‚Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um die Klimakrise als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit anzugehen.‘ Diesen Satz hören wir oft. Aber was ist mit den Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sozialen Klasse, ihrer Hautfarbe oder Herkunft gar nicht erst an den Strang herankommen. Und trotzdem am stärksten von den fatalen Folgen betroffen sind, sollte der Strang reißen? Dies gilt zum Beispiel für indigene Frauen* in Ländern des globalen Südens, die schon jetzt mit den Konsequenzen der Klimakrise zu kämpfen haben. Aber auch festgefahrene patriarchale Strukturen in westlichen Ländern treiben die globale Erwärmung voran. Für Klimagerechtigkeit braucht es deshalb nicht nur Solaranlagen und Elektrofahrzeuge, sondern auch feministische Denkansätze, die toxische Männlichkeitsstrukturen und die Unterdrückung von Frauen* konsequent aufdecken, aufarbeiten und bekämpfen. Autorin Luise Rau hat sich für femtastics näher mit diesem wichtigen Thema beschäftigt und unter anderem mit der feministischen Umweltaktivistin Lisa Göldner gesprochen.
Bei einem Tsunami in Südostasien im Jahr 2004 starben im Vergleich zu männlichen Einwohner*innen in einigen Regionen vier Mal so viele Frauen* und Mädchen*. Die Ursachen dafür liegen in fest verankerten patriarchalen Strukturen und Ungerechtigkeiten: Diese geben vor, dass Frauen* allein für den Haushalt und die Erziehung zuständig sind, kein Recht auf Bildung haben und tagtäglich schwere traditionelle Kleidung tragen müssen. Im Fall des Tsunami führte dies dazu, dass viele Frauen zum Zeitpunkt der Naturkatastrophe zuhause waren. Das Telefon, das in vielen ärmeren Haushalten Einzelware ist, ist in der Regel Eigentum des Mannes*. Ist der Mann* bei der Arbeit, haben Frauen* also kaum Zugang zu Informationen. Dementsprechend wurden viele zu spät oder gar nicht gewarnt. Zudem sind viele arme Frauen in südostasiatischen Ländern Analphabet*innen. Schriftliche Warnungen waren also keine Hilfe. Diejenigen, die noch die Chance zur Flucht hatten, wurden von der schweren traditionellen Kleidung behindert. Viele von ihnen haben zudem nie gelernt, zu schwimmen und waren im Gegensatz zu den Männern* nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Schutz der Älteren und Kinder verantwortlich.
Es braucht noch nicht einmal einen Tsunami, um die Ungleichheit der Geschlechter zu verstärken.
Mit einer fortschreitenden globalen Erwärmung wird sich auch die Wahrscheinlichkeit für Naturkatastrophen erhöhen. Doch es braucht noch nicht einmal einen Tsunami, um die Ungleichheit der Geschlechter zu verstärken. So sind vor allem in Afrika und Asien viele weibliche Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig – also in dem Bereich, der direkt von Folgen der Klimakrise betroffen ist. Das äußert sich zum Beispiel durch Dürre und Wasserknappheit. In diesem Fall sind es in der Regel die Frauen*, die extrem weite Wege bei anhaltender Hitze zurücklegen müssen, um die nächste Wasserstelle zu finden. Hinzu kommt, dass Frauen* zwar mehr arbeiten (teilweise pro Woche zwölf bis 13 Stunden mehr als Männer*), aber in der Regel keine Entscheidungsgewalt besitzen. Oft ist das Land, auf dem sie arbeiten, im Besitz von Männern*. Sie sind demnach abhängig von den Entscheidungen und Regeln der männlichen Grundbesitzer. Das äußert sich auch innerhalb von kleinbäuerlichen Familien: Wenn das Essen aufgrund von Ernteausfällen und steigenden Lebensmittelpreisen knapp ist, sind Frauen* nach Männern* und Kindern die letzten, die essen dürfen – vorausgesetzt es sind dann noch Nahrungsmittel übrig.
Viele Umweltorganisationen und Aktivist*innen beziehen Feminismus mittlerweile in ihr Verständnis von Klimaungerechtigkeit mit ein.
