Petra Schleifer von Belly & Mind über Diäten, Scham & Selbstliebe

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6. August 2017

Jahrzehntelang hat sich Petra Schleifer mit ihrem Gewicht herumgeärgert, hat eine Diät nach der anderen ausprobiert – und war nie zufrieden mit sich und ihrem Körper. Heute berät die 48-Jährige andere Frauen in Sachen Selbstliebe. In ihrem Programm „Belly & Mind“ geht es zwar auch darum, Gewicht zu verlieren und sich gesünder zu ernähren, ebenso wichtig ist jedoch die innere Einstellung zum eigenen Körper, Essverhalten und Selbstbewusstsein. „Meine Leidenschaft ist es Dir zu helfen, Dich selbst mehr zu lieben. Ich wünsche mir, besonders für Frauen, dass sie sich befreien können aus der ständigen Mühle aus Diäten, Selbstabwertung und Optimierungswahn“, sagt Petra Schleifer. Wir besuchen die Ernährungswissenschaftlerin und Heilpraktikerin in ihrer schönen Wohnung im Hamburger Stadtteil Winterhude, um mehr zu erfahren.

femtastics: Wann hast du begonnen, dich mit dem Thema Diäten zu beschäftigen?

Petra Schleifer: Ich habe im Alter von neun meine erste Diät gemacht. Damals hatten meine Eltern Sorgen, dass ich später im Leben Schwierigkeiten bekommen könnte, wenn ich zu dick wäre. Wenn ich mir heute Fotos von mir als neunjähriges Kind ansehe, dann war das total übertrieben. Ich war kein Hering, aber ich war auch kein dickes Kind. Damals ist mir das erste Mal der Floh ins Ohr gesetzt worden, dass es ganz wichtig ist, als Mädchen dünn zu sein.

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Petra teilt sich ihre Wohnung mit ihrem Mann und ihrem Hund.

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Ich habe im Alter von neun meine erste Diät gemacht. Damals ist mir das erste Mal der Floh ins Ohr gesetzt worden, dass es ganz wichtig ist, als Mädchen dünn zu sein.

Waren Äußerlichkeiten in deinem Umfeld wichtig?

Es drehte sich viel darum, wie man aussieht. Meine Mutter ist schlank, musste nie eine Diät machen, und darauf ist sie stolz. Ich denke, sie hat das immer als Vorteil wahrgenommen. Wenn wir ehrlich sind, dann ist uns doch allen nicht egal, wie wir aussehen. Gutes Aussehen war schon immer eine Art Statussymbol – besonders für Frauen. Meine Eltern sind toll, das muss ich dazu sagen, und es sind nicht nur meine Eltern, die so denken. Das ist gesellschaftlich weit verbreitet.

War dein Gewicht in deiner Jungend problematisch für dich?

Total. Ich habe viele Sachen nicht gemacht, weil ich dachte, ich sei zu dick dafür. Generell hat mein Selbstbewusstsein sehr gelitten. Ich dachte immer: Wenn ich es nicht schaffe, dünn zu sein, dann muss ich ein bisschen blöd sein, dann schaffe ich alles andere auch nicht.

Du hast dir wenig zugetraut?

Ja, ich habe meine Unzufriedenheit mit meinem Gewicht auf alles übertragen: auf die Schule, auf Jungs, … ich dachte immer: Das kann ich sowieso nicht. Selbst nach meinem Studium habe ich mich nicht auf den Job beworben, den ich eigentlich gerne machen wollte, weil ich dachte: Die nehmen mich sowieso nicht.

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Ich habe meine Unzufriedenheit mit meinem Gewicht auf alles übertragen. Ich dachte immer: Das kann ich sowieso nicht.

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Wir liieben Banana Bread – besonders, wenn es auch noch gesund ist!

Du hast Ernährungswissenschaften studiert. War die Motivation dafür, etwas für dich persönlich zu lernen?

