in der Beziehung auch mal knallt. Das ist die längste im Zyklus, und Frauen* wird einfach nie erklärt, was da eigentlich los ist. Das ist nichts Spirituelles, sondern rein physisch, medizinisch belegbar. Dadurch, dass da hormonell extrem viel passiert, ist es ein Wechselspiel der Gefühle. Vor allem männliche Partner finden es überraschend und krass, was da alles in einer menstruierenden Person passiert.
Das Raumnehmen für eigene Bedürfnisse inspiriert auch Männer*. Ich habe schon Sachen gehört wie „Das finde ich toll, warum kümmere ich mich eigentlich nie so um mich selbst?“. Das aktiviert ganz sanfte und verständnisvolle Seiten in Männern*. Sich selbst gegenüber aber auch in der Beziehung.
Dieses besondere in-uns-gekehrt-sein aber auch unsere Schaffenskraft kommt normalerweise ganz intuitiv, kreativ und ist nicht lenkbar. In der patriarchalen Gesellschaft, die seit Jahrhunderten existiert, haben wir unsere Magie aber zusehends unterdrückt. Wir sind die, die neues Leben erschaffen können. Das hat vielen Männern*, vor allem in der katholischen Kirche Angst gemacht, Stichwort Hexenverbrennung. Auch in die Industrialisierung passt intuitiv-kreatives Handeln nicht gut hinein. Wenn du versuchst Menschen ans Fließband zu stellen und sie ohne Pause funktionieren zu lassen, dann soll einfach nur ohne Ende geleistet werden. Unsere ureigene Kraft funktioniert so nicht.
Phase 1 nach der Blutung und Phase 2 nach dem Eisprung, sind jene, in denen wir ins Außen gerichtet sind und dem entsprechen, was die Leistungsgesellschaft von uns verlangt. Die dritte und längste Phase ist von einer anderen hormonellen Konstitution begleitet, die uns eher nach Innen kehren lässt. Da das in unserer Gesellschaft nicht gerne gesehen wird, lernen wir bereits seit Generationen, diese Magie zu unterdrücken. Das bringt eine fundamentale Disconnection. Wenn du innerhalb des Zyklus‘ immer an deinen Bedürfnissen vorbei arbeitest, lässt dein Körper irgendwann Signale laut werden. Phase 3 verwandelt sich dann oft in sogenanntes PMS. Weil wir nicht das machen, was unser Körper braucht, sondern etwas, das uns die Gesellschaft vorgibt.
Wenn du innerhalb des Zyklus‘ immer an deinen Bedürfnissen vorbei arbeitest, lässt dein Körper irgendwann Signale laut werden.
Genau. Es geht nicht darum, sich ständig zu optimieren, sondern liebevoll und verständnisvoll zu sich zu sein. Wir leben in einer „Always Happy“-Leistungsgesellschaft, in der nicht mal Trauern Platz hat. Wir müssen immer abliefern und zeigen, was wir Tolles haben und wer wir sind. Den Raum für Trauer oder negative Gefühle aufzumachen, finde ich wahnsinnig wichtig.
Ich glaube, wenn wir uns gegenseitig unterstützen und auch darüber reden, bewirkt es viel. Beispielsweise: In welcher Phase bin ich gerade? Wie fühle ich mich dabei und wie fühlst du dich in dieser Zeit? Es ist okay, dass auch mal Themen auftauchen während des Zyklus‘ und einfach dableiben. Wir müssen nicht alles akribisch durchheilen, wir müssen dieser Themen einfach nur gewahr werden. Zu sagen: „Okay, etwas beschäftigt mich derzeit sehr stark, deshalb bin ich besonders verständnisvoll und sanft zu mir.“ Allein damit nehmen wir dem Körper schon einen Teil der Verantwortung. Er muss uns keine Signale mehr senden.
Das heißt, die zyklusorientierten Bedürfnisse höher zu stellen als alles andere. Und es heißt nicht, dass man bestimmte Dinge in manchen Phasen nicht kann. Man tut es stattdessen achtsam und aus der Verfassung heraus, die mit dieser Phase einhergeht. In Phase 1 gebe ich Workshops zum Beispiel kognitiv strukturierter als in Phase 4. Da achte ich darauf, viel zu trinken und zu snacken und die intuitive, weise alte Frau aus mir heraussprudeln lasse. Ich bin nicht verkopft, sondern handle aus der Gebärmutter heraus. Deshalb spalte ich Arbeit und Leben gar nicht gerne.
Ich handle in beiden Bereichen nach meinen Bedürfnissen. In manchen Phasen bin ich eben leistungsfähiger, nehme viele Termine an usw. Und in anderen nehme ich mich zurück. Ein Zuwiderhandeln führt meist dazu, dass man schlechte Laune verbreitet, gereizt ist oder sogar krank wird. Das kennen wir alle, oder? Und meist wissen wir gar nicht, dass der Grund dafür auf der Hand läge: weil wir gelernt haben, unseren ureigenen Zyklus einfach zu ignorieren.
Fotos: Mona Dadari, Sari Tanuhardja