Wenn liebevoll gemachte Blogs made in Hamburg das Licht der Welt erblicken, ist die Freude groß. Art Direktorin Cris Sebiger-Bertram hat mit ihrem Blog tendaysaweek ein echtes Herzensprojekt zum virtuellen Leben erweckt. Alle vierzehn Tage stellt sie die Menschen hinter ihren Lieblingsorten in Hamburg vor – vom Goldschmied bis zur Barbesitzerin. Dabei greift sie auf ihr Netzwerk aus Fotografen und Autoren zurück, die die Storys nach ihrem Gusto umsetzen und so jede Geschichte zu einem Unikat machen. Wir besuchen Cris in ihrer Altbauwohnung in Hamburg-St. Georg, wo sie mit ihren beiden Kindern und einer Mitbewohnerin lebt, und sprechen über die Öko-Revolution, die Werbebranche und ihren Lieblingsstadtteil St. Georg.
Ich wollte die Ökorevolution und damit die Welt retten.
femtastics: Wie wird man eigentlich Art Direktorin?
Cris Sebiger-Bertram: Es gibt keinen direkten Weg. Nach der Schule habe ich Agrarwissenschaften in Gießen studiert. Ich wollte die Ökorevolution und damit die Welt retten. Doch nach drei Semestern musste ich mir eingestehen, dass dieses Studium mich nicht dahin bringt, wo ich mich sehe. Ökobewusstsein und die Frage der Nachhaltigkeit sind mir zwar wichtig, aber ich muss nicht andere damit belehren. Ich war auf der Suche nach dem richtigen Instrument, um das was ich fühle und denke zum Ausdruck zu bringen. Etwas das Sinn macht. Kunst zu studieren traute ich mir nicht zu, also studierte ich Kunst und Germanistik auf Lehramt, das war es aber auch nicht. Nachdem ich den zweiten Studiengang abgebrochen habe, bin ich erstmal nach London gegangen um als Au Pair zu arbeiten. Mein damaliger bester Freund, der später mein Mann wurde, zog nach Hamburg und schickte mir Infos zu Grafikschulen.
Werbung passte aber vermutlich nicht zur Öko-Revolution?
Die Werbebranche war natürlich das Feindbild für mich. Mir wurde klar, dass Design und Grafik Design mir die Möglichkeit geben, mich künstlerisch und gestalterisch ausdrücken zu können und ich da durchaus meine Nachhaltigkeitsgedanken mit einfließen lassen kann. Also bewarb ich mich in Hamburg und wurde an der Design Factory genommen. Das war super! Ich liebte es, nachts rumzusitzen und Schriften zu konstruieren.
Cris wohnt seit sechzehn Jahren in ihrer Altbauwohnung in St. Georg.
Ab dem Punkt war dir klar, dass du den Weg einschlagen willst. Aber du wolltest wahrscheinlich nicht in Agenturen arbeiten?
Doch! Ich habe viele Praktika gemacht und bei Scholz & Friends angefangen. Das war die alte Zeit, in der Geld keine Rolle spielte. Alles war wahnsinnig dekadent aber auch wahnsinnig ausbeutend. Selbst als Praktikant hast du jeden Tag bis elf oder zwölf Uhr nachts gearbeitet – und das war vollkommen normal.
Wie ging es dir damit?
Es war super! Wir waren ja in der totalen Euphorie und hatten unsere Families, also Teams die wie so kleine Mini-Agenturen waren. Diesen Familiengedanken übernahm man irgendwie selbstverständlich. Die Agentur als Familienersatz. Ich habe sehr viel gelernt.
Gab es Kunden, für die du als Weltverbesserin nicht arbeiten wolltest?
Zum Glück hatte ich kaum Kunden wo ich in den moralischen Strudel gekommen wäre — außer Zigarette vielleicht.
Was würdest du tun, wenn eine eher unpassende Anfrage käme? Absagen?
Wahrscheinlich schon. Ich habe mich eh mehr auf das Corporate Design spezialisiert, das ist noch mal was ganz anderes als klassische Werbung.
Mich interessiert das, was hinter der Fassade ist.
Was genau macht eine Art Direktorin?
Ich entwickele Gestaltungskonzepte und mache mir Gedanken, wie die Marke definiert wird. Ich muss mich nicht so sehr um die Versprechen kümmern.
Was macht dir besonders Spaß an deinem Job?
Die Arbeit mit den Menschen. Mich interessiert das, was hinter der Fassade ist. Ich habe in vielen tollen Agenturen gearbeitet. Als Freelancer bist in engem Kontakt mit den Kunden. Es geht darum, wie sie persönlich wahrgenommen werden wollen und wie sie denken, wie ihr Business zu funktionieren hat. Manchmal ist da ein großer Spalt dazwischen. Ich schneidere im Grunde einen Maßanzug, mit dem sie rausgehen, sich wohlfühlen und von sich selbst begeistert sind.