Nur! Ich bin schon mit 16 auf ein Ernährungsgymnasium gegangen, weil ich dachte, ich müsse mehr über Ernährung lernen, um abnehmen zu können. Als ich nicht abgenommen habe, dachte ich, ich müsse weiter machen und habe Ernährungswissenschaften studiert. Das hat mich aber natürlich auch nicht dünner gemacht.

Warst du immer auf Diät?

Ich habe jede Diät gemacht, die es gab. Und wenn ich nicht aktiv auf Diät war, war ich gedanklich auf Diät. Ich habe in meinem Kopf alles schwarz-weiß eingeteilt: in Lebensmittel, die dick machen oder nicht dick machen. Nach der Diät war vor der Diät, weil ich dann Angst hatte, wieder zuzunehmen. Und wenn man wieder zunimmt, ist es das totale Scheitern. Es war ein Albtraum.

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Du warst nie zufrieden mit deinem Körper?

Nie. Ich hatte immer riesige Gewichtsschwankungen und es war egal, ob ich 60 kg oder 80 kg gewogen habe, es war nie gut genug, nie dünn genug.

Was denkst du, woran lag das?

Ich hatte ein sehr ungesundes Verhältnis zum Essen. Wenn du immer auf Diät bist und dir bestimmtes Essen verbietest, dann willst du genau das umso mehr essen. Und wenn du das verbotene Essen gegessen hast, schämst du dich und isst aus Frust noch mehr. Das größte Problem ist, dass Frauen in eine Spirale aus Schuld- und Schamgefühl geraten. Und es ist auch so, dass Essen beruhigt. Selbst, wenn ich mich handlungsunfähig fühle, dann macht Essen mich wieder handlungsfähig.

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Du sagtest eben, du hättest dich nicht auf den Job beworben, den du wolltest. Welcher war das?

Ich wäre gerne Food-Redakteurin geworden. Ich hatte sogar schon meine Bewerbung fertig, aber habe sie nie abgeschickt.

Was hast du stattdessen gemacht?

Ich bin in die Wirtschaft gegangen und habe für eine Süßwarenfirma gearbeitet. Das hat sich eher zufällig gegeben, aber das war schon etwas, womit ich mich gut auskannte (lacht).

 

 

Ich habe gemerkt, dass gutes Aussehen und Geld nicht glücklich machen, sondern, dass es wichtig ist, das zu tun, was man wirklich tun möchte.

 

Wie bist du aus der Diätenspirale herausgekommen?

Vor rund sechs Jahren hatte ich aufgegeben, Diäten zu machen. Damals hatte ich für mich ein wirklich hohes Gewicht. Eines Tages habe ich eine Freundin getroffen, die 20 kg mit einer Ernährungsumstellung abgenommen hat. Und ich dachte: Okay, einmal probiere ich es noch. Ich habe dann relativ schnell 17 kg abgenommen und hätte auch weiter gemacht, wenn mein Mann nichts gesagt hätte.

Ist das nicht ungesund?

Schnelles Abnehmen ist nicht unbedingt ungesund. Ungesund ist es, andauernd ab- und wieder zuzunehmen. Ich hatte damals einige Erkenntnisse. Ich habe wenige schnell verfügbare Kohlenhydrate, wie Brot, Reis und Kartoffeln, gegessen. Das Abnehmen fiel mir leichter als vorher und ich fühlte mich, als wäre ich aus einer Sucht ausgestiegen. Daraufhin beschloss ich, mich beruflich noch einmal neu zu orientieren. Ich hatte bereits meinen Job in der Lebensmittelindustrie verlassen, weil ich unglücklich war, und hatte eine Ausbildung zur Heilpraktikerin und Homöopathin gemacht.

Was hast du für dich erkannt?

Ich habe gemerkt, dass gutes Aussehen und Geld nicht glücklich machen, sondern, dass es wichtig ist, das zu tun, was man wirklich tun möchte. Ich wollte etwas tun, was ich für sinnvoll halte.