Diese Entwicklungen zeigen, auf welche Weise die Klimakrise bereits bestehende soziale Ungerechtigkeiten zunehmend verstärkt. Viele Umweltorganisationen und Aktivist*innen beziehen Feminismus deshalb mittlerweile in ihr Verständnis von Klimaungerechtigkeit mit ein. So zum Beispiel auch die feministische Umweltaktivistin Lisa Göldner. Sie arbeitet hauptberuflich für „Greenpeace“ und war bereits als Mitarbeiterin für die feministische Klimaorganisation „GenderCC – Women for Climate Justice“ tätig. Auf die Frage, was sie zu einer eingehenderen Beschäftigung mit feministischer Klimapolitik bewegt hat, antwortet sie: „Je mehr ich mich mit Klimagerechtigkeit beschäftigt habe, desto deutlicher wurde für mich, wie sehr Genderaspekte in der Klimaschutzdebatte unterschätzt werden, wie zerstörerisch das Patriarchat für unseren Planeten ist und wie wichtig Feminismus ist, um die Klimakrise zu lösen.“
Sie kritisiert, dass sich viele Menschen noch immer zu wenig mit den vielschichtigen Ursachen und Konsequenzen der globalen Erwärmung auseinandersetzen: „Die Komplexität der Klimakrise wird noch immer unterschätzt. Viele, auch in der Klimabewegung, blenden die gesellschaftlichen Ursachen dieser Krise einfach aus und behandeln sie wie ein simples Problem, das allein dadurch gelöst werden kann, dass wir Kohlekraftwerke durch Windräder ersetzen. Aber diese Krise ist vielschichtiger.“
So vertritt Göldner, wie auch andere Klimaaktivist*innen, die These, dass die Klimakrise nicht nur Genderungleichheiten verstärkt, sondern maßgeblich aus diesen hervorgegangen ist. Das Patriarchat sowie andere soziale Unterdrückungssysteme (wie Rassismus und Kolonialismus) basieren auf dem Prinzip der Ausbeutung. Es ist eben diese rücksichtslose Ausbeutung, die wohlhabende und mächtige weiße Männer* auf natürliche Ressourcen angewandt haben (und immer noch anwenden), ohne auf die Lebensräume von indigenen Völkern oder die möglichen ökologischen Folgen für den ganzen Planeten zu achten. Es ist grade diese Ausbeutung vonseiten der privilegierten sozialen Gruppen, die uns heute die Folgen der Erderwärmung spüren lässt – und die ungerechterweise gerade die Menschen zu spüren bekommen, die am wenigsten an ihren Ursachen beteiligt waren.
Ein solches rücksichtsloses Streben nach Macht und Ansehen äußert sich nicht nur in den ausbeuterischen Handlungen vieler führender Politiker und Unternehmer. Als Kern von toxischen Männlichkeitsstrukturen, ist es leider nach wie vor auch ein Bestandteil unseres Alltages. So belegt eine schwedische Studie aus dem Jahr 2021, dass die Lebensweise alleinstehender Männer* klimaschädlicher sei, als dies bei alleinstehenden Frauen* der Fall sei. Die Forscher*innen fanden heraus, dass die männlichen Probanden im Vergleich zu den teilnehmenden Frauen* nur zwei Prozent mehr Geld ausgaben, aber mit ihrem Konsumverhalten rund 16 Prozent mehr Treibhausgasemissionen verursachten. Dies lag vor allem daran, dass die Männer* ihre Autos öfter nutzten und dementsprechend mehr Geld für Treibstoff ausgaben.
In unserer Gesellschaft wird Männlichkeit zum Teil durch extrem klimaschädliches Verhalten ausgedrückt und reproduziert.
Lisa Göldner sagt dazu: „In unserer Gesellschaft wird Männlichkeit zum Teil durch extrem klimaschädliches Verhalten ausgedrückt und reproduziert. Wer als besonders maskulin wahrgenommen werden möchte, fährt beispielsweise große und spritfressende Autos, isst viel Fleisch und verhält sich rücksichtslos gegenüber anderen Menschen und unserer natürlichen Umwelt. Diese Art Männlichkeit zur Schau zu stellen ist extrem destruktiv.“
Auch eine Studie aus Bolivien belegt, dass Frauen* zu klimafreundlicherem Verhalten tendieren. Im Fokus standen Menschen aus sieben ländlichen Regionen, die bereits jetzt mit den Folgen der Klimakrise für die Landwirtschaft zu kämpfen haben. Die Forscher*innen untersuchten, mit welchen Lösungsansätzen Frauen* und Männer* die Landwirtschaft an die veränderten Umweltbedingungen anpassen wollten. Es fiel auf, dass Männer* zu weniger nachhaltigen Anpassungsstrategien tendierten: Sie wollten zum Beispiel mehr Fläche landwirtschaftlich nutzbar machen oder ökologisch fragwürdige Bewässerungssysteme nutzen. Die Ansätze der Frauen* bewerteten die Forscher*innen hingegen als pragmatischer und innovativer. Sie suchten zum Beispiel nach alternativen Wasserquellen oder wollten neue Pflanzenarten nutzen, die den veränderten klimatischen Bedingungen besser gewachsen waren.