Wenn man liebt, was man macht, dann kann man andere davon überzeugen.
Das ist wahrscheinlich gar nicht einfach, vor allem, wenn die Vorstellungen auseinander driften. Wie überzeugst du den Kunden?
Wenn man liebt, was man macht, dann kann man andere davon überzeugen. Es ist kein Gewaltakt, es ist eine Leichtigkeit. Das finde ich so toll, dass ich das gefunden habe, dass ich Menschen abholen und begeistern kann.
Was sind die Herausforderungen in deinem Beruf?
Dieses Gewerbe hat nicht nur den künstlerischen Aspekt, sondern ist eben auch eine Dienstleistung. Du wirst schnell aufgefressen und bist in einer Art Leibeigenschaft. Das bedeutet gern 24/7 und manchmal gibt es die Mentalität: Das habe ich bezahlt und deswegen hast du zu funktionieren. Du wirst halt nicht immer gut behandelt. Geld ist auch immer wieder ein Thema. Über Nutzungsrechte redet man heute gar nicht mehr. Das muss man immer wieder von Neuem aufrollen.
Stichwort extreme Arbeitszeiten – wie hast du deinen Weg gefunden?
Für mich ist es keine Arbeit in diesem Sinne, ich mache das ja gern. Ich habe mit meiner Diplomarbeit gleich eine Festanstellung bekommen, bin aber schwanger geworden. Meinen Abschluss habe ich hochschwanger gemacht. Das war aber nicht schlecht, weil ich eine unglaubliche Energie hatte. Dann war das Baby da und ich war felsenfest der Überzeugung, dass ich zwei Wochen später wieder arbeiten kann. Das hat natürlich nicht geklappt, weil ich eineinhalb Jahre auf dem Kind drauf saß und mir nicht vorstellen konnte, das irgendwie mit jemand anderen zu teilen oder wegzugeben. Ich war total geflasht davon.
Weil ich so hormongesteuert war, wollte ich auf einmal ein Haus mit Garten und Hollywoodschaukel haben und heiraten.
Obwohl du so gern arbeitest. Wie hast du das gelöst?
Ich habe eine gute Tagesmutter gefunden, mit der ich heute noch befreundet bin. Es gab aber auch eine echte Sinnkrise zwischendurch. Als ich aus der Stillblase erwacht bin, habe ich mich gefragt, wie mein Leben weitergehen soll. Weil ich so hormongesteuert war, wollte ich auf einmal ein Haus mit Garten und Hollywoodschaukel haben und heiraten. Ich wollte das volle Programm. Dann sind wir in ein kleines Siedlungshaus an den Stadtrand gezogen, was total süß war. Aber nach einem Jahr habe ich die Krise bekommen.
Also wieder zurück in die Stadt?
Dann sind wir vor sechzehn Jahren in diese Wohnung hier gezogen und ich bin wieder ins Agenturgeschäft eingestiegen und habe mich auf das Freiberufliche eingeschossen.
Wie verändert sich die Branche gerade?
Grundsätzlich erlebt Graphic Design eine Art Renaissance. Schöne Grafiken werden als Kunstform gesehen und es gibt wieder mehr Handarbeit. Das finde ich großartig. Leider muss meist über das Honorar diskutiert werden und jeder meint, er könne über deinen Preis verhandeln. Es sind immer Deals.
Weil die Arbeit nicht mehr wertgeschätzt wird?
Das, was ich am Anfang an Tagessätzen hatte, da komme ich jetzt nicht mehr hin. Früher war ein Art Direktor ein angesehener Beruf. Jetzt verdient jemand gut, der programmieren kann. Der Art Direktor ist mittlerweile wie ein Reinzeichner.
Wer macht die Preise kaputt?
Es gibt wahnsinnig viele und es gibt zu viel Mittelmaß, das Jobs für wenig Geld macht. Und die technischen Möglichkeiten sind anders, sodass jeder Art Direktion und Layouts selbst machen kann.
Was aber nicht immer die beste Idee ist. Es muss nicht jeder alles können.
Du kannst dir jede Information per Mausklick reinziehen. Dementsprechend ist die Masse des Halbwissens größer. Du hast das Gefühl, du kannst bei allem mitreden. Dabei sollte eigentlich jeder irgendwann lernen, was er gut kann und was er nicht so gut kann. Ich engagiere auch nach wie vor Fotografen, weil ich gute Bilder zwar beurteilen, aber nicht selber machen kann. Wobei sich manche Sachen auch ändern. Ich habe mir zum Beispiel nie zugetraut, zu schreiben. Durch meinen Blog habe ich gemerkt, dass mir das total viel Spaß macht, obwohl ich in erster Linie ein visueller Mensch bin.
Hast du von Anfang an selbst die Interviews geführt?
Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und wollte meinen Blog von Anfang an total vorantreiben. Erst habe ich Autoren gesucht. Das war aber schwierig, weil Journalisten oft keine Teamplayer, sondern Einzelkämpfer sind. Die können sich nicht vorstellen, dass man so ein Format gemeinsam entwickelt. Also habe ich einfach angefangen, selbst zu schreiben. Und die Menschen, die ich vorstelle, wollten auch von mir interviewt werden.
Was macht es aus, dass ich einen Ort gut finde? Das sind immer die Menschen dahinter.
Interviews werden eben oft besonders gut, wenn die Gesprächspartner sich kennen. Wie kam dir die Idee zu tendaysaweek?
Ich habe meine Schwester in München besucht und wollte in ein nettes Café gehen. Im Internet habe ich aber einfach nichts gefunden. Nur lieblose und unpersönliche Tipps. Ich habe mich gefragt, was macht es aus, dass ich einen Ort gut finde? Das sind immer die Menschen dahinter.
Warum ist das so?
Weil die sich irgendwann für etwas entschieden haben, für das sie brennen. Eher aus idealistischen Gründen als aus finanziellen. Deswegen haben sie auch die Bereitschaft, so viel für ihre Unternehmung zu arbeiten. Es ist nicht wirklich Arbeit, weil es total Spaß macht.
Ein Blog ist lebendig und ich sehe Blogs gern beim Wachsen zu.
War dir sofort klar, dass du aus der Idee ein Blog entwickeln willst?
Ja, weil ich Blogs schon immer toll finde. Ich finde das Unperfekte toll und, dass es sich immer verändern kann. Ein Blog ist lebendig und ich sehe Blogs gern beim Wachsen zu. Dass jeder die Möglichkeit dazu hat, finde ich großartig. Du brauchst nur das Internet und kannst loslegen. Es ist so simpel.
Und das Gefrickel macht auch Spaß!
Ich hätte nicht gedacht, dass es so viel Gefrickel ist, aber es macht Spaß, das zu lernen.
Ich hatte damals ein HTML-Buch for Dummies, ich habe es geliebt!
Ich übernehme viel des Gestalterischen und habe ein gutes Netzwerk, das hilft.
Alle, die mitmachen, bekommen eine Art Showroom.
War dir von Anfang an klar, dass du das Netzwerk einbinden möchtest?
Eigentlich ist mein Blog eine Akquise-Tool für uns. Es hat den Benefit, dass es einen Mehrnutzen hat und touristisch attraktiv ist. Aber eigentlich geht es darum, dass alle, die da mitmachen, eine Art Showroom bekommen und sich selbst projezieren können. Ich bekomme oft die Frage gestellt, ob man damit Geld verdient. Selbstverständlich nein! Erstens sind es viel zu viele Menschen, die da mitmachen. Zweitens wird es keine Werbebanner geben. Vielleicht irgendwann Native Ads im Content-Bereich, aber so weit sind wir von der Klickrate her noch gar nicht. Aber das ist auch gar nicht die Intention, sondern es ist eben ein Akquise-Tool. Ich mache das Netzwerk transparenter.
Wer ist bei deinem Netzwerk alles dabei?
Von ersten Stunde dabei sind Carsten Kukla (Autor) und Klaus Norris Nather (Photographie), Hannes Diercks (Web Artist), Georg Stroh, Tajana Anisimov (Young Talent) Dann sind zum Beispiel noch Claudia Hettwer, Andreas Weiß, Esther Haase, Sven Jacobsen, Katja Ruge und Thomas Dilde dabei. Hoffentlich werden es noch viele mehr! Ich möchte auch nicht, dass alles gleich aussieht. Jeder kann das Porträt so umsetzen, wie er will. Da achte ich sehr drauf. Es gibt auch immer Fotos, die anders aussehen. Das kann ein 3D-Bild sein, wie bei Jonathan Johnson, oder eine Collage wie bei Betty Kupsa.
Zum Schluss würde ich gern noch über St. Georg sprechen. Was gefällt dir an dem Viertel so gut?
Es ist so vielseitig! Mein Außenbüro ist an der Alster, hier sitze ich im Barca und arbeite. Ich sitze mitten in der Postkarte und kann arbeiten, das ist unfassbar. Dieser Stadtteil hat einfach alles, du bist in der Mitte und hast das Wasser vor der Haustür. Da ich mit Kindern hier gelebt habe, kenne ich jeden von den Spielplätzen. Die Kinder kennen sich auch alle untereinander, es ist wie ein Dorf. Es kann aber auch passieren, dass du aus deinem Kiez gar nicht mehr rauskommst.
Verrätst du uns ein paar deiner Lieblingsplätze?
Ich liebe das Café Gitane, was leider gerade zu ist. Ich hoffe aber, dass sie bald wieder aufmachen. Legendär ist das Cox, aber was besonders ist, ist das Il Buco am Hansaplatz. Hier kocht Erika, die eigentlich Polin ist, sensationelle Pasta. Die Central Congress Bar finde ich großartig und ich liebe die vielen Museen und den Hundeladen Pet Shop Boyz.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Cris!
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