 

Und deine Einstellung zu Ernährung und Schönheitsidealen hat sich auch geändert?

Total. Ich habe erkannt, dass es nicht stimmt, was man mir die letzten dreißig Jahre lang erzählt hat. Ich glaube heute nicht an Disziplin, ich glaube an Motivation. Und wenn die Motivation nur ist, schön zu sein, damit andere einen anhimmeln, dann stimmt etwas nicht. Es geht darum, zu lernen, mit dem, was man hat, zufrieden zu sein. Das heißt nicht, dass man sich nicht verändern darf.

Du wolltest trotz dieser Erkenntnis aber immer noch schlank sein?

Ja, ich fühle mich so einfach besser. Ich denke nur, dass die gängigen Wege, die es derzeit zum Abnehmen gibt, nicht gesund sind. Entweder lehnen wir uns selbst total ab, wir fühlen uns fett und nicht ausreichend. Oder wir verfallen in einen Beauty-Wahn. Ich halte beide Wege nicht für liebevolle Einstellungen zum eigenen Körper. Wenn ich fünf mal pro Woche Sport mache und mich quäle, bis ich nicht mehr kann, bloß, um ja nicht meine Idealfigur zu verlieren, dann ist das genauso wenig gesund wie stark übergewichtig zu sein und genauso wenig gesund wie zu hungern.

Was ist gesünder?

Wir müssen die innere Einstellung zu uns selbst verändern. Wir sollten aufhören, einem Schönheitsideal hinterherzulaufen, das es real gar nicht gibt. Wir wissen vielleicht, dass Frauen auf Zeitschriften-Covern mit Photoshop bearbeitet wurden, aber trotzdem nehmen wir unterbewusst diese ganzen scheinbar perfekten Menschen wahr. Diese Menschen gibt es im echten Leben gar nicht.

 

Wir müssen die innere Einstellung zu uns selbst verändern. Wir sollten aufhören, einem Schönheitsideal hinterherzulaufen, das es real gar nicht gibt.

 

Was war deine Motivation „Belly & Mind“ zu gründen?

Ich habe mich mit all diesen Themen immer mehr beschäftigt und habe angefangen, Eins-zu-Eins-Coachings mit Patienten zu diesen Themen in meiner Praxis zu machen. Irgendwann wurde es mein größter Wunsch, diese Themen in eine so große Öffentlichkeit zu bringen, dass es ein Umdenken gibt. Es treibt mich sehr an, anderen Frauen zu helfen, aus dieser negativen Denkschleife herauszukommen. Ich habe in meinem Leben so vieles nicht gemacht, das ich gerne machen wollte – immer weil ich dachte, ich sei zu dick. Und ich möchte anderen Frauen helfen, ihr Leben ausschöpfen zu können und sich in ihrem Körper wohl zu fühlen.

Was willst du in deinen Programmen vermitteln?

Ich möchte nicht nur, dass die Teilnehmerinnen abnehmen. Sie sollen ein besseres Verhältnis zu sich selbst bekommen. Dementsprechend geht es auch nicht nur um Ernährungsprogramme, es geht ebenso viel um psychologische Arbeit. Ich versuche den Teilnehmerinnen zum Beispiel zu vermitteln, dass sie sich nicht ständig für andere verbiegen. Viele übergewichtige Frauen denken: Wenn ich schon so scheiße aussehe, muss ich alles tun, um anderen Menschen zu gefallen. Das ist natürlich Unsinn! … Oder, dass sie sich von ihrem Perfektionismus lösen. Denn, wenn man alles perfekt machen will, ist es nie gut genug. Und das führt zu Unzufriedenheit. Ja, die Frauen nehmen in meinen Programmen ab, weil sie sich gesünder ernähren, aber eine Frau, die Größe 36 ist und gerne Größe 34 wäre, ist bei mir falsch.

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Petra bereitet für uns einen Spargel-Spinat-Erdbeer-Salat zu.

