Susann Grünwald kämpft dafür, dass das Thema Kinderschutz stärker ins Bewusstsein rückt. Hintergrund ist die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren in Hamburg eine Reihe von Kindern gewaltsam zu Tode gekommen sind oder durch Misshandlungen schwerste Gesundheitsschäden erlitten haben – in erster Linie durch Menschen, denen sie als Schutzbefohlene ausgeliefert waren. Die Journalistin gründet die Stiftung Mittagskinder sowie den Kinderschutzpreis Heldenherz. In den Kindertreffs werden mittlerweile über 200 sozial benachteiligte Kinder betreut und mit Essen versorgt. Mit dem Kinderschutzpreis Heldenherz möchte Susann Grünwald in der Öffentlichkeit nachhaltig ein Zeichen dafür setzen, dass alle Kinder ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung und Schutz vor körperlicher und seelischer Gewalt haben. Was sie antreibt und wie sie das schafft, erzählt sie uns im Stiftungsbüro und im Kindertreff in Hamburg Kirchdorf Süd.
Wir besuchen Susann Grünwald im Kindertreff Kirchdorf Süd
Femtastics: Warum liegt Ihnen das Thema Kinderschutz so sehr am Herzen?
Susann Grünwald: Es gab keinen Erleuchtungsmoment oder einen unmittelbaren Bezug. Bei unseren beiden Einrichtungen sind wir im Kinderschutz tätig. Nur wenige Fälle erfordern unser Eingreifen. Der größte Teil unserer Arbeit in den Kindertreffs ist daraus ausgerichtet, Kindern bessere Möglichkeiten beim Start ins Leben zu ermöglichen. Das ist natürlich auch eine Form des Kinderschutzes.
Worum kümmert sich die Stiftung Mittagskinder?
Die Stiftung umfasst den Heldenherz Preis und die Kindertreffs in Kirchdorf Süd und Neuwiedenthal – das sind Tagesbetreuungseinrichtungen in sogenannten sozialen Brennpunkten. In beiden Einrichtungen werden mehr als 200 Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren mit gesunden Mahlzeiten versorgt und von Fachkräften sozialpädagogisch betreut. Die Kinder können bei uns spielen, bekommen Hilfe bei den Hausaufgaben und Sprach- und Leseförderung. Nach dem Abendbrot packen sie sich eine Frühstücksbox für den nächsten Schultag – mit belegten Broten, Obst, Saft und Milch.
In den Kindertreffs gibt es kleine Beete, um die sich die Kinder kümmern
Was lernen die Kinder noch in den Treffs?
Sie pflegen Gemüsebeete und setzen Setzlinge. Es gibt Kochgruppen, viele Kinder möchten sich zu Hause auch mal alleine ein Essen zubereiten. Sehr gut kommt auch unser Entdeckerlabor an, hier werden naturwissenschaftliche Basisexperimente gemacht. Und an Bienen sind wir sehr interessiert. Hier unterstützt uns ein Hobby-Imker, den wir einmal im Jahr besuchen. Aber wir kümmern uns auch um die soziale Kompetenz der Kinder. Wir zeigen ihnen, wie wichtig Respekt ist und, dass Konflikte normal sind – sofern sie auf Augenhöhe und gewaltfrei gelöst werden.
Wir tun viel, um das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken.
Und es gibt einmal im Monat die Kinderkonferenz. Was passiert hier?
Bei den Kinderkonferenzen wird Partizipation geübt. Die Kinder lernen, eine Meinung zu äußern, die vielleicht nicht die Mehrheitsmeinung ist, und, diese auch zu vertreten. Das ist später wichtig für Teamfähigkeit. Wir tun generell viel, um das Selbstwertgefühl der Kinder zu stärken.
Welche Kinder kommen in die Kindertreffs?
Kinder, die nicht so gute Startchancen haben. Mittlerweile kommen auch immer mehr Flüchtlingskinder dazu. In beiden Stadtteilen sind wir seit 2007 aktiv, hier kennt man unsere Einrichtung mittlerweile.
Der Heldenherz Hamburger Kinderschutzpreis wird diesen Herbst zum ersten Mal verliehen – was war der Anlass?
Die Chronologie des Grauens in Hamburg – damit meine ich die Kinder, die in den vergangenen Jahren gewaltsam zu Tode gekommen sind oder durch Misshandlungen schwerste Gesundheitsschäden erlitten haben. Vom ersten Tag an hat es uns als Stiftung begleitet, auch wenn es mit unserem Auftrag nicht unmittelbar zu tun hat.
Im März 2005 wurde Hamburg von dem Mordfall Jessica erschüttert, nach einem unfassbaren Martyrium starb Jessica im Alter von sieben Jahren. Wir hatten die Stiftung Mittagskinder gerade Ende 2004 gegründet und selbst da bekam ich manchmal ungläubiges Feedback: Kinder die nicht genug zu essen haben? In Hamburg? Das gibt es doch gar nicht! Mit dem Fall Jessica wurde die Aufmerksamkeit für benachteiligte Kinder nachhaltig geweckt. Wir wollten ein Zeichen setzen.
Nach dem Abendessen putzen die Kinder gemeinsam Zähne
Wer wird mit dem Heldenherz-Preis ausgezeichnet?
Der Heldenherz-Preis wird in zwei Preiskategorien vergeben: an Einzelpersonen und Institutionen aus Hamburg und dem Umland, die sich für den Kinderschutz stark machen. Mit dem Preis wollen wir als Stiftung dazu beitragen, dass in Hamburg der aktive und proaktive Kinderschutz vor körperlicher und seelischer Gewalt gestärkt wird.
Angesichts der zahlreichen Fälle der gewaltsam zu Tode gekommenen Kinder könnte man auf eine Eskalation schließen. Woher kommt diese?
Das ist jetzt psychologische Spekulation. Ich habe in einem Interview mit einem Strafrechtler gelesen, dass diese Gewalttaten in Hamburg durch die Struktur des Stadtstaates begünstigt wird. Das ist aber nur eine formale Erklärung. Die eigentliche Frage ist: Warum gehen Eltern so mit ihren Kindern um? Warum lässt eine Mutter ihr zweijähriges Kind vier Wochen lang allein? Warum muss ein kleiner Junge in einem fensterlosen Keller leben? Ich kann es absolut nicht nachvollziehen. Vielleicht ist die Entfremdung größer, viele Eltern gehen ja parallel zu den Misshandlungsgeschehen normalen Beschäftigungen nach.
Welchen Wert hat ein Kinderleben?
Die Eltern leben in einer Parallelwelt?
Die Kinder sind in ihrer Existenz bedroht, wenn sich niemand um sie kümmert. Sie haben keine Nährstoffspeicher wie Erwachsene. Die Eltern von Jessica hatten top gepflegte Haustiere und haben nebenan in Ruhe Fernsehen geschaut. Hier findet eine gewisse Abspaltung statt, die ich nicht erklären kann. Das Schuld- und Unrechtsbewusstsein geht den Tätern vollkommen ab. Das hat auch nichts mit Kontrollverlust zu tun, es geht um Täuschen und Tarnen. Die Frage ist: Welchen Wert hat ein Kinderleben?
Oft greift auch niemand ein. Schauen die Menschen einfach nicht hin?
Vieles passiert hinter verschlossenen Türen, während der äußere Anschein gewahrt wird. Genau deswegen wollen wir sagen, dass Kinderschutz ein Dauerthema ist.
Vielen Dank für das Interview, Frau Grünwald!