Auch Projekte zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung in Nepal und Indien waren klimafreundlicher, wenn das Wald-Komitee zu mindestens über einem Drittel aus Frauen* bestand. Waren mehr weibliche Mitglieder an den Entscheidungsprozessen beteiligt, so führten diese in der Regel zu effektiveren Maßnahmen, die illegale Abholzung besser eindämmten und die Waldregeneration konsequenter förderten.
„Weltweit kämpfen Frauen* an vorderster Front für den Schutz unserer Erde. Es ist großartig, dass das immer sichtbarer wird.“
Während Frauen* also klimafreundliches Verhalten vorantreiben, sind gerade sie es, die besonders in Ländern des globalen Südens am stärksten unter der Klimakatastrophe leiden. Die Erderwärmung ist also kein rein ökologisches Problem. Sie vereint verschiedenste Aspekte der sozialen Unterdrückung und kann nur dann gelöst werden, wenn wir uns auch verstärkt diesen sozialen Ungerechtigkeiten zuwenden.
Was hoffnungsvoll stimmt, ist, dass es aktuell gerade Frauen sind, die die Klimabewegung maßgeblich prägen. Dazu gehören nicht nur Greta Thunberg und Luisa Neubauer, sondern zum Beispiel auch die indigenen Klimaaktivist*innen Antonella Calle aus Ecuador und Hindou Oumarou Ibrahim aus dem Tschad. Das betont auch Lisa Göldner: „Weltweit kämpfen Frauen* an vorderster Front für den Schutz unserer Erde. Es ist großartig, dass das immer sichtbarer wird.“ Selbstverständlich sei das jedoch nicht. Göldner betont, dass wir weiterhin daran arbeiten müssen, Frauen* auch innerhalb des Klimaschutzes verstärkt zu unterstützen.
Es ist ohne Frage natürlich wichtig, dass wir beisspielsweise weiterhin in erneuerbare Energien investieren und weniger Müll produzieren. Aber dabei sollten wir nicht vergessen, dass Klimaschutz auch bedeutet, Ausbeutung auf allen Ebenen zu beenden und gerade den Menschen Raum zu geben, die die aktuellen Unterdrückungssysteme noch immer zum Schweigen verdammen.
Demonstrationen für Klimagerechtigkeit und Frauenrechte, sowie Proteste gegen Rassismus, helfen dabei, die Gesellschaft auf diese Missstände aufmerksam zu machen und die Politik zum Handeln aufzufordern.
Um dies auch im kleineren Rahmen zu fördern, kannst du Organisationen mit einer Spende unterstützen, die sich diesem Thema annehmen. Dazu gehören zum Beispiel „Women Engage for a Common Future (WECF)“ oder „GenderCC – Women for Climate Justice“. Demonstrationen für Klimagerechtigkeit und Frauenrechte, sowie Proteste gegen Rassismus, helfen dabei, die Gesellschaft auf diese Missstände aufmerksam zu machen und die Politik zum Handeln aufzufordern. Schließlich kannst du auch durch dein Konsumverhalten bestimmen, ob du Ausbeutung unterstützen möchtest oder nicht. Besonders Nestlé und alle dazugehörigen Marken fallen immer wieder durch Menschenrechtsverletzungen und ihre umweltzerstörerischen Handlungen auf. So ist es auch Teil eines ganzheitlichen Klimaschutz-Konzeptes, sich ausreichend über Unternehmen zu informieren und als mündige*r Bürger*in überlegte Kaufentscheidungen zu treffen.
Text: Luise Rau
Teaserfoto: istockphoto/ Drazen Zigic
3 Kommentare
Danke für das sichtbarer machen dieses wichtigen Themas!