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Viele frische Zutaten sind die Grundlage für eine leckere und gesunde Ernährung. Auf den Salat kommen noch Avocado, Fetakäse und ein Dressing mit Dijon-Senf!

Wie schaffst du es, den Teilnehmerinnen zu vermitteln, dass es nicht darum geht, einem fremden Schönheitsideal nachzueifern, sondern ein ich zu finden, mit dem sie glücklich sind?

So wie wir unterschiedliche Körpergrößen, Haut- und Haarfarben haben, so haben wir alle auch ein unterschiedliches Gewicht. Maja Storch nennt es das „Ich-Gewicht“. Es geht darum, nicht auf äußere Einflüsse zu hören, sondern auf sich selbst. Dafür biete ich verschiedene Programme an.

Richten sich die Programme an unterschiedliche Bedürfnisse?

Ich habe gemerkt, dass für die meisten der 12-Wochen-Kurs perfekt ist. Zuerst habe ich ihn nur als Webinar angeboten, aber irgendwann war mir das nicht mehr genug. Ich habe 12 Module entwickelt, die unterschiedliche Themen abdecken. Die Grundinformation gibt es jeweils als Video und einmal die Woche gibt es ein Live-Webinar mit der ganzen Teilnehmergruppe. Dabei geht es ganz viel um psychische Themen wie Scham. Die Gruppe ist eine geschlossene Facebook-Gruppe mit mittlerweile über 300 Frauen, die sich untereinander austauschen und gegenseitig unterstützen. Es ist nicht wie bei Weight Watchers wo alle diejenige beklatschen, die am meisten abgenommen hat. Wir klatschen, wenn eine Teilnehmerin Selbstbewusstsein gewonnen und ihre Scham überwunden hat.

Ist es eine Community, in der die Teilnehmerinnen langfristig bleiben?

Ja, absolut. Ich fordere auch immer diejenigen, die schon länger dabei sind, dazu auf, den neuen zu helfen. Das funktioniert auch echt gut.

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Ernährung spielt auch eine Rolle in deinen Programmen. Was lehrst du?

Mein Ernährungsprogramm ist kohlenhydratarm, aber macht trotzdem satt und schmeckt. Ich mixe die LOGI-Methode mit Clean-Eating. Ich arbeite nicht mit irgendwelchen Pulvern – bei mir steht richtiges und leckeres Essen im Fokus. Ich habe jahrzehntelang versucht, Fette zu meiden. Heute weiß man, dass manche Fette – zum Beispiel aus Nüssen und Avocados – sehr gesund sind. Es gibt so viele leckere Lebensmittel, die gesund sind.

Wie läuft das Ernährungsprogramm ab?

Wir starten mit einer Entgiftung. Viele Teilnehmer haben Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes oder Migräne – und auch auf solche Krankheiten hat die Ernährung einen großen Einfluss. Nach der vierwöchigen Entgiftungskur merken die Teilnehmer, dass es ihnen schon viel besser geht. Danach kommen Schritt für Schritt Lebensmittel zur Ernährung hinzu – und wir schauen, welche Lebensmittel die Teilnehmer überhaupt gut vertragen. Viele stellen die Ernährung ihrer ganzen Familie um.

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Viele Teilnehmer haben Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes oder Migräne – und auch auf solche Krankheiten hat die Ernährung einen großen Einfluss. Nach der vierwöchigen Entgiftungskur merken die Teilnehmer, dass es ihnen schon viel besser geht.

 

Dein Motto lautet „Meine letzte Diät“ …

Mein Ziel ist, dass die Teilnehmer nach meinem Programm nie wieder Diät machen. Ich sage immer: Das heißt nicht, dass ihr nie wieder im Leben Gewichtsschwankungen haben werdet, aber ihr werdet verstehen, dass Diät definitiv nicht die Lösung ist. Wenn ihr wieder zunehmt, müsst ihr analysieren, was gerade in eurem Leben passiert.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Petra!

 

Hier findet ihr Petra und Belly & Mind:

 

Fotos: Maria Gibert

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